Freital-Prozess:Verteidiger bestreiten Terrorvorwürfe im Freital-Prozess

Prozess gegen die rechtsextreme ´Gruppe Freital"

Prozess gegen die rechtsextreme "Gruppe Freital": Insgesamt sind acht Personen angeklagt.

(Foto: dpa)
  • Im Prozess um die "Gruppe Freital" plädieren die Anwälte der Hauptangeklagten auf vergleichsweise milde Strafen.
  • Timo S. und Patrick F. sind unter anderem wegen Rädelsführerschaft in einer terroristischen Vereinigung und versuchtem Mord angeklagt.
  • Der Verteidiger von Timo S. sieht die Gruppe nur als "kriminelle Vereinigung". Der Anwalt von Patrick F. sieht nicht einmal das gegeben.

Aus dem Gericht von Antonie Rietzschel, Dresden

Michael Sturm beginnt sein Plädoyer vor dem Oberlandesgericht Dresden mit einer Rechenaufgabe: Wie groß die Wahrscheinlichkeit sei, dass eine Glasscherbe die Halsschlagader treffe. Bei einer Explosion, wie sie die Mitglieder der "Gruppe Freital" an einer Flüchtlingsunterkunft herbeiführten, bei einer Entfernung von zwei Metern. Der Anwalt beantwortet sich die Frage selbst: "0,01 Prozent."

Damit sei erwiesen, so Sturm, dass der Vorwurf wegen versuchten Mordes hinfällig sei. Sein Kollege Andreas Schieder ergänzt die Einlassung mit einem zynischen Kommentar: "Die Wahrscheinlichkeit, dass mein Mandant auf dem Weg zur Tat tödlich verunglückt, war größer, als dass einer der Bewohner getötet wird." Die Angehörigen der Angeklagten kommentieren den Auftritt Schieders mit: "Den finde ich gut."

Sturm und Schieder vertreten die zwei Hauptangeklagten im Prozess gegen die "Gruppe Freital". Die Bundesanwaltschaft hat Timo S. und Patrick F. wegen Rädelsführerschaft in einer rechtsextremen terroristischen Vereinigung angeklagt sowie wegen versuchten Mordes. Die sechs weiteren Angeklagten stehen unter anderem wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung vor Gericht. Gemeinsam begingen sie im Jahr 2015 in der sächsischen Stadt Freital sowie in Dresden mehrere Sprengstoffanschläge. Zu den Opfern zählen unter anderem Flüchtlinge und ein linker Stadtrat. Die Bundesanwaltschaft fordert für Timo S. und Patrick F. Haftstrafen von bis zu elf Jahren.

Nachdem an den vergangenen zwei Verhandlungstagen die Nebenklage ihre Plädoyers vortrug, sind nun die Verteidiger der insgesamt acht Angeklagten an der Reihe, wobei sich die Verteidiger von Timo S. und Patrick F. in der Argumentation widersprechen.

Michael Sturm ( Timo S.) sieht in der "Gruppe Freital" keine "terroristische", sondern höchstens eine "kriminelle Vereinigung". Zudem hätte S. lediglich Beihilfe zu Körperverletzung geleistet. Konkret geht es um den Sprengstoffanschlag Anfang November 2015, bei dem die Angeklagten drei Sprengsätze an den Fenstern einer Flüchtlingsunterkunft zündeten, während sich die Bewohner im Haus befanden. Ein Syrer wurde bei dem Anschlag von herumfliegenden Glassplittern am Auge verletzt.

Aus Sicht von Bundesanwaltschaft und Nebenklage nahmen die Angeklagten den Tod von Menschen in Kauf. Dass es nicht zu schwerwiegenderen Verletzungen kam, habe nur daran gelegen, dass einer der Bewohner der Unterkunft die brennende Zündschnur bemerkte und die Anderen warnte. Es war der letzte Angriff der "Gruppe Freital". Wenige Tage danach wurden die Mitglieder von der sächsischen Polizei verhaftet.

Besonders überraschend für die Nebenklage war das Plädoyer der Verteidiger von Patrick F. Sie wollen in der "Gruppe Freital" nicht einmal eine "kriminelle Vereinigung" sehen. Die Taten seien spontan geschehen, aus Frust. Bei der Gruppe habe es sich nicht um einen homogenen Zusammenschluss gehandelt. Eine ideologische Grundhaltung sei nicht erkennbar gewesen, sagte Andreas Schieder vor Gericht.

Verteidiger verweisen auf politische Zündler

Der Prozess, der nun bereits fast ein Jahr dauert, hat jedoch ein anderes Bild gezeigt. Den Akten zufolge, lernten sich die Angeklagten im Frühjahr 2015 kennen, als sie an Demonstrationen gegen eine Erstaufnahmeeinrichtung in Freital teilnahmen. Die teilweise aggressiven Auseinandersetzungen machten die sächsische Stadt deutschlandweit bekannt.

Die sieben Männer und eine Frau trafen sich auch abseits der Demonstrationen. Die Weltanschauung der Angeklagten ist in diversen Chatprotokollen dokumentiert. Ausländer werden als "Nigger", "Kanacken" oder "Viehzeug" bezeichnet. In einer Textnachricht heißt es: "Alle töten, diese elendigen Parasiten!" Widersprochen wurde Äußerungen wie diesen nicht.

Verweis auf Seehofer-Äußerungen

Die Chatprotokolle sind für die Bundesanwaltschaft auch ein Hinweis auf die Tötungsabsicht der Gruppe. Ihr warfen die Anwälte vor, die "Gruppe Freital" aufzubauschen. Es gehe lediglich darum, ein Exempel zu statuieren. Andreas Schieder und sein Anwalts-Kollege Hansjoerg Elbs forderten in ihren Plädoyers, die Taten einzeln zu betrachten, lediglich als Sachbeschädigung und Körperverletzung. Sie nannten auch mehrere strafmildernde Gründe: F. habe ein Geständnis abgelegt und somit zur Aufklärung der Taten beigetragen. Zudem habe er einem der Opfer einen Brief geschrieben, in dem er sich entschuldigte und von rechtsextremem Gedankengut distanzierte.

Warum Patrick F., der einst als Pizzabote arbeitete, 2015 Sprengsätze legte? Anwalt Elbs lieferte dafür eine interessante Erklärung. Er zitiert Aussagen von Politikern. Der frühere Finanzminister Wolfgang Schäuble, der hinsichtlich der Zunahme der Flüchtlingszahlen von einer "Lawine" sprach. Der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer, der sagte: "Wir haben die Kapazitätsgrenze erreicht, mehr geht nicht mehr."

"Mit solchen Äußerungen fördert man kriminelle Straftaten", sagte Hansjoerg Elbs vor dem Oberlandesgericht. Sie seien wie eine verlängerte Zündschnur. Er will das Argument allerdings nicht als Hinweis auf die Gesinnung seines Mandanten verstanden wissen, sondern als strafmildernden Punkt. Nach dem Motto: Die Stimmung war damals so. Da muss man sich nicht wundern, wenn sowas passiert. Die Verteidiger fordern sechs Jahre Haft für Patrick F., die von Timo S. sieben Jahre Haft für ihren Mandanten. In den nächsten Tagen werden die Anwälte der anderen Angeklagten Plädoyers halten. Ein Urteil ist frühestens im Februar zu erwarten.

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