Süddeutsche Zeitung

"Fridays for Future":Generation Greta und der Krieg

Erst die Pandemie, jetzt Putin: Im Kampf gegen die Klimakrise stehen der Bewegung "Fridays for Future" immer wieder neue Katastrophen im Weg.

Von Thomas Balbierer, Berlin

Schon wieder eine Krise, schon wieder geht es um Leben und Tod. Und schon wieder wird der existenzielle Kampf gegen die Erderwärmung nach zwei Jahren Corona-Pandemie von einer neuen existenziellen Katastrophe überlagert: dem Krieg in der Ukraine. Und doch stehen die Anhängerinnen und Anhänger von "Fridays for Future" am Donnerstag in zahlreichen Städten in Deutschland und anderen Ländern auf der Straße, um zu protestieren. Nur rufen sie diesmal nicht wie sonst nach "climate justice", also Klimagerechtigkeit, sondern demonstrieren für "peace and justice": Frieden und Gerechtigkeit. Statt eines in Flammen stehenden Planeten sieht man nun Friedenstauben auf den Protestschildern.

"Wir können nicht so weitermachen, als wäre nichts passiert, und zum Beispiel über den Bundesverkehrswegeplan diskutieren", hatte "Fridays for Future"-Aktivistin Carla Reemtsma der Süddeutschen Zeitung im Vorfeld der Berliner Demonstration vor dem Bundestag gesagt. Es gehe nun um Hilfe und Solidarität für die Ukraine sowie um die Forderung, den Krieg zu beenden. Am Dienstag hatte der ukrainische Ableger von "Fridays for Future" zu einem internationalen Protest aufgerufen - in kurzer Zeit wurden auch in Deutschland zahlreiche Veranstaltungen organisiert.

Die Betroffenheit über den russischen Überfall auf die Ukraine in der Klimabewegung ist groß. In Berlin demonstrieren am Donnerstag laut Polizei bis zu 5000 Menschen für den Frieden, auch viele Schülerinnen und Schüler, die kurzfristig vom Unterricht freigestellt wurden. Auch in Hamburg haben die Schulkinder frei, dort zählen die Behörden 20 000 Teilnehmer, während "Fridays for Future" sogar von 120 000 "überwiegend jungen Menschen" spricht. Nach Angaben der Klimabewegung nahmen am Donnerstag in über 40 deutschen Städten mehr als 170 000 Menschen an den Protesten teil.

Klimakrise, Pandemie, Krieg: Der Generation Greta bleibt in letzter Zeit kaum eine Katastrophe erspart. Gerade mal ein Jahr hatte es die Massenproteste von "Fridays for Future" gegeben, als Anfang 2020 ein tödliches Virus namens Sars-CoV-2 das Leben aller auf den Kopf stellte. Zwei Jahre lang starrten Regierungen und Bevölkerungen mal mehr mal weniger bang auf Infektionskurven und Todeszahlen - während sie weiterhin viel zu viel CO₂ in die Atmosphäre stießen. Die Klimakrise schritt voran, dem Weltklimarat zufolge ist es schon jetzt kaum mehr möglich, die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen, wie es sich die internationale Gemeinschaft 2015 in Paris zum Ziel gesetzt hat. In der Klimabewegung sind manche schon so verzweifelt, dass sie in Hungerstreiks treten, sich an Autobahnen kleben und Prügel von wütenden Autofahrern riskieren.

Nun herrscht auch noch Krieg.

Und erneut droht die Bewegung in ihrem Kampf um das Klima zurückgeworfen zu werden. Sollte Russland die Gaslieferungen nach Deutschland kappen, will Vizekanzler und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) notfalls sogar Kohlekraftwerke wieder ans Netz bringen oder länger laufen lassen. Auch die Vorräte an dem Flüssigerdgas LNG sollen massiv aufgestockt werden. Versorgungssicherheit sei im Zweifel wichtiger als Klimaschutz, sagte Habeck am Mittwoch im Deutschlandfunk. "Da muss der Pragmatismus jede politische Festlegung schlagen."

"Wir erleben einen fossilen Krieg", sagt Carla Reemtsma

In der Klimabewegung stößt dieses Szenario auf Ablehnung. "Das ist eine reaktionäre Debatte", sagt Carla Reemtsma, eine der bekanntesten Vertreterinnen von "Fridays for Future" in Deutschland. "Wir erleben einen fossilen Krieg, der auch durch Länder wie Deutschland finanziert wird, die von fossilen Energieträgern abhängig sind." Eine der Antworten auf den Krieg müsse daher das schnelle Aus von Kohle, Öl und Gas sein - und nicht der Einstieg in andere klimaschädliche Ressourcen wie LNG. "Gerade Robert Habeck als Wirtschafts- und Klimaminister ist jetzt gefordert, den Ausbau der erneuerbaren Energien radikal zu beschleunigen."

Auch die Ankündigung von Olaf Scholz, ein 100 Milliarden Euro schweres Sondervermögen für die Bundeswehr aufzubauen, wird in der Klimabewegung kritisch gesehen. "Der politische Wille zu sagen, wir stecken 100 Milliarden Euro ins Militär, ist da", sagte Klimaaktivistin Luisa Neubauer am Donnerstag im WDR. "Wo ist der politische Wille zu sagen, wir rüsten jetzt richtig unsere Energiesysteme auf, damit sie demokratisch werden?"

"Die Aufrüstung ist ein Drama für die Klimakrise", sagt ein Demonstrant

Unsicherheit ist auch bei den Demonstrierenden vor dem Bundestag zu spüren. Len, 27, und Theresa, 31, stehen gemeinsam auf der großen Rasenfläche vor dem Reichstagsgebäude. Das Pärchen hat gerade Mittagspause und will sich dem Protest anschließen. Auf ein Pappschild haben sie "Stop Putin, stop war" geschrieben, auf der Rückseite steht "Peace". "Ich bin gegen Waffengewalt", sagt Len, verwendet sogar das Wörtchen "Pazifist". Doch in der aktuellen Lage, in der Russland die Ukraine aus der Luft angreift, befürworte er die deutsche Ankündigung, 2700 Flugabwehrraketen an die Ukraine zu liefern. "Da geht es um Selbstverteidigung." Anders bewertet er das 100-Milliarden-Paket für die Bundeswehr. "Die Aufrüstung ist ein Drama für die Klimakrise." Er sehe zwar die Notwendigkeit, die Bundeswehr zu stärken, doch die Riesensumme sei unverhältnismäßig - gerade mit Blick auf die bislang versäumten Investitionen in die Energiewende. "Ich halte das für eine emotionale Überreaktion", sagt Len.

Im Rahmen der Demo veröffentlichte eine Gruppe aus Schülerinnen, Azubis und Studenten einen offenen Brief an die Bundesregierung, in dem sie zu einer "Zukunft ohne Krieg" aufruft. Die Aufrüstung wird darin als falsch bezeichnet. "Wir wollen nicht in einer Welt voller Waffen leben, sondern in einer Zukunft ohne Krieg, Klimakrise, Armut und Hunger." Die Klimabewegung, sie ist in diesen Tagen auch eine Friedensbewegung.

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