Friedensbemühungen im Nahostkonflikt:90 Minuten bis zum Scheitern

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Schon kurz nach Inkrafttreten der Waffenruhe steigt über Rafah im südlichen Gazastreifen wieder Rauch auf. (Foto: REUTERS)

Es sah nach einem greifbaren Fortschritt aus, als US-Außenminister Kerry eine Feuerpause zwischen Israel und der Hamas verkündete. Tatsächlich war es nicht einmal eine Atempause.

Von Peter Münch, Tel Aviv

Aus sicherer Entfernung hat John Kerry dieses Mal die Feuerpause verkündet. Der US-Außenminister weilte im fernen Indien, als er in der Nacht zum Freitag für den Nahen Osten eine gute Nachricht präsentierte: eine Vereinbarung über eine 72-stündige "bedingungslose humanitäre Waffenruhe". Das klang nach Durchbruch, doch schon im selben Atemzug dämpfte er die Hoffnungen: "Dies ist nicht die Zeit zum Gratulieren", schränkte er ein, denn von Rückschlägen versteht er mittlerweile etwas.

Heftige Gefechte, die aus dem Kriegsgebiet bereits am Morgen wieder gemeldet wurden, haben seine Vorsicht furchtbar schnell bestätigt. Die mutmaßliche Entführung eines israelischen Soldaten lässt sogar befürchten, dass die Kämpfe nun noch neu befeuert werden. Der Chronik der gescheiterten Friedensbemühungen muss schon wieder ein Kapitel hinzugefügt werden.

Bereits um 9.30 Uhr, also nur neunzig Minuten nach dem vereinbarten Beginn der Waffenruhe, kam es nach israelischen Angaben zu dem Vorfall, der alle Pläne vom Tisch fegte. In der Nähe von Rafah im südlichen Gazastreifen sollen sich Soldaten darangemacht haben, einen Tunnel zu zerstören. Dies war nicht verboten nach der Vereinbarungen, doch im Tunnel steckten offenbar noch Kämpfer der Hamas. Es kam sofort zum Gefecht, ein palästinensischer Selbstmordattentäter soll sich in die Luft gesprengt haben, zwei israelische Soldaten wurden getötet, und einer wird seither vermisst. Stunden später gab ein Armeesprecher bekannt, dass er vermutlich von militanten Palästinensern gefangen genommen worden sei.

Entführung weckt ein altes Trauma

Bald darauf wurde auch sein Name bekannt: Hadar Goldin. 23 Jahre ist er alt, er stammt aus Kfar Saba in der Nähe von Tel Aviv. Am Schicksal dieses jungen Offiziers wird nun vieles hängen. Denn eine Entführung ist für Israels Armee ein Horrorszenario, und in Israels Gesellschaft weckt sie ein altes Trauma: 2006 war der Soldat Gilad Schalit durch einen Tunnel in den Gazastreifen verschleppt worden. Nach fünf Jahren Geiselhaft musste er gegen mehr als tausend palästinensische Gefangene ausgetauscht werden. Einen solchen Triumph wird die Regierung in Jerusalem den Palästinensern nicht noch einmal gönnen wollen. "Israel wird die Aggression der Hamas und anderer Terror-Organisationen im Gazastreifen mit harten Maßnahmen beantworten", erklärte General Joav Mordechai. Doch wenn sich die Entführung zweifelsfrei bestätigt, haben die Islamisten nun ein neues, starkes Druckmittel in der Hand.

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Diese Entführung war es auch, die in Israel alle Alarmglocken schrillen ließ. Schon bevor die Öffentlichkeit davon erfuhr, hatte es aus dem Büro des Premierministers ohne nähere Erklärung geheißen, es gebe eine "schamlose Verletzung der Waffenruhe". Und in Rafah entzündeten sich sofort heftige Gefechte am Boden, bei denen nach Angaben aus dem dortigen Krankenhaus 50 Menschen getötet wurden. Schnell heulten dann auch in Israels Süden wieder die Luftalarmsirenen, als radikale Palästinensergruppen Mörsergranaten und Raketen abfeuerten. Es war noch nicht einmal Mittag, da berichtete die Zeitung Haaretz schon, Israels Regierung habe den UN-Nahostbeauftragten Robert Serry offiziell davon in Kenntnis gesetzt, dass die Vereinbarung zur Waffenruhe nicht mehr gelte.

Hilflos riefen die Vereinten Nationen daraufhin die Hamas auf, sich an die Feuerpause zu halten. Sollten sich die Berichte über die Kämpfe am Tunnel und die Entführung bewahrheiten, so erklärte der UN-Vermittler Serry, "würde dies eine schwere Verletzung des humanitären Waffenstillstands darstellen". Auch in Washington wurde heftiges Geschütz gegen die Hamas aufgefahren. Eine solche Entführung sei "eine barbarische Verletzung" der Feuerpause, sagte ein Sprecher des Weißen Hauses und forderte die Hamas zur sofortigen Freilassung des Gefangenen auf.

Im Gazastreifen jedoch zeigte man sich davon zunächst unbeeindruckt - und machte Israel verantwortlich fürs Scheitern aller Hoffnungen. Der Vorfall am Tunnel, so erklärte ein Sprecher, habe sich nicht erst um 9.30 Uhr ereignet, sondern bereits um sieben Uhr morgens, also eine Stunde vor dem Beginn der Waffenruhe. Von einer Entführung sagte er nichts. Israel sei "ein Feind, der niemals Vereinbarungen einhält", schimpfte von Kairo aus Mussa Abu Marzuk, der Vizechef der Exil-Hamas. Und aus Gaza ergänzte ein Hamas-Sprecher, dass nach einem Ende der Waffenruhe nun wieder "alle Raketen auf Israel zielen".

Mehr internationaler Druck geht kaum

Wer in diesem Kampfgetümmel nach guten Nachrichten sucht, kann sie ansatzweise höchstens im Lager der Vermittler finden. Nachdem zuvor ein heftiges Gerangel um Einfluss, Ruhm und Kompetenzen die ersten Anläufe zu einer Waffenruhe zum Scheitern gebracht hatte, scheint wenigstens hier nun eine Front begradigt worden zu sein. Ägypten hatte die Kontrahenten gleich nach Verkündung der Feuerpause zu Verhandlungen nach Kairo eingeladen. Katar und die Türkei als Paten der Hamas signalisierten Unterstützung. Überdies hatten die USA und die Vereinten Nationen für den Vorschlag zur Waffenruhe gemeinsam verantwortlich gezeichnet. Mehr internationaler Druck geht kaum. Doch der reicht immer noch nicht.

Entscheidend ist schließlich nicht, ob die gesamte Welt den Frieden will. Entscheidend ist, ob die beiden Konfliktparteien genug haben vom Kämpfen. Die schnell erteilte Zustimmung beider Seiten zu dieser Waffenruhe deutete zunächst noch darauf hin, dass sowohl Israel als auch die Palästinenser an einer für sie gesichtswahrenden diplomatischen Lösung interessiert sind. Doch offenbar ist immer noch das Interesse größer, der anderen Seite Schaden zuzufügen. So kann keine Waffenruhe halten, weil jeder Funke jederzeit eine Explosion auslösen kann.

© SZ vom 02.08.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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