Süddeutsche Zeitung

Fridays for Future:Klimaaktivisten wollen ins Parlament

Die Ansage, für die Grünen antreten zu wollen, ist in der Graswurzelbewegung umstritten.

Von Michael Bauchmüller, Constanze von Bullion, Berlin

Den Anfang macht am Montag Jakob Blasel - per Interview. "Was kann ein Einzelner auf einer Fridays-for-Future-Demo bewegen?", fragt er bei Zeit Online. "Der Apparat wird sich auch nur verändern, wenn viele mit meinen Überzeugungen in Parteien und Parlamente gehen." Und das hat Blasel vor: Er will für die grüne Landesliste kandidieren - und dann für den Bundestag. "Wir brauchen radikale Klimaaktivisten im Parlament", sagt er.

Das sieht offenbar nicht nur Blasel so. Nach SZ-Informationen wollen demnächst fünf Aktivisten aus dem Umfeld von Fridays for Future ihre Bereitschaft für eine Bundestagskandidatur erklären. Und die Bewegung diskutiert: Muss sie in die Parlamente, um Dinge zu verändern? Oder muss sie gerade auf der Straße bleiben, als außerparlamentarische Opposition?

Der Kieler Blasel, 19, zählte zu den profiliertesten Köpfen der Bewegung, die 2019 Zehntausende Schülerinnen und Schüler auf die Straße brachte. Doch Blasel zieht ein enttäuschtes Fazit. Zu Beginn hätten viele geglaubt, "wenn wir nur laut genug protestieren, wird sich etwas ändern. Das war naiv." Die Bewegung sei "zu frustrierten Aktivisten geworden", sagt er.

Bei Mitstreiterinnen und Mitstreitern sorgt eher seine Kandidatur für Ärger. "Wir sind nicht frustriert", sagt Leonie Bremer, eine Sprecherin von Fridays for Future. Letztlich gehe es im Parteiensystem immer um Kompromisse. "Und Kompromisse führen nicht dazu, das Pariser Klimaabkommen einzuhalten." Zwar setzten sich die Grünen mehr als andere für Klimaschutz ein. Mit dem Ziel, die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen, sei aber auch ihr Programm nicht kompatibel. "Die Alternative ist, den Druck auf der Straße zu erhöhen", sagt Bremer.

Der Spagat wird für die Grünen breiter - zwischen Klimaschutz und breiter Wählbarkeit

Es zeigen sich Risse, innerhalb der Bewegung, aber auch zwischen Fridays for Future und den Grünen. Als die Schwedin Greta Thunberg und die deutsche Aktivistin Luisa Neubauer die Kanzlerin trafen, motzten Mitstreiter. Es schade der Bewegung, wenn immer die gleichen Leute im Vordergrund stünden, beschwerten sich vier Aktivistinnen und Aktivisten in der taz. Radikalere Stimmen kämen so zu kurz. Thunberg selbst verwies bei einer Pressekonferenz darauf, dass Fridays for Future keine Organisation sei, sondern "eine Graswurzelbewegung, die von Individuen lebt".

In Hessen schloss sich die Bewegung einem Bündnis zum Erhalt des Dannenröder Waldes an, der einer Autobahn weichen soll. Die Grünen in der Landesregierung unterstützen den Plan. Deshalb stehe ihre Glaubwürdigkeit auf dem Spiel, kritisiert Fridays for Future. "Das wird Auswirkungen auf die Bundestagswahl 2021 haben."

Die Grünenspitze nimmt solche Vorwürfe eher gelassen zur Kenntnis. "Natürlich ist es Aufgabe einer Bewegung, unsere Partei immer wieder herauszufordern", sagte die Parteivorsitzende Annalena Baerbock am Montag in Berlin. Sie freue sich, dass ein Klimaaktivist wie Jakob Blasel für den Bundestag kandidieren wolle. Die Grünen seien aus einer "Bewegungspartei" hervorgegangen und hätten mit dem Umweltaktivisten Sven Giegold oder der Menschenrechtsstreiterin Barbara Lochbihler schon öfters politische Aktivisten integriert, "deshalb ist das Teil unserer DNA".

Was Baerbock nicht sagt: Der Spagat wird für die Grünen breiter - zwischen Aktivisten, die mehr Härte beim Klimaschutz fordern, und andererseits dem Ziel, bei konservativen und liberalen Wählern zu punkten. Bei den Grünen weckt der Ruf der Jungen nach mehr Radikalität auch nicht nur schöne Erinnerungen. Die Partei hat Jahrzehnte gebraucht, um sich von einem Haufen idealistischer Weltverbesserer zur regierungsfähigen Bündnispartei zu entwickeln. Kompromisse mit Union oder gar FDP dürften schwieriger werden, wenn die härtesten Klimaschützer in der grünen Bundestagsfraktion sitzen.

Gleichzeitig will man Enttäuschte nicht verlieren, die jetzt Parteien wie "radikal:klima" in Berlin gründen. "Vielfalt bereichert uns", sagte Grünengeschäftsführer Michael Kellner. "Das sind keine Chaoten, sondern Leute, die wissen, wie man eine professionelle Kampagne macht." Die Neuen wollten "Veränderung wirklich anpacken". Dieser Wunsch dürfte aber auch den Grünen gelten.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5008593
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 25.08.2020
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.