Fremdsex im Alltag:Herr Geis, der Horst und die Treue

Wenn der CSU-Mann Norbert Geis über Treue spricht, gibt es keine Überraschungen. Wenn das konservative Schlachtross aber auf Horst Seehofer angesprochen wird, dann brennen alle Sicherungen durch. Über einen denkwürdigen Abend im Herzen der Hauptstadt.

Thorsten Denkler, Berlin

Der Moment, in dem Norbert Geis seine Fassung verliert, ist für Désirée Nick eine Offenbarung. Norbert Geis ist so etwas wie der letzte wahre Konservative der CSU. Ein Mann mit Prinzipien. Pro Ehe und ewige Treue. Gegen das Lotterleben, diese erschreckende Unverbindlichkeit. Auch gegen die Homoehe. Wäre Norbert Geis eine Marke, der Bundestagsabgeordnete könnte so seinen Markenkern umschreiben.

Fremdsex im Alltag: Sprechen wir über Treue

Sprechen wir über Treue

(Foto: sïanaïs / photocase.com)

Jetzt sitzt er hier an diesem frühlingshaften Donnerstagabend auf dem Podium im "Meistersaal" nahe des Potsdamer Platzes in der Hauptstadt. Der Ort ist eine Berliner Institution. Vor 100 Jahren erhielten hier Handwerker ihren Meisterbrief, daher der Name. In den Goldenen 20ern spielten Musiker, lasen Dichter. Kurt Tucholsky trat hier auf.

Und jetzt soll Norbert Geis auf dieser Bühne über Treue sprechen.

Die Überschrift für den Abend kann ihm nicht gefallen: "Treue ist vergebliche Liebesmüh!" Zwei Teams treten gegen einander an, Wissenschaftler, Politiker, Hobbypsychologen, Entertainer. Vier auf jeder Seite. Links vom Publikum der Grüne und Schwulenaktivist Volker Beck, das alternde Starlett Désirée Nick, der Evolutionsbiologe Eckart Voland und der Paartherapeut Michael Mary. Rechts vom Publikum der Sozialwissenschaftler Hans Bertram, das Lebensratgeberpaar Eva-Maria und Wolfram Zurhorst und ganz, ganz rechts: Norbert Geis.

Bevor es losgeht, eine Abstimmung im Saal. Ein kurzer Blick: Die Frauenquote dürfte bei mehr als 50 Prozent liegen. Das Ergebnis der computergestützten TED-Analyse wird also durch einen Überhang des einen oder anderen Geschlechtes vermutlich nicht verfälscht. Nach 30 Sekunden steht das Ergebnis: Etwa 61 Prozent stehen zum Prinzip der Treue. Gut 30 Prozent halten es für überholt. Der Rest enthält sich. Obwohl Moderator Jörg Thadeusz gesagt hatte, er könne nicht verstehen, wie sich jemand bei dem Thema enthalten könne. Aber gut.

Alle dürfen kurz ein Startplädoyer halten. Der Biowissenschaftler Voland (er hat zum Sozialverhalten der Primaten promoviert), kann nicht erkennen, dass der Mensch evolutionär zur Treue angelegt ist - im Gegenteil. "Die Leidenschaften sind nicht rational kontrollierbar." Niemand sei Herr oder Frau im eigenen Haus, wenn es um Liebe und Triebe gehe.

Dann darf auch schon Geis ans Pult. Der Mann also, der Joachim Gauck empfohlen hat, seine Lebensgefährtin zu heiraten, wenn er schon meint, das Land als Bundespräsident repräsentieren zu müssen. Dabei ist Gauck ja immer noch verheiratet. Nur nicht mit der Frau, mit der er zusammenlebt.

Ein "grandios ergreifendes Bild"

Geis jedenfalls hält eine flammende Rede für die ewige Treue. Spätestens mit dem Ringtausch sei die Sache entschieden. Die Sehnsucht nach der Treue komme aus der Mitte der menschlichen Persönlichkeit. Das könne auch ein Biologe nicht einfach beiseite schieben. Wenn er alte Leute Händchen haltend auf einer Parkbank sehe, dann sei das für ihn ein "grandios ergreifendes Bild", findet Geis. Und erntet da noch reichlich Beifall für seinen Beitrag. Treue, hach, das ist doch ein schönes Ideal.

Aber war da nicht was mit einem bayerischen Ministerpräsidenten und CSU-Chef?

Der aus Funk, Fernsehen und Brigitte bekannte Paartherapeut Michael Mary findet nicht, dass Treue hilft. Im Gegenteil: Nur in der Untreue wächst ihm zufolge der Mensch, kommt er sich näher, seinen Bedürfnissen, seinen Begierden, seinem Selbst. Sein Beispiel aus der Praxis: Ein Mann hat nach Jahren wieder guten Sex - allerdings nicht mit seiner Ehefrau. Und plötzlich sind alle Depressionen wie weggeblasen. So schnell kann es gehen, glaubt Mary.

Das Zurhorst-Berater-Lebenscoaching- und "Immer-nur-Wir"-Paar hat ein paar Schwierigkeiten, ihre zur Schau gestellte Zweisamkeit am Pult in praktisches Leben umzusetzen. Jedenfalls erzählt sie mehr als sie sollte und er hat echte Probleme ihr zu folgen - trotz des Konzepts, das er auf seinem Smartphone gespeichert hat.

Zusammengefasst sagen die Zurhorsts, die es mit Bestsellertiteln der Reihe "Liebe dich selbst" zu gewisser Bekanntheit gebracht haben: Fremdgehen sei was für Anfänger, das wissen sie, sie sind beide schon fremdgegangen, aber das reicht ja nicht. Sex ist eben nicht alles, Fremdsex auch irgendwie so belanglos, wobei das Problem mit dem Fremdgehen ja auch ist, dass der Fremde irgendwann bekannt wird. Und übrigens besteht eine Beziehung ja zu 99,999999 Prozent aus Alltag. Da stellt sich schon die Frage, "wie bringe ich mich als Frau in den Alltag ein", sagt sie. Sagt er: "Meine Frau bringt gerade das Konzept durcheinander."

"Bourgeoise Phantasie des Biedermeier"

Dass Désirée Nick von Treue nichts hält, ist weithin bekannt. Sie schafft es aber, diesen Umstand durch zwar geschliffene, aber zuweilen etwas überlaute Beiträge vergessen zu machen. Irgendwie scheint sie zu glauben, Untreue sei das Menschrecht eines jeden unglücklich bemannten oder befrauten Individuums. "Man guckt ja nicht auf dem Höhepunkt seines Glückes in den Kalender: Morgen nüscht zu tun, na dann werde ich mal fremdgehen!", lispelt sie. Und überhaupt sei das Treueideal nur "eine bourgeoise Phantasie des Biedermeier!" Gut, das ist unterhaltsam, bringt aber die Debatte nicht wirklich voran.

Wohingegen Volker Beck etwas durchaus Substantielles sagt. Jeder soll doch einfach leben, wie er es für richtig hält. Und: Es darf unterschieden werden zwischen der sexuellen Treue auf der einen und der sozialen Treue auf der anderen Seite. Die sei nämlich viel wichtiger als die sexuelle Treue, die sich ohnehin kaum einhalten lasse. Da sollten alle mal eine Runde entspannter werden. So manche Trennung ließe sich verhindern, wenn an die sexuelle Treue nicht so hohe Erwartungen gestellt würden.

Sozialwissenschaftler Bertram findet das im Prinzip auch, stellt aber fest, dass die Treue-Sehnsucht in der Gesellschaft fest verankert sein. Er nennt es das sequentielle Modell der Monogamie, das es unter den Menschen in Europa "immer schon" gegeben habe.

Damit also wären die Fronten abgesteckt. Norbert Geis nickt zufrieden. Der Seite des Teufels haben sie es gegeben. Denkt er. Nur hat er nicht mit dem Moderator gerechnet.

Herr Geis, beginnt Thadeusz harmlos und schwenkt umgehend auf den Mann ein, ohne den die CSU derzeit nicht denkbar ist. Den Seehofer Horst. Der hat bekanntlich die Ehe gebrochen, ein Kind mit einer gewissen Frau Fröhlich gezeugt, diese dann aber schlicht sitzen lassen. So, Herr Geis, wie passt das mit Ihrem Treueverständnis zusammen?

Schweigen. Geis ist ja ein alter Fuchs im politischen Geschäft. Volker Beck witzelte noch, wahre Treue geben es nur zwischen ihm und Geis, weil sie beide seit nunmehr 20 Jahren durch die Talkshows dieser Welt tingelten, um über solche und ähnliche Themen zu streiten.

Geis sagt dann erstmal, die Frage von Thadeusz sei "schon etwas frech". Er atmet tief durch, macht dann aber den schweren Fehler, die Frage auch noch zu beantworten. Er sagt den unfassbaren Satz: "Soweit ich weiß, ist Horst Seehofer seiner Frau treu geblieben". Als da schon die Lacher im Saal nicht mehr zu überhören sind, setzt er ein "äh, am Ende" nach, das die Sache nicht wirklich besser macht.

Eine Szene wie eine Offenbarung - zumindest für Désirée Nick, die nicht anders kann, als sich ganz nah vor das Mikrofon zu beugen und laut über die sich ihrer Ansicht nach nun in ihrer ganzen Hässlichkeit zeigende "Bigotterie" der Herren Geis, Seehofer und überhaupt dieser ganzen Doppelmoralapostel zu schimpfen.

"Diese Frage sollte hier nicht gestellt werden"

Jetzt ist Geis richtig von der Rolle: Auf diese Debatte "habe ich keine Lust!", brüllt er und warnt, wenn das so weitergeht, "dann stehe ich auf und gehe!"

Nick will aber nicht aufhören und empört sich weiter über diesen Seehofer, der sich "schuldig gemacht hat an dem Kind". Thadeusz kann sie nur schwer beruhigen. Geis kann sich kaum auf dem Stuhl halten. Und begeht seinen nächsten Fehler, als er in seiner ganzen Rage den wahren Grund seiner Empörung offenlegt: "Ich habe die Bedingung gestellt, dass diese Frage hier nicht gestellt wird! Das war ein Wortbruch! Das ist mir noch nie passiert!"

Nun, Geis geht dann doch nicht. Besser macht es das für ihn nicht mehr. Er will und will die Frage beantworten. Den Bigotterie-Vorwurf kann er ja nicht einfach auf sich sitzen lassen. Er formuliert es möglichst vorsichtig: "Wenn der Ehemann verspricht, ich halte dir die Treue, diese aber bricht, dann soll er die Möglichkeit haben, die Treue wieder aufzunehmen."

Der Satz muss jetzt mal ein paar Sekunden so stehen bleiben.

Danach gibt es in der Debatte kaum neue Erkenntnisse. Dafür aber am Ende einen Überraschungssieger. Zur Erinnerung: Am Anfang standen sich Treue-Befürworter und -Gegner im Publikum noch mit 60 zu 30 Prozentpunkten gegenüber. Jetzt die Schlussabstimmung per TED. Ergebnis: Treue halten jetzt 49 Prozent für ein überholtes Konzept. Der Treue wollen nur noch knapp 42 Prozent die Treue halten. Der Dank dafür geht zweifelsohne an die CSU.

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