Freiwillige Rückkehrerin:"Ich bin zu afghanisch für Deutschland"

Sarah Faseli
Afghanin
Freiwillige Rückkehrerin
DAAD-Stipendiatin
Uni Kabul
Doktorandin an der Uni Bochum

Sarah Faseli kam 2008 zum Studieren nach Deutschland. Jetzt kehrt sie in ihre Heimat Kabul zurück. Ihren Studenten will sie nicht nur Deutsch beibringen, sondern auch Mut machen, den eigenen Verstand zu fragen.

(Foto: privat)

Mit einem Studien-Stipendium kam Sarah Faseli aus Afghanistan nach Deutschland. Neun Jahre ist das her. Jetzt kehrt sie zurück, freiwillig.

Interview von Ulrike Schuster

Die Afghanin Sarah Faseli, 35, kam 2008 zum Studieren nach Deutschland, mit einem Stipendium des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD). In Jena machte sie ihren Master in "Deutsch als Fremdsprache", in Bochum promovierte sie über "Sprachlehrforschung". Sie könnte hier bleiben, als Deutschlehrerin arbeiten - will sie aber nicht. Im April kehrt sie nach Kabul zurück. Sie will einen Unterschied machen. Ein Gespräch über die Freiheit als Marathonlauf, die Sehnsucht nach Kompromissen und die Befreiung aus Kopfgefängnissen.

Seit Wochen werden junge Männer nach Afghanistan ausgeflogen. Nicht schlimm?

Sie tun mir leid. Wer Glück hat, findet Gnade bei seiner Familie, darf wieder einziehen. Trotzdem kommen die Rückkehrer als Gescheiterte zurück, die Familie wollte ja vom neuen Leben des Sohnes ihren Teil abhaben. Gegangen sind sie als Leuchtfeuer der Hoffnung, nun kommen sie mit leeren Händen zurück. Schlimmer noch trifft es die Gruppe, die gegen den Willen der Familie geflüchtet ist. Sie sind ohne Liebe und Arbeit - Aussätzige. Sie werden keinen einzigen frohen Tag in Afghanistan erleben.

Sie kehren im April nach neun Jahren in Deutschland in Ihre Heimat Kabul zurück. Niemand zwingt Sie.

In Deutschland sagen alle, ich solle bleiben, ich sei verrückt zu gehen. Und in Afghanistan sagen sie, ich sei verrückt zurückzukommen. Ich selbst habe nie gezweifelt.

Sind die Deutschen zu fleißig, zu pünktlich, zu ordentlich?

Das finde ich alles großartig an den Menschen! Alles funktioniert, es ist sauber, brauchst du Hilfe, wird dir geholfen, du musst nur einen Antrag stellen.

Was ist dann das Problem?

Die Menschen hier kreisen sehr viel um die eigenen Gedanken, Gefühle und Erfolge. Das steckt an. Ich empfinde das als Luxus, mir meine eigene Welt sein zu dürfen, tun und lassen zu können, was ich will. So lieb und teuer ist mir das aber nicht, ich halte das Scheinwerferlicht ungern über mich selbst. Vielleicht bin ich zu afghanisch für Deutschland.

Ist die Freiheit denn kein Vergnügen?

Für mich ist es vor allem die Aufforderung, mich zu beweisen, zu vergleichen und zu liefern, um dann von anderen beurteilt zu werden. Das ist toll, einerseits. Wer diszipliniert, fleißig und ausdauernd ist, kann in diesem Land so viel erreichen, hat scheinbar unbegrenzte Möglichkeiten. Wollen heißt in Deutschland gleich Können. Für mich fühlt es sich bloß so an, als würde ich täglich an einem Marathon teilnehmen, in dem alle beinharte Läufer sind. Jeder hält aus, jeder hält durch, Gefühle spielen keine Rolle, zumindest kommen sie nicht vor.

Sie könnten auch Boot fahren, statt Marathon zu laufen - dem Druck widerstehen.

Ich würde als schwach gelten, der Respekt wäre weg. In Afghanistan sagen wir "Es komme, wie es wolle", jeder macht so viel er schafft, Hauptsache er strebt nach dem Besten in sich selbst. In Afghanistan hat mir jemand mal gesagt: In Deutschland habt ihr die Uhr, wir aber haben die Zeit.

Afghanistan scheint nicht gerade ungefährlich. Kein Ort zum Gelassensein.

Das stimmt, aber nur zur Hälfte. Die Bomben, die Schüsse und Explosionen gehören zum Alltag. Genauso die Angst und die Panikattacken, wenn Sicherheitsleute und Isaf-Fahrzeuge vorbeifahren oder jemand Unbekanntes in den Bus einsteigt. Selbstmordattentäter sieht man in der Paranoia überall. Das treibt einen in den Wahnsinn. Ich habe gelernt es auszuhalten.

Und der andere Teil der Wahrheit?

Meine Familie, ich sehne mich nach meinen Eltern und Geschwistern. Sie geben mir bedingungslose Liebe und selbstverständliche Verantwortlichkeit. Ich vermisse es, mich zu kümmern und Kompromisse zu machen. Ich sehne mich nach jemandem, der mich von mir und der Arbeit ablenkt; der die Tür aufmacht und mich in die Arme nimmt, wenn ich nach Hause komme. Das Zimmer im Studentenwohnheim ist so still, das macht mir die Leere bewusst, die gefüllt werden muss. Da ist ein Loch in meinem Herzen.

Können Freunde nicht helfen?

Es ist nicht leicht, Beziehungen aufzubauen. Die anderen Frauen sind oft gut drauf, lachen, reden über Ausgehen, Urlaub und Schuhe. Ich dagegen mache mir andauernd Sorgen, um mein Land, meine Familie. Da ist eine Schwermut in mir, die ich nicht abstreifen kann; es will mir nicht gelingen, leichtherzig zu sein.

Woran denken Sie, wenn Sie an Afghanistan denken?

An warmes Weißbrot, scharfes Essen und hitziges Leben. Trotz aller Probleme und Gefahren pulsiert das Leben, die meisten Menschen sind beseelt und voller Temperament.

Werden Sie anders leben als hier, müssen Sie sich neu erfinden?

Ich bleibe dieselbe, ich muss mich nicht anders verhalten. Ich trage die gleiche Kleidung, also mindestens bis zum Knie. Ich bleibe gläubige Muslima, behalte mein Kopftuch und bete. Von acht bis 16 Uhr arbeite ich an der Uni. Daran ändert sich nichts.

Klingt nicht, als hätten Sie es als Frau besonders schwer in Afghanistan?

Ich werde auch nicht zwangsverheiratet, ich lebe in der Stadt Kabul und habe täglich mit der intellektuellen Mittelschicht zu tun. Das sind enorme Privilegien, von denen die meisten Frauen nur träumen. Aber auch für mich wird es Tag für Tag eine Herausforderung sein, mich zu behaupten; klarzumachen, dass ich gefragt, gehört und ernst genommen werden will. Dass sich eine Frau nicht unterordnet, ist den Männern immer noch sehr fremd, leider.

Sagen die Menschen dann, Sie seien zu deutsch für Afghanistan?

Immer, wenn ich überpünktlich bin, den Schreibtisch aufräume oder offen spreche. Das habe ich von euch gelernt - ehrlich und direkt zu sagen, was ich denke. Am meisten schockiert es, wenn ich widerspreche. Das schüchtert ein, besonders die Männer. In Afghanistan soll die Frau immer nur "Ja" sagen.

Sie ziehen zurück zu Ihren Eltern.

So will es die Tradition. Man bleibt, bis man heiratet. Bloß, je gebildeter die Frau, desto unattraktiver ist sie hier, selbst in gebildeten Kreisen. Die Chance noch einen echten Partner kennenzulernen, ist also gering; die Hoffnung nicht tot, aber ich warte auf nichts.

Was sollen Ihre Studenten von Ihnen lernen? Außer Deutsch natürlich.

Männer und Frauen müssen sich von den Gefängnissen im Kopf, den Zwängen der Gesellschaft befreien. Ich will sie fragen: Warum sollen nur Buben Fußball spielen und Frauen nicht? Warum sollen Frauen nicht auch Auto fahren? Wir brauchen den Mut, unseren Verstand zu benutzen, müssen selbst bestimmen lernen, wer wir sein wollen; und Gerechtigkeit in den alltäglichen, scheinbar belanglosen Situationen einfordern. Warten, hoffen, beten, führt nicht zu einem besseren Zusammenleben. Und ich will ihnen sagen, dass sie ihre eigenen Talente und Fähigkeiten nicht in der Ferne, sondern in sich selbst entdecken müssen.

Universitätsbibliothek Kabul

Seit dem Ende der Taliban-Herrschaft dürfen auch Frauen wieder studieren. Zwar gibt es keine feste Vorschrift, was an der Uni zu tragen ist. Die meisten Frauen aber entscheiden sich für Kopftuch, Schal oder Burka.

(Foto: DPA-SZ)

Sind Ihre Begabungen in Afghanistan denn gut aufgehoben? Können Sie sich entfalten?

Meine Heimat braucht mich dringender als Deutschland mich braucht. Hier leidet niemand, wenn ich weg bin. Es gibt genug kluge, fähige Menschen, die mich ersetzen. In Afghanistan aber gibt es nicht viele aufgeklärte Köpfe, es ist angewiesen auf jede Hand, die anpackt und jeden Kopf, der mitdenken mag. Auf einen mehr oder weniger kommt es dort an, er kann einen Unterschied machen.

Was soll in zehn Jahren über Ihr Land in der Presse stehen?

Es herrscht Frieden. Afghanistan ist eine zusammengewachsene Nation, die Stämme sind Vergangenheit. Beziehungen spielen nicht länger eine Rolle, sondern Leistung. Die Menschen wollen von ihrer Regierung keinen Strom, kein Gas, kein Wasser, keine Versicherung und keinen Urlaub. Sie kümmern sich um alles selbst. Das Einzige, was sie von ihr verlangen, ist in Ruhe gelassen zu werden - um täglich lesen und lernen zu dürfen.

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