Friedensnobelpreis 2011:Rätselraten in Oslo

Spekulationen, Dementi, Kaffeesatzleserei: Der Chef des Nobelkomitees hat in den Tagen vor der Vergabe des berühmten Preises viel zu tun. Wie jedes Jahr muss Thorbjörn Jagland auch das Auswahlverfahren verteidigen: Kritiker möchten internationale Experten berufen und sich nicht nur auf ältere norwegische Politiker verlassen.

Gunnar Herrmann

Wenn Thorbjörn Jagland an diesem Freitag in Oslo den Namen des Nobelpreisträgers 2011 verliest, dann hat er den anstrengendsten Teil des alljährlichen Preismarathons bereits hinter sich gebracht. Seit Wochen kommentiert der Chef des Nobelkomitees Gerüchte und Spekulationen über die möglichen Empfänger der Auszeichnung. Gleichzeitig muss er sich gegen Kritik aus Norwegen wehren, wo kurz vor dem großen Moment wieder die Debatte um eine Reform des Auswahlverfahrens entbrannt ist.

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Eine Szene aus dem vergangenen Jahr: Thorbjörn Jagland sitzt neben dem leeren Stuhl, der für Preisträger Liu Xiabao frei blieb.

(Foto: AFP)

Raymond Johansen, Generalsekretär der Sozialdemokraten, hatte vor einigen Tagen erklärt, das Parlament müsse darüber nachdenken, ob die Art, wie die Mitglieder des Nobelkomitees ernannt werden, noch zeitgemäß sei. Das fünfköpfige Gremium wird - wie in Alfred Nobels Testament verfügt - vom Storting, dem Parlament, besetzt, meist nach Parteienproporz mit älteren norwegischen Politikern. Kritiker fordern schon länger, dass stattdessen auch internationale Experten berufen werden. Man müsse die "Unabhängigkeit des Preises verdeutlichen", sagte Johansen, weil er in manchen Ländern als ein "Instrument norwegischer Außenpolitik" wahrgenommen werde. Entsprechende Vorwürfe hatte im vergangenen Jahr nach der Auszeichnung für Liu Xiabo vor allem die Regierung in Peking geäußert, die wegen der Ehrung für den inhaftierten Bürgerrechtler sehr verärgert war.

Komiteechef Jagland wies Johansens Forderungen als "surrealistisch" zurück. Gerade der Preis für Liu Xiaobo habe doch die Unabhängigkeit des Nobelkomitees bewiesen. Denn es sei damals durchaus Druck ausgeübt worden, um den Preis zu verhindern, der die diplomatischen Beziehungen Norwegens zu Peking bis heute belastet. Geir Lundestad, ständiger Sekretär des Komitees, sagte, bei der Auswahl der Preisträger würden bereits jetzt internationale Experten zu Rate gezogen.

Welche Entscheidung das fünfköpfige Gremium in diesem Jahr gefällt hat, darüber gibt es wie immer Spekulationen. Die meisten Beobachter vermuten, dass die Vertreter des Arabischen Frühlings die besten Chancen haben.

Kristian Berg Harpviken, Direktor des norwegischen Friedensforschungsinstituts Prio, nennt die Bloggerinen Israa Abdel Fattah aus Ägypten und Lina Ben Mhenni aus Tunesien als Favoriten. Auch Wael Ghonim, ehemaliger Google-Chef für Afrika, ist ihm zufolge ein guter Tipp. Alle drei spielten zentrale Rollen bei den Protesten im Frühjahr. Prios Kandidaten-Prognose gehört fest zum Nobel-Ritual. Ebenso wie die Interviews von Komiteechef Jagland, der norwegischen Medien im Vorfeld immer viel Allgemeines, aber wenig Konkretes sagt. Der Nachrichtenagentur NTB versprach er diesmal, der Preis werde "interessant und wichtig".

Das wurde dahingehend gedeutet, dass der Preis doch nicht nach Nordafrika geht. Häufig genannt wird etwa die russische Bürgerrechtlerin Svetlana Gannuskinja. Wikileaks-Gründer Julian Assange wurde zwar nominiert, gilt wegen seiner Affären aber als unwahrscheinliche Wahl. Und schließlich gibt es die Kandidaten, die jedes Jahr auftauchen: Helmut Kohl zum Beispiel oder die Europäische Union.

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