Fremdenfeindlichkeit:Neue Dimension der Gewalt in Villingen-Schwenningen

Anschlag auf Flüchtlingsunterkunft in Villingen-Schwenningen

Villingen-Schwenningen ist eine Stadt, die nicht den besten Ruf hat. Nun ermittelt die Sonderkommission "Container" am Tatort.

(Foto: Patrick Seeger/dpa)
  • In der Nacht auf Freitag wirft jemand eine Handgranate über den Zaun einer Flüchtlingsunterkunft in Villingen-Schwenningen.
  • Die Granate fliegt in Richtung eines Containers, in dem sich drei Wachleute eines privaten Sicherheitsdienstes aufhalten.
  • Soko-Chef Rolf Straub gibt sich bei einer Pressekonferenz zurückhaltend.

Von Josef Kelnberger, Stuttgart

Oberbürgermeister Rupert Kubon weiß, dass seine Stadt in Deutschland nicht den besten Ruf hat. Im Stadtrat von Villingen-Schwenningen sitzt seit Jahren ein NPD-Mann, es haben turbulente Demonstrationen von Pegida stattgefunden, vergangene Woche nahm die Polizei dort den mutmaßlichen Betreiber der Neonazi-Internetseite "Altermedia" fest.

Doch weist Kubon, ein Sozialdemokrat, die Unterstellung zurück, er regiere ein rechtsgewirktes Gemeinwesen. Es gebe viel ehrenamtliches Engagement für Flüchtlinge - zwar auch Protest, aber selbst in der Beziehung sei es gerade "relativ entspannt". Denn die Unterkünfte sind kaum belegt. Und nun diese Meldung: In der Nacht auf Freitag wurde eine Handgranate über den Zaun des Quartiers in der Kirnacher Straße geworfen.

Der Sicherheitssplint war gezogen

"Wir sind entsetzt und verurteilen die Gewalt", sagt Kubon am Telefon. Aber ein Urteil über die Hintergründe der Tat will er erst einmal nicht abgeben.

Die Handgranate enthielt Sprengstoff, der Sicherheitssplint war gezogen, doch der Sprengkörper explodierte nicht. Möglicherweise war kein Zünder verbaut. Ein Wachmann bemerkte die Granate gegen 1.15 Uhr. Aus Stuttgart rückten Experten des Landeskriminalamts an, gegen fünf Uhr morgens sprengten sie die Granate kontrolliert.

Eine Handgranate als Waffe - das bedeutet eine neue Dimension der Gewalt gegen Flüchtlingsheime in Deutschland. Erstmals wurde Sprengstoff verwendet. Allerdings weiß die Polizei noch nicht, ob der Anschlag sich gegen die Flüchtlinge richtete. Sie ermittelt in alle Richtungen. Es wurde eine Sonderkommission mit 75 Beamten gebildet, sie trägt den Namen "Container".

Bundesjustizminister Heiko Maas

"Die neue Qualität der Hetze und Gewalt muss allen Demokraten ein Ansporn sein, noch entschiedener für unsere offene und tolerante Gesellschaft einzutreten."

Und der Name deutet auf ein alternatives Tatmotiv an: Die Granate flog in Richtung eines Containers, in dem sich in der Nacht drei Wachleute eines privaten Sicherheitsdienstes aufhielten. Sie wären die Opfer gewesen, wenn die Granate explodiert wäre. Angeblich verfügt die Polizei über Hinweise, die Tat könnte mit Vorfällen im Wachteam zu tun haben.

Zahl der Anschläge steigt dramatisch

Soko-Chef Rolf Straub gab sich bei einer Pressekonferenz am Freitagnachmittag zurückhaltend. Es werde geprüft, ob es sich um eine fremdenfeindliche Tat handele. Aber auch andere Möglichkeiten würden in Betracht gezogen.

Politiker aller Parteien gingen am Freitag von einem fremdenfeindlichen Hintergrund der Tat aus. Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) sprach von einem "feigen Angriff". Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) sagte: "Wir dürfen nicht abwarten, bis es die ersten Toten gibt." Volker Beck, innenpolitischer Sprecher der Grünen, sprach von "Straßenterror" und forderte eine "Flüchtlingsschutzpolitik". Als "wirklich unfasslich" empfand Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann die Tat.

In Villingen-Schwenningen hat sich die Stimmung beruhigt

Die Zahl der Anschläge gegen Flüchtlingsunterkünfte ist laut Bundeskriminalamt in Deutschland im Jahr 2015 dramatisch gestiegen. 173 Gewalttaten wurden registriert, sechsmal mehr als im Vorjahr. 2014 hatte man 28 Gewalttaten registriert. Besonders alarmierend ist die Zunahme bei den Brandstiftungen, von sechs auf 92. Auch in Baden-Württemberg stieg die Zahl der Anschläge.

In Villingen-Schwenningen, der 80 000-Einwohner-Stadt am Ostrand des Schwarzwalds, gibt es zwei Unterkünfte. Am Ort des Anschlags sind derzeit 104 Asylbewerber untergebracht, ausgelegt ist die Anlage für 1200. Auf dem Messegelände sind nur 95 der 950 vorhandenen Plätze belegt. Auch daran liegt es, dass sich die Stimmung beruhigt hat. Im vergangenen Herbst, als die Zugangszahlen stiegen, gab es massive Beschwerden. Auch durch den Einsatz von Sozialarbeitern gelang es, die Gemüter zu beruhigen.

Oberbürgermeister Kubon will nach dem Handgranatenwurf den Bürgern wieder verstärkt den Dialog anbieten - unabhängig vom Hintergrund der Tat.

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