Süddeutsche Zeitung

Freizeit:Weichenstellung fürs Leben

In diesem Jahr ist ein Spielzeugklassiker plötzlich wieder sehr gefragt: die Modelleisenbahn. Warum?

Von David Pfeifer

Zu den freundlicheren Nachrichten des langsam ausklingenden Jahres gehört, dass nicht nur die Bringdienste und Streaming-Anbieter Rekordanfragen verzeichnen, sondern auch Modelleisenbahnen begehrt sind wie lange nicht. Generell wurden Spielwaren in der Pandemie deutlich stärker nachgefragt, acht Prozent mehr haben die Deutschen in diesem Jahr bisher dafür ausgegeben, das entspricht einer Umsatzsteigerung von 3,7 Milliarden. Rechtzeitig vor dem Weihnachtsgeschäft haben auch Microsoft und Sony ihre neuen X-Boxen und Playstations herausgebracht, und wenn es irgendeine Zeit in der Geschichte des Videospielens gab, in der Kinder und Jugendliche mal nach Herzenslust mehrere Stunden vor der Konsole herumsitzen durften, dann diese. Und sei es nur, um die Nerven der Eltern zu schonen, die zwischen Home-Office, Home-Schooling und Ausgangsbeschränkungen irgendwann auch nicht mehr wissen, wie man die Kleinen bespielen soll, im Wortsinn.

Märklin war ein Geschenkklassiker über viele Generationen hinweg

Gerade angesichts der Möglichkeiten, die diese modernen Unterhaltungsmethoden bieten, stimmt es fast ein bisschen nostalgisch, dass die Simba-Dickie-Gruppe in der vergangenen Woche melden musste, dass es zu Lieferengpässen bei Märklin-Eisenbahnen kommen kann, dem Marktführer. Märklin, die Älteren und Sehr-viel-Älteren erinnern sich, war ein Geschenkklassiker über viele Generationen hinweg. Etwas, das Großeltern und Eltern den Kindern und ein bisschen auch sich selber unter den Weihnachtsbaum legten.

Doch Anfang der 2000er-Jahre kam das Unternehmen in die Krise, es folgte die Übernahme durch eine Finanzgruppe, Weiterverkauf, Insolvenz. Nachdem die Simba-Dickie-Gruppe sich 2013 der Marke annahm, ging es wieder zaghaft bergauf. Und nun eben diese Meldung: Im Märklin-Werk im ungarischen Györ stoppte bedingt durch die Pandemie die Produktion im April für einige Wochen. Nun also, wo das Weihnachtsgeschäft losgeht, muss man bei Märklin Sonderschichten schieben, um den Bedarf zu befriedigen. Denn Modelleisenbahnen sind vor allem eine sehr besondere Mischung aus Spielzeug und Hobby, das Neunjährige mit 90-Jährigen verbindet und bei dem man zusammen etwas erlebt, bastelt, womöglich eine neue Welt erschafft. Etwas zum Anfassen in digitalen Zeiten.

Der Rockstar Rod Stewart, mittlerweile 75 Jahre alt, ist sehr vielen Menschen durch Hits wie "Sailing" bekannt, nur wenigen aber durch seine ausgefeilte Modelleisenbahn-Landschaft, die ihm nicht nur eine Titelgeschichte im englischen Fachmagazin Railway Modeller einbrachte, sondern auch sein Leben verbessert, wie er der SZ in einem Interview sagte. "Ein Mann braucht eine Frau, einen Job und ein Hobby." Für Stewart gibt es nichts besseres, um sich vom Wahnsinn einer Welttournee zu erholen, als die kleine Welt auf dem Dachboden seines Hauses in Los Angeles. Nicht zuletzt kann er dort mit seinen Enkeln spielen. Das ist, gerade an Weihnachten, womöglich entspannter, als sich Videospielen hinzugeben, die man auch sehr gut gemeinsam spielen kann, wobei man sich nur manchmal fragt, wie das so schnell ging, dass man sechs Stunden in einen Bildschirm gestarrt hat, denn das tut man doch sonst schon so viel derzeit.

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