Süddeutsche Zeitung

Freitagsdemonstrationen:Und jetzt alle zusammen

Es kommen Schüler, Fußballvereine und Gewerkschafter, und auch Hunderte Unternehmer, die noch nie auf einer Demo waren, probieren es jetzt mal aus.

Von Mauritius Kloft, Benjamin Emonts und Verena Mayer

Es ist noch nicht einmal acht Uhr morgens, da ist in Berlin schon der Autoverkehr blockiert. Radler haben sich vor der Technischen Universität breitgemacht und fahren nun klingelnd im Kreis, um den Berufsverkehr zu stoppen. Wenig später werden Aktivisten eine Kreuzung mit Absperrbändern lahmlegen und Leute Parktickets lösen, um in den Lücken zwischen den Autos zu picknicken.

Es herrscht Ausnahmezustand an diesem Freitag. Weltweit wird für das Klima gestreikt, in Deutschland findet unter dem Titel "Alle fürs Klima" die bislang größte Freitagsdemonstration gegen den Klimawandel statt, angeblich 1,4 Millionen gehen auf die Straße, an 570 verschiedenen Orten sind Aktionen angemeldet. Fußballvereine und Friedensorganisationen unterstützen den Streik, Schülerinnen und Schüler entrollen ein Transparent vor dem Kanzleramt, die Linkspartei und Kinderschutzorganisationen beteiligen sich ebenso wie Forschungseinrichtungen oder Raver aus der Club-Szene. Die Stimmung ist etwas zwischen Kiezfest und Karneval, das Klima, so scheint es, ist ein Thema, auf das sich alle einigen können.

Das sieht auch der Soziologe Ortwin Renn so, er ist Wissenschaftlicher Direktor am Institut für Transformative Nachhaltigkeitsforschung (IASS) in Potsdam. Renn sagt, dass es schon lange nichts mehr gab, "wofür man sich ohne Wenn und Aber engagieren konnte", selbst die große Masse, die sonst nicht so schnell laut werde. Beim Klima seien sich alle mehr oder weniger einig, dass schnell gehandelt werden müsse, sagt Ortwin Renn: "Hier ist ein Thema, bei dem man mit einer gewissen Radikalität auftreten und sich doch der Sympathie der Gesellschaft gewiss sein kann, weil man ja für eine gute Sache streitet."

Dem Pfarrer ist für seine Andacht wieder ein Lied aus den Achtzigern eingefallen

Das merkt man auch in Berlin. Dort hat der Axel-Springer-Konzern seinen Sitz. Der ist bekannt dafür, Proteste anzuziehen, 1968 war das goldene Hochhaus ein Lieblingsziel der Studentenbewegung. An diesem strahlenden Herbstvormittag aber demonstrieren Springer-Leute selbst. Zwei, drei Dutzend Menschen versammeln sich vor der Konzernzentrale, um sich privat am weltweiten Klimastreik zu beteiligen. Mit Unterstützung von ganz oben, der Vorstand erlaubt es den Mitarbeitern, während der Arbeitszeit zu demonstrieren. Es ist keine riesige Gruppe, die sich auf den Weg zum Brandenburger Tor macht, aber sie steht für das gesellschaftliche Spektrum, das sich inzwischen hinter der Schülerbewegung "Fridays for Future" versammelt.

Für viele Gruppierungen sei die Klimabewegung dann auch eine Möglichkeit, sich wieder ins Gespräch zu bringen, sagt der Soziologe Renn. Tatsächlich wird am Freitag klar, wie viele Akteure den Klimaschutz als Bühne entdeckt haben, auf der man im Scheinwerferlicht stehen kann. Vor wenigen Tagen hat sich der scheidende Chef der Gewerkschaft Verdi, Frank Bsirske, an seine Mitglieder gewandt. So einfach zum Streik aufrufen könne er zwar nicht, eine Klima-Demo ist schließlich kein Arbeitskampf. Aber er rufe "diejenigen, die es können" auf, sich an den Aktionen zu beteiligen.

Dem Aufruf sind auch in Berlin Mitglieder der Verdi-Jugend gefolgt. Am S-Bahnhof Friedrichstraße werden Fahnen geschwenkt, Bundesjugendsekretärin Julia Böhnke hält ein Schild hoch, mit der Aufschrift: "There are no jobs on a dead planet": Auf einem toten Planeten gibt es keine Jobs. Klimaschutz und Arbeitsplätze seien miteinander vereinbar, sagt Böhnke; dass es nur das eine oder das andere geben könne, sei eine Konstruktion von Arbeitgebern. Andreas Splanemann, Sprecher des Berliner Landesbezirks, ergänzt, dass die Gewerkschaften den Druck der jungen Menschen spüren, sich für die Umwelt einzusetzen. "Wir folgen und reagieren auf die Strömungen innerhalb der Gewerkschaft."

Mit sehr unterschiedlichen Strömungen haben es traditionell auch die Kirchen zu tun. Da hat das Klima ebenfalls etwas Einigendes. Sowohl Vertreter der katholischen als auch der evangelischen Kirche haben sich dafür ausgesprochen, sich für das Klima zu engagieren, in Berlin ist unter anderem Pfarrer Alexander Tschernig von der evangelischen Kirchengemeinde Kapernaum beim Klimastreik dabei. Tschernig steht in einem blauen Sweater mit gelben EU-Sternen vor seiner Backsteinkirche, er wird Freitagabend die Glocken läuten und eine Klima-Andacht abhalten. Das Lied dafür hat er schon ausgewählt: "Jeder Teil der Erde ist meinem Volk heilig", es ist von einem Häuptling, "das kenne ich noch aus den Achtzigerjahren." Warum sich gerade die Kirchen für das Klima starkmachen, sei klar, sagt Tschernig. Zum einen gehe es um die Bewahrung der Schöpfung, zum anderen sei das ein Thema, bei dem sich viele in der Gemeinde Sorgen machen, gerade die Älteren. Spätestens im vergangenen Dürresommer habe man gemerkt, dass das Problem die Leute ganz persönlich betreffe und nicht so bald verschwinden werde.

Vor dem Bundesfinanzministerium hat sich die Wirtschaft versammelt; genauer gesagt etwa tausend Demonstranten, die sich "Entrepreneurs for Future" nennen. Die meisten wirken, als seien sie das erste Mal auf einer Demo, was sie auch sind. Es sind Unternehmensberater, Mitarbeiterinnen aus Agenturen, Gründer von Start-ups, Chefs mittelständischer Unternehmen. Was sie alle gemeinsam haben: Sie wollen, wie sie sagen, "eine neue Wirtschaft wagen". Vor allem aber möchten sie dem Vorurteil, "die Wirtschaft will das nicht", entgegentreten.

Sie könnten und wollten Klimaschutz umsetzen, sagt Katharina Reuter, mitverantwortlich für die Organisation. Dafür brauche es faire Wettbewerbsbedingungen, die vom Staat kommen. Dass etwa klimaschädliche Subventionen abgeschafft werden. Auch fordern die Unternehmer eine CO₂-Bepreisung für alle Sektoren sowie eine Energiewende. "Die Unternehmer sehen auch die Chancen im Klimaschutz", sagt Reuter. So könnte sich Deutschland als Vorreiter auch Wettbewerbsvorteile sichern. Dafür setzen sie auf "innovative Geschäftsmodelle und Technologien".

Werden all diese Leute, die breite Masse, bei der Stange bleiben? Das ist die große Frage, die sich nach dem Klimastreik stellt. Zwar sagen so gut wie alle, mit denen man am Freitag spricht, dass sie sich weiter engagieren wollen, dass das Thema in ihrem Leben präsent bleiben werde. Aber es gehört auch zur Geschichte von Bewegungen, dass sie sich zerstreuen, von ideologischen Gruppen vereinnahmt oder von der Politik aufgesogen werden. Der Soziologe Ortwin Renn glaubt, dass Fridays for Future sich schon mal von früheren Massenprotesten wie etwa der Anti-Atomkraft-Bewegung unterscheide. Unter anderem deshalb, weil es keinen Sündenbock wie die Atomlobby gebe, sondern "eine selbstkritische Vereinnahmung", den Konsens, dass jeder Einzelne nicht nur protestieren, sondern auch an sich selbst etwas ändern müsse.

Ob das der Klima-Bewegung am Ende eher nutzen oder schaden wird? Auch so eine Frage, auf die die Antwort erst noch gegeben werden muss.

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Quelle:
SZ vom 21.09.2019
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