Draußen ziehen Zehntausende demonstrierende Schüler und Erwachsene durch Berlin, so wie in vielen Tausend Orten auf der ganzen Welt. Drinnen, im Berliner "Futurium", ist die Bühne hergerichtet für den "großen Wurf". In wuchtigen Buchstaben steht "Klimaschutzprogramm 2030" an der Wand, und unter diesen Buchstaben sitzen acht Gestalten mit sehr müden Augen. 19 Stunden lang haben die Spitzen der großen Koalition über ein Paket beraten, das wahlweise den Abschied vom "Klein-Klein" (Finanzminister Olaf Scholz) oder vom "Pillepalle" bringen sollte (Kanzlerin Angela Merkel). Aber ist es auch ein großer Wurf? Ist es die Antwort auf die Demos vor der Tür und überall?
Merkel dämpft gleich zu Beginn der Pressekonferenz die Erwartungen: "Politik ist das, was möglich ist." Möglich ist an diesem Tag nur ein 22-seitiges Eckpunktepapier. "Wir haben noch nie ein so konsistentes Maßnahmenbündel gehabt", sagt Merkel. Allein die Einführung eines CO₂-Preises für Kraft- und Heizstoffe sei für die Union ein "Paradigmenwechsel".
Die Welt steht auf an diesem Freitag. In einer Wucht, wie es sie so global noch nie gegeben hat, ziehen junge Menschen auf die Straßen. Es soll ein Zeichen sein, vor dem UN-Sondergipfel in New York am Montag. Dort will auch Merkel etwas vorweisen können, und dafür braucht sie ein Paket. Und auch den Paradigmenwechsel.
Die Deutschen sollen weniger Kohlendioxid ausstoßen, aber davon möglichst nichts spüren. Beispiel CO₂-Preis: 2021 soll er eingeführt werden, zehn Euro soll dann der Ausstoß einer Tonne Kohlendioxid kosten. Für den Liter Sprit bedeutet das rund drei Cent Preiserhöhung. Bis 2025 soll er auf 35 Euro ansteigen, dann würde er Benzin um zehn Cent verteuern. Zum Ausgleich steigen Pendlerpauschale, Wohngeld, und der Strom soll etwas billiger werden. "Für uns ist wichtig, dass wir als Gesellschaft zusammenbleiben", sagt die amtierende SPD-Chefin Malu Dreyer. Nicht jeder, der das Klima schützen wolle, könne gleich ein Elektroauto kaufen.
Deshalb will die Koalition ihr Paket flankieren durch milliardenschwere Förderungen. Kaufprämien für Elektroautos, eine Million Ladesäulen, mehr Geld für Nahverkehr und Radwege. Damit auch in Gebäuden der Verbrauch fossiler Energie sinkt, soll die Sanierung sich von der Steuer absetzen lassen. Wer seine Ölheizung austauscht, soll 40 Prozent "Förderprämie" bekommen. Von 2026 an sollen keine neuen Ölheizungen mehr in Häuser eingebaut werden. Alte bleiben erlaubt.
Mehr als 54 Milliarden Euro soll das Paket bis 2023 kosten. "Wir glauben, dass in dieser Hinsicht viel auch viel hilft", sagt Finanzminister Olaf Scholz (SPD). "Wir machen jetzt Ernst." Und er lobt diejenigen, die der Politik Beine machen: ",Fridays for Future' hat uns alle aufgerüttelt." Zum Paket soll auch eine Reform der Kfz-Steuer gehören, sie soll sich stärker am CO₂-Ausstoß orientieren und sparsame Autos attraktiver machen. Die Mehrwertsteuer auf Bahnfahrten soll von 19 auf sieben Prozent sinken, dafür soll die Ticketabgabe auf Flüge steigen.
Ist das die Antwort auf die Tausenden, die schon in der Früh am Kanzleramt vorbeizogen? Es handele sich um ein "Dokument der politischen Mutlosigkeit", sagt der Potsdamer Klimaforscher Ottmar Edenhofer, der die Regierung rund um den CO₂-Preis beraten hat. Die womöglich folgenschwerste Übereinkunft findet sich am Ende des 22-Seiten-Papiers: Sie verpflichtet jedes einzelne Ressort darauf, in seinem Bereich die Klimaziele einzuhalten. Was in Verkehr, Gebäuden, Industrie und Landwirtschaft noch ausgestoßen werden darf, soll gesetzlich verankert werden. Der Mechanismus, der auf das Klimaschutzgesetz von Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) zurückgeht, könnte insbesondere Verkehrs- und Bauministerium unter Druck setzen, nachzulegen. Sie liegen weit hinter Plan. Damit bleibt der Klimaschutz eine Dauerbaustelle der Koalition - und Stoff für Proteste.
Was die Schülerinnen und Schüler von dem Paket halten, erfährt die Koalition gleich nach der sorgsam inszenierten Pressekonferenz. Ein paar Dutzend haben sich vor dem Ausgang versammelt, sie skandieren: "Das ist unsre Antwort auf eure Politik!" Das Politikversagen dieses Tages sei "gigantisch", erklären die Aktivisten später. Man habe wenig erwartet und sei "trotzdem noch enttäuscht" worden. "Wir werden so lange auf die Straße gehen, bis die deutsche Politik konform ist mit dem Klimaabkommen von Paris", sagt Nick Heubeck, Aktivist bei Fridays for Future. "Diese Klimabewegung hat gerade erst angefangen." Wenn das der Anfang ist, ist es ein großer. Weltweit dürften Millionen Menschen demonstriert haben. In Australien, Indien, Indonesien, in vielen Ländern Europas und in mehr als 600 deutschen Städten gingen Jugendliche und diesmal auch viele Erwachsene auf die Straßen; allein in Berlin sollen es nach Schätzungen von Fridays for Future 270 000 Demonstranten gewesen sein. Greta Thunberg, die 16-jährige Schwedin, die mit ihrem zunächst einsamen Schulstreik eine globale Bewegung ausgelöst hat und gerade in New York ist, sagte: "Es ist unglaublich, was wir zusammen erreicht haben. Es ist ein historischer Tag."