Freital:Auftritt der pöbelnden Schaummünder

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In der Kleinstadt formieren sich Bürgerinitiativen wie "Freital wehrt sich" oder "Frigida - unsere Stadt bleibt sauber". (Foto: Jens Meyer/AP)

Freital in Sachsen lädt zu einer Bürgerversammlung, um die Debatte über Zuwanderung zu ordnen. Es wird ein hässlicher Abend.

Reportage von Cornelius Pollmer, Freital

In der War-auch-schon-da-Galerie des Kulturhauses Freital hängt ein Bild von Olaf Böhme, und der Montagabend gibt Anlass, sich mal wieder an dessen größten Erfolg zu erinnern. Der Kabarettist Böhme hat den "betrunkenen Sachsen" erfunden, eine vom Volk geliebte Bühnenfigur. Böhmes Sachse zählt zu jener Art Trinker, die mit jedem Pils sedierter werden, infantiler. Die peinlich sind, aber auch liebenswürdig. Es gibt noch eine zweite Art Trinker: pöbelnde Schaummünder, randalierend, nicht immer nur verbal. Sie haben am Montag ihren Auftritt, zu Dutzenden.

Die Stadt Freital bei Dresden steht seit Wochen unter besonderer Beobachtung. Eine Unterkunft für Asylbewerber wurde praktisch über Nacht in eine temporäre Erstaufnahmeeinrichtung umgewidmet. Der Widerstand dagegen verlor zum Teil jedes Maß, Politik und Medien rauschten herbei, die Stimmung: ausdauernd aufgeheizt. Eine Bürgerversammlung wird angesetzt, sie soll ein Gespräch beginnen, wo bisher nur Geifer war. Die Voraussetzungen dafür: gar nicht mal so schlecht.

Lehren aus der Flüchtlingsdebatte
:Hinschauen, Hass abbauen, helfen

Auf einmal sind sie präsent, die Flüchtlinge. Das gefällt nicht jedem. Aber es gibt einen Unterschied zur Asyldebatte der neunziger Jahre: Jene, die sich abschotten wollen, sind in der Minderzahl.

Von Hannah Beitzer

Sachsens nervöser Innenminister Markus Ulbig (CDU) ist gekommen, ein fähiger Moderator von der Landeszentrale für politische Bildung, entscheidende Leute von Polizei und Stadt. Ihnen sitzen gegenüber: Bürger Freitals, darunter die betrunkenen Sachsen. Zwei Stunden trifft Politik auf Wirklichkeit, hart und oft unfair. Es ist ein lauter, ein hässlicher, ein überhitzter Abend. An seinem Ende bringt er, immerhin, zwei schmerzhafte Einsichten, die über Freital hinausweisen. Erstens, wer und wie viel in der Debatte über Asyl schon kaputtgegangen, verhärtet ist, verloren hat. Zweitens, auf welch anstrengendem Weg diese Debatte nun trotzdem geführt werden muss.

Was also ist kaputt? Die betrunkenen Sachsen haben sich vor der Versammlung nicht in der "Huschhalle" ein paar Häuser weiter aufgeheizt, auch nicht in der Bier- und Billard-Bar "Las Vegas" daneben. Sie haben sich im Internet betrunken, mit Postings in den vielen Facebook-Gruppen, durch die stündlich neue "Wahrheiten" gespült werden, über "Glücksritter" und ihren angeblichen Raubzug durch Deutschland einig Vaterland. Die Asyl-Gegner hatten immer wieder gefordert, die Politik möge sich endlich mal stellen. Nun stellt sich der Innenminister - und die betrunkenen Sachsen giften alles nieder, was dieser zu sagen versucht. Ulbig spricht von Geflüchteten, er wird erstickt: "Das sind Illegale!" Ulbig fordert Anstand, es schallt zurück: "Anstand ist, die alle schnell wegzuschicken!" Ulbig sagt, man müsse ohne Hass miteinander sprechen - "Nö!" Es ist, immer wieder an diesem Abend, zum Schaudern.

"Identifizieren, isolieren und ächten"

Die Gruppe der Betrunkenen hat schon das Klima des Protests vor der Unterkunft "Leonardo" bestimmt, und sie bestimmt auch jenes im Kulturhaus. Frank Richter, Bürger Freitals und Direktor der Landeszentrale, wird über diese Menschen hinterher sagen, man müsse sie "identifizieren, isolieren und ächten". Menschen, die sich anscheinend selbst aufgegeben haben und die im Begriff sind, auch von der Politik aufgegeben zu werden. Im Leben ist es irgendwann wie im "Las Vegas", rien ne va plus.

Wie kann er aussehen, der anstrengende Weg aus der Hitze des schmutzigen Gefechts? In Freital sieht man am Montag neben den Pöbelnden auch Menschen, die langsam zu Form finden. Beim Innenminister trifft dies schon deshalb irgendwie zu, weil er da ist. Ulbig war in der Asyl-Debatte bislang vor allem durch bemerkenswerte Wankelmütigkeit aufgefallen. Ein bisschen mehr noch trifft es zu auf eine Frau, die den Mut findet, gegen die Schreienden anzureden. "Es reicht", sagt sie, und meint damit das Schreien der einen und das Schweigen der vielen anderen. Auch diese müssten sich endlich zeigen und melden, leicht werde das nicht, auch, weil es an Anlaufpunkten fehle: "Ich vermisse in Freital die Kirchen, ich vermisse die Gewerkschaften, ich vermisse die Parteien."

Auch letztere finden an diesem Abend ein wenig ins Spiel. Die zwei Stunden sind fast rum, da formiert sich vor der Bühne eine selten gesehene Koalition. Die Stadtratsfraktionsvorsitzenden von CDU, Bürger für Freital, SPD/Grüne und AfD verlesen eine gemeinsame Erklärung, der sich auch der bemerkenswert unsichtbare Bald-OB Uwe Rumberg angeschlossen hat. Es sind klare Worte gegen Hass und klare Forderungen an die Verwaltung, etwa die nach besserer Kommunikation.

Das ist die Konfliktlinie, in Freital wie anderswo: Es gibt eine sehr laute Seite, die die Herausforderungen durch Zuwanderung gerne mit Spielregeln des Mittelalters in Angriff nehmen würde. Und es gibt eine leisere, konstruktive Seite, die den Ton mäßigen und sich in der Sache bemühen möchte. Viele haben sich auch in Freital noch nicht sichtbar entschieden, welcher der beiden Seiten sie angehören möchten. Wie fern sich beide Seiten inzwischen sind, zeigt sich auf verstörende Weise noch einmal am Ende des Abends. Nachdem Polizisten, Politiker, Verwalter sich zwei Stunden lang haben zubrüllen lassen, fragt der Moderator das Publikum, ob es Interesse an Folgeveranstaltungen gebe und ob die Herren vor der Bühne denn wiederkommen dürften, "denn das entscheiden Sie!" Nur zaghafter Applaus.

Die Debatte über ein ehemaliges Hotel in Freital, das jetzt eine ausgelastete Flüchtlingsunterkunft ist - sie endet wie eine Ausgabe der Sendung "Zimmer frei!"

© SZ vom 08.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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