Süddeutsche Zeitung

Antisemitismus:"Ein Judenhasser, wie er krasser kaum vorstellbar ist"

Der Historiker Michael Hagemeister über den "Berufsantisemiten" Hans Jonak von Freyenwald und dessen Buch "Jüdische Bekenntnisse", das Heinz-Christian Strache offenbar signiert hat.

Interview von Bastian Obermayer

Michael Hagemeister, 69, ist Historiker und Slawist. Er lehrte an Universitäten in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Seine Forschungsschwerpunkte sind russische Philosophie und Geistesgeschichte, utopisches und apokalyptisches Denken sowie Ursprung und Rezeption der antisemitischen "Protokolle der Weisen von Zion".

SZ: Nach SZ-Recherchen hat der ehemalige österreichische Vizekanzler Heinz-Christian Strache einem Weggefährten aus der rechtsextremen Szene Anfang der Neunziger Jahre die Hetzschrift "Jüdische Bekenntnisse aus allen Zeiten und Ländern" signiert. Was ist das für ein Buch?

Michael Hagemeister: Es ist ein bereits auf den ersten Blick als zutiefst antisemitisches Machwerk erkennbares Buch, zusammengestellt und erstmals veröffentlicht 1941 von einem hartgesottenen Antisemiten im nationalsozialistischen und - noch einmal - zutiefst antisemitischen Stürmer-Verlag.

Also ein Buch von Judenhassern für Judenhasser?

Exakt.

Was ist das Besondere an diesem Buch, das im Vorwort schon erklärt, es solle "die zersetzende Tätigkeit dieses heimlichen Feindes des Menschengeschlechtes" aufdecken?

Es handelt sich um eine Sammlung von Zitaten aus unterschiedlichsten Quellen - dem Alten Testament, dem Talmud, Aufsätzen, Zeitungsartikeln, Gebeten, Romanen, usw. - die in 30 Kapiteln "ein möglichst vollständiges Bild über das ganze Gebiet der Judenfrage bieten" sollen. Die Zitate sind vermutlich authentisch, doch sind sie sämtlich aus dem Zusammenhang gerissen. Entscheidend ist doch die Absicht, die hinter der Zitatmontage steht, und die ist durch und durch perfide: Die Juden sollten sich und ihre angeblich finsteren Intentionen auf diese Weise gleichsam selbst entlarven! Eben deshalb ist das Buch ein Dauerbrenner in rechtsextremen Kreisen, man kann es bis heute problemlos im Internet bestellen. Die obskuren Verlage, die so etwas nachdrucken, reden sich meist darauf heraus, dies sei nur zu wissenschaftlichen Zwecken. Aber das ist natürlich Unsinn und nur ein Deckmantel für die eigentlichen Propagandazwecke.

Vorsichtige Frage: Kann man in diesem Buch enthaltenen Judenhass übersehen?

Sehr theoretisch: ja. Wenn man sehr naiv und völlig geschichtsvergessen wäre. Aber diese Erklärung fällt in diesem Fall ja weg, die Widmung im Buch ...

... die laut eines Sachverständigen für Handschriften zu 99,99 Prozent von Heinz-Christian Strache stammt und in der von der "machtlüsternen Gedankenwelt" der Juden die Rede ist ...

... genau, die ist ja eindeutig antisemitisch und zeugt von einer kruden Verschwörungsideologie.

Der Verfasser der "Jüdischen Bekenntnisse" ist ein gewisser Hans Jonak von Freyenwald, ein 1878 geborener österreichischer Jurist und Autor, über den kaum jemand so viel weiß wie Sie - weil Sie seinen Nachlass ausgewertet haben. Wie würden Sie Jonak und seine politische Weltsicht beschreiben?

Hans Jonak von Freyenwald war ein Judenhasser, wie er krasser kaum vorstellbar ist, und ein Berufsantisemit, darauf gründet seine zweite Karriere, wenn man so will. Er ging als Ministerialbeamter im österreichischen Staatsdienst sehr früh in Pension, mit Mitte 40, und widmete sich dann seiner Obsession: der angeblichen jüdischen Weltverschwörung.

Wie sah diese zweite Karriere aus?

Er schrieb für dezidiert judenfeindliche Zeitschriften wie den Hammer und den Weltkampf. Er war Mitarbeiter der antisemitischen Propaganda- und Nachrichtenagentur "Welt-Dienst" und später des Stürmers. Außerdem veröffentlichte er unter verschiedenen Pseudonymen eine ganze Reihe von Büchern und Broschüren, in denen er gegen die Juden, gegen die Freimaurer und die Zeugen Jehovas agitierte. Das hängt übrigens zusammen, er dachte, die Freimaurer und die Zeugen Jehovas seien Verbündete des Judentums.

Jonak von Freyenwald veröffentlichte unter anderem auch als , Dr. Stephan Vász, Hans Richter, Tibor Erdély oder Karl Bergmeister. Warum nutzte er so viele Pseudonyme?

Das war damals durchaus gängig unter antisemitischen Autoren und dürfte eher nicht dem Selbstschutz gedient haben, denn Jonak trat ja durchaus auch unter seinem Namen auf. Vermutlich wollten diese Leute damals, auch durch ausländisch klingende Pseudonyme, den Eindruck erwecken, es gäbe eine breite internationale Front antisemitischer Autoren. In Wahrheit war der Kreis ziemlich übersichtlich. Aber Jonak befasste sich mit seinem Thema tatsächlich sehr tiefgehend und betrieb viel Aufwand. Aufgrund seiner Forschung, die man natürlich in Anführungszeichen setzen muss, galt er unter Gleichgesinnten, in der Internationale der Judengegner sozusagen, durchaus als Fachmann.

Deswegen wurde er auch hinzugezogen, als es 1933 bis 1935 in Bern zu einem Prozess kam, bei dem gerichtlich bestätigt wurde, dass die angebliche jüdische Weltverschwörungsschrift "Die Protokolle der Weisen von Zion" eine Fälschung war?

Richtig. Er war im Hintergrund, ohne selbst in Erscheinung zu treten, der Hauptgutachter der Antisemiten, die von jüdischen Gruppen verklagt worden waren wegen der Verbreitung der "Protokolle der Weisen von Zion". Jonak war von deren Echtheit überzeugt und suchte dies durch eigene Recherchen, wenn auch vergeblich, nachzuweisen.

Sie haben wochenlang Jonaks Nachlass durchgearbeitet, den die Wiener Library 1955 erstanden hat, und der inzwischen in Tel Aviv lagert. Dazu gehörten seine Bücher, Schriften und sehr viel Korrespondenz. Was lässt sich daraus über den Mann herauslesen?

Sein Fanatismus. Er hat, quasi als antisemitischer Privatgelehrter, enormen Aufwand betrieben, um seine Ziele zu verfolgen - etwa "die moralische Verderbtheit" der Juden nachzuweisen. Zudem muss er wohlhabend gewesen sein, um sich diesen Aufwand leisten zu können. Er besaß auch eine umfangreiche antisemitische Bibliothek, Hunderte von Büchern, zum Teil extrem selten. Und er ist viel gereist für seine Recherchen, auch da hat es ihm nie an Geld gefehlt - jedenfalls hat er in seiner Korrespondenz nie geklagt. Zu seinen antisemitischen Projekten gehörte auch eine Monographie über angebliche jüdische Ritualmorde, die jedoch unveröffentlicht blieb.

... über Juden, die Christenkinder essen?

Nein, ein wenig anders. Es geht um den uralten Vorwurf, Juden würden vor allem um das Pessachfest herum Christenkindern Blut abzapfen, um es für magische Zwecke zu verwenden. Jonak war davon überzeugt. Auch dafür hat er akribisch nach Belegen gesucht.

Geht aus seinem Nachlass hervor, wie er zum Holocaust stand?

Nein. Es lässt sich aber sagen, dass er in den 30er Jahren Anhänger der sogenannten Madagaskar-Lösung war: Die Juden sollten aus dem deutschen Volkskörper ausgeschieden werden, so nannten die Judenfeinde das damals, und nach Madagaskar deportiert werden. Dort sollten sie sich dann "entparasiten" und zusehen, wie sie zurechtkommen.

Was wurde aus Hans Jonak von Freyenwald nach dem Krieg?

Dazu habe ich nichts im Archiv gefunden. Man weiß lediglich, dass er im November 1953 in Wien starb.

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