Freizügigkeit:Koalition will keine Billig-Arbeiter bis 2011

CDU und SPD wollen den Zuzug von Arbeitnehmern aus Osteuropa weiter einschränken. Doch die Arbeitgeber beklagen einen Fachkräftemangel und wollen Lehrlinge in Polen und Tschechien anwerben.

Varinia Bernau

Die Große Koalition will nach den Worten des innenpolitischen Sprechers der Unionsfraktion im Bundestag, Hans-Peter Uhl, die Freizügigkeit für unqualifizierte Arbeiter aus den neuen osteuropäischen EU-Staaten um weitere zwei Jahre auf 2011 verschieben. "Im Gegenzug wollen wir qualifizierte Fachkräfte nach Deutschland holen. Wenn es sich um Ausländer handelt, die wir brauchen, dann tun wir etwas für sie und ihre Familien", sagte der CSU-Politiker dem Kölner Stadt-Anzeiger.

Freizügigkeit: Weil die Wirtschaft zunehmend Fachkräftemangel beklagt, sollen qualifizierte Arbeitskräfte künftig leichter in Deutschland arbeiten dürfen.

Weil die Wirtschaft zunehmend Fachkräftemangel beklagt, sollen qualifizierte Arbeitskräfte künftig leichter in Deutschland arbeiten dürfen.

(Foto: Foto: dpa)

Geduldete Akademiker und Facharbeiter sollen nach Uhls Worten bereits dann eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis erhalten, wenn sie zwei Jahre lang in Deutschland in ihrem erlernten Beruf gearbeitet haben. Zudem solle die Verdienstgrenze, von der an sich Spezialisten aus dem Ausland nicht mehr einer Prüfung durch die Bundesagentur für Arbeit unterziehen müssen, von 86.400 auf 63.600 Euro gesenkt werden.

Anreize für Akademiker

Eine Sprecherin des Arbeitsministeriums sagte, man sei diesbezüglich in der Abstimmung mit dem Innenministerium. Dabei zeichne sich die Tendenz ab, den Zuzug weiterhin zu beschränken und zugleich Akademikern Anreize für die Einwanderung zu bieten. Eine abschließende Einigung gebe es noch nicht. Im Koalitionsvertrag hatten sich CDU und SPD darauf verständigt, die Beitrittsregelung aus dem EU-Vertrag auszuschöpfen.

Die eingeschränkte Freizügigkeit von Arbeitnehmern aus Osteuropa war Teil der EU-Erweiterung im Jahr 2004: Danach durften die Altmitglieder der Staatengemeinschaft den Arbeitskräftezuzug aus dem Osten in drei Etappen von insgesamt sieben Jahren beschränken. Das betrifft beispielsweise Arbeitnehmer aus Polen, Ungarn, Slowenien, Tschechien und der Slowakei. Derzeit gilt in Deutschland eine Schutzklausel bis April 2009, die Bundesregierung kann in Brüssel jedoch weiteren Aufschub bis 2011 beantragen. Nach Auskunft einer Sprecherin des europäischen Arbeitskommissars Vladimir Spidla muss dabei gezeigt werden, dass ein Ende der Übergangsfrist den Arbeitsmarkt in Deutschland stören würde.

Arbeitsminister Olaf Scholz (SPD) hatte sich bereits in den vergangenen Monaten für eine Blockade des Arbeitsmarktes ausgesprochen - mit Verweis auf die hiesigen Abeitslosenzahlen. Osteuropäer können derzeit nur als selbstständige Unternehmer nach Deutschland kommen. Es gebe keine Statistik darüber, wie viele diese Regelung in der Vergangenheit nutzten, sagte die Specherin des Arbeitsministeriums. Ausnahmen in der Schutzklausel gibt es zudem für Saisonarbeiter, die zeitlich befristet in der Landwirtschaft aushelfen dürfen. Auch für Ingenieure gelten kaum noch Beschränkungen.

Fehlende Bewerber für Ausbildungsplätze

Unterdessen hat das deutsche Handwerk angekündigt, wegen eines sich verschärfenden Mangels an qualifizierten Lehrlingen in Zukunft auf Anwerbetour in Polen und Tschechien zu gehen. Viele Betriebe könnten wegen des Rückgangs deutscher Bewerber nur noch so ihre Existenz sichern, sagte der Generalsekretär des Deutschen Handwerks, Hanns-Eberhard Schleyer, der Wirtschaftswoche.

Schleyer beschrieb die Ausbildungssituation im Osten Deutschlands als dramatisch: Dort werde sich die Zahl jugendlicher Bewerber bis 2011 halbieren. "Viele unserer Betriebe schlagen Alarm, da sie ihre Stellen nicht mehr besetzen können. Langfristig kann das existenzgefährdend sein." Man solle schon bald Jugendliche aus grenznahen Regionen in Polen oder Tschechien für eine Ausbildung in Deutschland gewinnen. Diese will das Handwerk nicht als Gastarbeiter, sondern auf Dauer. "Im EU-Binnenmarkt darf solche Freizügigkeit kein Tabu sein", sagte Schleyer. "Sollte die Arbeitnehmerfreizügigkeit mit den Beitrittsländern 2009 noch um zwei Jahre aufgeschoben werden, müssen wir für Auszubildende eine Ausnahme machen. Sonst fehlt uns der Nachwuchs."

Arbeitgebervertreter lobten hingegen die Pläne der Koalition, Anreize für den Zuzug von Akademikern zu schaffen. "Schon jetzt fehlen 400.000 Fachkräfte hierzulande - eine stärkere Öffnung des deutschen Arbeitsmarktes für qualifizierte Ausländer ist deshalb eine gute Nachricht für alle", sagte Ludwig Georg Braun, Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertags. Vor allem die Absenkung der Einkommensgrenzen sei ein guter Ansatz. "Sie gibt auch kleinen und mittleren Unternehmen die Chance, hochqualifizierte Ausländer einzustellen."

Magnet Irland

Deutschlands Haltung gegenüber Arbeitsnehmern aus Osteuropa ist im Vergleich zu den anderen Altmitgliedstaaten eine der rigidesten. Irland beispielsweise hat seinen Arbeitsmarkt von Anfang an für Osteuropäer geöffnet und sich seither zu einem Anziehungspunkt vor allem für Polen entwickelt. Innerhalb von drei Jahren beantragten 240.000 Polen eine Steuernummer, um auf der Insel zu arbeiten - die überwiegende Mehrheit in Stellen, die ihre Qualifikation nicht ausschöpfen. Männer helfen vor allem im Baugewerbe, Frauen in der Tourismusbranche aus. Der irische Arbeitgeberpräsident Turlough O'Sullivan hat kürzlich gesagt, dass die irische Wirtschaft ohne diese Arbeitsmigranten ins Schleudern geraten wäre.

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