Süddeutsche Zeitung

Freundin von Boris Nemzow:In der russischen Gerüchteküche

Ein eifersüchtiger Liebhaber, eine Abtreibung und Mordpläne des ukrainischen Geheimdienstes: Russische Medien dichten Schmierengeschichten rund um die Freundin des ermordeten Oppositionellen Nemzow zusammen.

Von Julian Hans

Das Model und der Playboy von der Opposition - das war eine Steilvorlage für die regierungstreuen russischen Boulevardmedien. Das Blut von Boris Nemzow war kaum vom Asphalt gewaschen, da verbreitete Life-News schon die Geschichte von einer Abtreibung, zu der Nemzow seine Freundin Anna Durizka angeblich gezwungen habe. Der Kanal ist dafür bekannt, dass der russische Geheimdienst ihn gerne nutzt, um Geschichten zu streuen. Exklusivbilder des versteckt in Moskau lebenden Edward Snowden etwa kamen stets über Life-News an die Öffentlichkeit, wenn es gerade angebracht erschien, an den US-Whistleblower im Schutz - oder in der Hand? - Moskaus zu erinnern.

Anna Durizka bietet gleich mehrere Ansatzpunkte, die russische Medien zu immer neuen Schmierengeschichten zusammenfügen: Ein 23 Jahre altes Fotomodel - da musste wohl ein eifersüchtiger Liebhaber hinter dem Mord an dem Oppositionspolitiker stecken! Eine Ukrainerin aus der Nähe von Kiew - ließ der ukrainische Geheimdienst Nemzow töten, um das Ansehen Russlands in der Welt zu beschädigen? Und weshalb hatten die Mörder Durizka am Leben gelassen, als einzige Zeugin? War sie gar eine Komplizin?

Bevor die russischen Behörden Durizka am Montag in ihre Heimat ausreisen ließen, gab sie dem privaten Internetsender Doschd und der liberalen Radiostation Echo Moskaus Interviews. Sichtlich unter Schock stehend, konnte sie wenig mehr antworten als "ja" und "nein" und "ich erinnere mich nicht". Sie habe sich mit Nemzow im Café Bosco getroffen, das im Kaufhaus Gum am Roten Platz liegt. Danach hätten sie sich zu Fuß auf den Weg zu Nemzows Wohnung auf der anderen Flussseite gemacht. Den Täter habe sie nicht gesehen, er sei ja von hinten gekommen. Und was danach passierte: "Ich kann mich nicht erinnern."

Durizka will nicht ins Zeugenschutzprogramm

Woran sie sich dann wieder erinnern konnte, war, dass die Ermittler ihre Sachen durchsuchten und die Daten von ihrem Telefon kopierten. Sie hat weiterhin den Status als Zeugin, nicht als Verdächtige, wollte aber das Land verlassen, bevor die Behörden es sich vielleicht noch anders überlegen. In der Zeit, in der sie nicht zur Befragung bei den Ermittlern war, wohnte sie in einer Wohnung von Freunden Nemzows unter Polizeischutz. Ein Zeugenschutzprogramm lehnte sie aber ab.

Durizka hat an einer Wirtschaftshochschule in Kiew studiert, in der Online-Kartei einer Model-Agentur sind ihre Bilder zu finden. Das war aber wohl eher ein Nebenjob als eine Profikarriere, denn gleichzeitig suchte sie auf Internet-Portalen auch Arbeit als Sekretärin und in einem Reisebüro. Nemzow, der 55 Jahre alt wurde, hinterlässt vier Kinder von drei Frauen. Verheiratet war er nur einmal. Durizka soll er vor drei Jahren im Urlaub kennengelernt haben, heißt es. Deren Mutter sagte dem Massenblatt Komsomolskaja Prawda, für Anna sei Nemzow die Liebe ihres Lebens gewesen.

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SZ vom 04.03.2015/dayk
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