Süddeutsche Zeitung

Fridays for Future:"Wir müssen unserem Protest andere Formen geben"

Lesezeit: 3 min

Von Jana Anzlinger und Philipp Bovermann

Der Mann am Straßenrand des Münchner Univiertels wippt ein bisschen mit, als der inzwischen vierte globale "Klimastreik" an ihm vorüberzieht - zumindest ein Teil davon. Die Bewegung Fridays for Future hat dazu, wie zuletzt am 20. September, auch die Erwerbstätigen aufgerufen. Vorneweg fährt ein alter Feuerwehrwagen mit abgeschaltetem Motor, Kinder mit Schulranzen ziehen ihn mit einem Seil, Flammen auf der Frontscheibe sollen die Erderhitzung darstellen, auf dem Dach röhrt eine Protestkapelle in die Saxophone. Die geht dem Mann in die Knie. Er lächelt. Gut finde er, was die jungen Menschen da machen. "Aber ob die wiederholten Demonstrationen wirklich etwas bringen, werden wir sehen."

Auch einige der Teilnehmer sind sich da offenbar nicht mehr ganz sicher. Ein junger Mann hinter dem Feuerwehrwagen hat ein Zitat auf sein Pappschild gemalt, das Bertolt Brecht zugeschrieben wird: "Wenn Unrecht zu Recht wird, wird Widerstand zur Pflicht." Er habe Angst, dass diese freitäglichen Demonstrationen irgendwann abflauen, sagt er. Und dass man "mal was riskieren" müsse.

Die Veranstalter werden später von rund 630 000 Teilnehmern an den Demonstrationen bundesweit sprechen. Im September waren es noch 1,4 Millionen.

Luisa Neubauer, Mitgründerin von Fridays for Future Deutschland, zeigte sich vor dem Streiktag frustriert. Vor allem vom Klimapaket der Bundesregierung, das vielen Aktivisten nicht weit genug geht. "Die Zeit war nie reifer für echte, angemessene Klimapolitik. Und trotzdem wird das nicht im Mindesten aufgenommen." Neubauer sprach sogar von "Erschöpfung", und zwar "nicht nur in der Bewegung, sondern überall in der Gesellschaft".

Von Erschöpfung bei Fridays for Future berichtet auch die Münchner Aktivistin Antonia Messerschmitt. Sie meint das sehr konkret. Bei vielen Aktivisten sei es ganz normal geworden, nur vier bis sechs Stunden pro Nacht zu schlafen. Man versuche, das Arbeitspensum verträglich zu halten, habe inzwischen "Awareness-Teams" gebildet, damit Aktivisten nicht dauerhaft über ihre persönlichen Grenzen gingen. "Das Problem ist aber, dass die Klimakrise für junge Menschen wie mich eine existenzielle, riesige Bedrohung ist", sagt die 20-Jährige. "Aber wenn ich die Chance habe, richtig viel zu arbeiten, dann kann ich die Angst wegarbeiten. Dann nehm' ich mir die Ohnmacht." Einige Aktivisten wie sie gehen nun seit fast einem Jahr freitags auf die Straße statt in die Schule, den verpassten Stoff müssen sie später nacharbeiten.

"Die Erde kocht vor Wut", hat ein Mädchen auf dem Schild stehen

Es herrscht eine gewisse Frustration. In Resignation ist diese offenbar noch nicht umgeschlagen. In der Bewegung scheinen viele der Ansicht zu sein, es sei nun an der Zeit, in den nächsten Gang zu schalten. "Viele von uns sehen, dass es nicht reicht, ausdauernd und viele zu sein", sagt am Morgen des Streiktags Carla Reemtsma, eine Pressesprecherin von Fridays for Future. "Viele sagen: Wir müssen unserem Protest andere Formen geben, um den Druck auf die Politik zu erhöhen".

Eine dieser Formen steht gerade in der Kritik: eine geplante Veranstaltung im Berliner Olympiastadion, deren Teilnehmer gemeinsam Petitionen unterzeichnen und einreichen sollen. Kritisiert wird der Eintrittspreis von fast 30 Euro. Auch der Klimastreik war als "Aktionstag" angekündigt. In zahlreichen Städten wird nicht nur demonstriert. Aktivisten veranstalten auf offener Straße kostenlose Ökologie-Workshops, Fahrraddemos und Kleidertauschaktionen als Zeichen gegen den ihrer Ansicht nach übersteigerten Konsum. In Frankfurt blockiert der Demozug einen Teil der Einkaufsstraße Zeil, die wegen des parallel stattfindenden "Black Friday" gut besucht ist. In Köln findet eine Protestaktion vor dem Institut der Deutschen Wirtschaft statt. "Wir gehen in Klassenzimmer und Parteibüros, in Einkaufszentren und auf öffentliche Plätze, zu Infrastrukturprojekten und auf Straßenkreuzungen, vor Kraftwerke und in die Fußgängerzonen", hatte Fridays for Future angekündigt. Man gehe diesmal "einen Schritt weiter", sagt Pressesprecherin Reemtsma - offenbar nach dem Prinzip: Wenn ihr nicht auf uns zukommt, liebe Konsumenten, liebe Politiker, dann kommen wir eben zu euch.

Die Bewegung tritt also etwas offensiver auf - wie die schwedische Aktivistin Greta Thunberg beim UN-Klimagipfel in New York. In ihrer Rede vor etwa 60 Staats- und Regierungschefs warf sie diesen vor, die junge Generation wissentlich um ihre Zukunft zu bringen. "How dare you", "Wie könnt ihr es wagen", fragte sie die Teilnehmer.

Die Rede ist umstritten, wird von vielen als zu emotional kritisiert. Sie gibt ganz gut wieder, wie sich die Stimmung dreht: Die Klimabewegung ist frustriert. In den Tagen nach Thunbergs Auftritt war #Howdareyou unter Aktivisten ein vielgenutzter Hashtag auf Twitter. Auch auf Protestschildern in München ist der Satz mehrfach zu lesen. "Die Erde kocht vor Wut", hat ein junges Mädchen auf seinem Schild stehen.

Greta Thunbergs Wutrede habe die Stimmung vieler junger Menschen bei Fridays for Future widergespiegelt, sagt die Aktivistin Messerschmitt. "Wenn die Klimakrise schlimmer wird und viele Menschen merken, dass sich nichts tut, dann werden sie irgendwann wütend."

In dieser Woche hat das EU-Parlament den "Klimanotstand" für Europa ausgerufen. Ein zunächst symbolischer Akt, aus dem keine unmittelbaren Konsequenzen folgen müssen. Auf Twitter schreibt Fridays for Future Deutschland, offenbar wenig beeindruckt, das sei, "wie wenn die Feuerwehr im Einsatz nur noch 'Es brennt!' schreit, statt zu löschen".

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