Freihandelsabkommen:TTIP und die Froschlurche

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Ein genmanipulierter Maiskolben und die schützenden Hände der Kanzlerin: Plakativer Protest gegen das Freihandelsabkommen vor dem Reichstagsgebäude. (Foto: Carsten Koall/Getty Images)

Gefährliche Metamorphose: Das Freihandelsabkommen soll nach seiner Ratifizierung von Experten stets geändert werden können - an den Abgeordneten vorbei.

Von Heribert Prantl

Bei Tieren gibt es den Gestaltwandel, bekannt vor allem bei den Froschlurchen: Aus der Kaulquappe wird da ein Frosch. Und aus einer Raupe wird bekanntlich erst die Puppe, dann ein Schmetterling. Das nennt man die zoologische Metamorphose. In der Juristerei gibt es so etwas neuerdings auch, eine rechtliche Metamorphose: bei TTIP, dem Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA. Der Vertrag ist als "living agreement" geplant, als lebendes, lebendiges Abkommen - als völkerrechtliches Abkommen, das nach der Ratifikation noch wächst, das sich verändert, das sich fortentwickelt.

Der TTIP-Vertrag soll nämlich von Expertenkommissionen (vor allem dem Rat für regulatorische Kooperation/Regulatory Cooperation Body RCB) laufend fortgeschrieben, verändert und neuen Entwicklungen angepasst werden. Diese Expertenkommissionen sollen weitreichende Ergänzungen und Anhänge zum TTIP-Vertragswerk schreiben können - ohne dass die Parlamente diesen Änderungen zustimmen müssen. Der Vertrag könnte also nach seiner Ratifizierung ohne parlamentarische Mitwirkung grundlegend umgestaltet werden. Die Expertenkommissionen sollen allein mit Vertretern der Regierungen und Verwaltungen besetzt sein.

Höchstgrenzen für Inhaltsstoffe von Lebensmitteln könnten leicht geändert werden

Diese Pläne machen auch der Bundesregierung Sorgen, die offiziell immer wieder verkündet, dass das TTIP-Abkommen rechtsstaatlichen und demokratischen Prozessen nicht schaden werde. Intern warnt die Bundesregierung aber vor einer Teil-Entmachtung des Europaparlaments durch das "living agreement". Das journalistische Recherchebüro Correctiv hat soeben via Foodwatch ein als Verschlusssache gekennzeichnetes Protokoll eines deutschen Regierungsmitarbeiters an das Wirtschaftsministerium publiziert. Es handelt sich um ein Protokoll zu einem Treffen der EU-Mitgliedstaaten mit der EU-Kommission vom Januar 2015 in Brüssel, bei dem über die Probleme von TTIP beraten wurde. Es liegt der SZ vor. Deutschland und Frankreich äußern sich darin kritisch über das Hauptorgan des "living agreement", den Rat für regulatorische Kooperation.

Nach den TTIP-Planungen sollen die Expertenausschüsse (Der RCB und der Joint Ministerial Body, JMB) Ergänzungen und Änderungen am schon ratifizierten Vertragswerk vornehmen können. Das stößt bei den Mitgliedstaaten, vor allem bei Frankreich und Deutschland, auf Bedenken. Warum? In den Annexen zum Vertragswerk, die von diesen Ausschüssen geschrieben werden, stecken oft wesentliche Regelungen. Im Lebensmittelrecht ist es beispielsweise so, dass die Höchstgrenzen für bestimmte Substanzen nicht im Verordnungstext, sondern in einem Anhang benannt werden.

Im Protokoll über die Beratungen werden die Mitgliedsländer wie folgt zitiert: Frankreich und Deutschland "äußerten sich kritisch zu Artikel 13 Absatz 2, wonach RCB (Anmerkung: also der Rat für regulatorische Kooperation) Entscheidungen des Joint Ministerial Body vorbereiten solle, der seinerseits Annexe ändern und hinzufügen und sonstige Entscheidungen treffen solle und den RCB mit weiteren Kompetenzen ausstatten können soll". Frankreich, Deutschland und Großbritannien warnen vor zu weitreichenden Kompetenzen für diese Expertenkommissionen: "Jedenfalls dann, wenn die Substanz der Verpflichtungen geändert werde, müsse ein Ratifizierungsverfahren greifen", heißt es im Sitzungsprotokoll.

Deutschland äußert sich "zudem kritisch zur gesamten Struktur": Es sollen nämlich unterhalb des RCB "weitere Unterarbeitsgruppen gebildet werden können" - und dagegen protestiert Deutschland - "wodurch insgesamt der Eindruck einer transatlantischen Behörde geschaffen werde, was zu erheblichen Akzeptanzproblemen führen dürfte".

Das ist in der Tat richtig. Schon das Vertragswerk als solches ist hoch umstritten - längst nicht mehr nur wegen des viel zitierten Chlorhühnchens, das vor allem ein Werbegag der Kritiker war. Die Gegner befürchten vor allem, dass TTIP das bestehende Schutzniveau im Gesundheits-, Lebensmittel- und Verbraucherrecht herabsetzt.

Auf Bedenken stößt auch das TTIP-Vorhaben, exklusive Investitionsschutzrechte für Großinvestoren zu schaffen; das könnte nämlich dazu führen, dass ein Staat, der neue Gesetze erlässt, künftig von Konzernen wegen enttäuschter Gewinnerwartungen auf Schadenersatz verklagt werden kann. Und über diese Klagen entscheiden dann nicht die ordentlichen Gerichte, sondern private Schiedsgerichte.

Das alles ist schon Gegenstand massiver Proteste. Wenn nun auch noch bekannt wird, dass Regulierungskommissionen abseits der Parlamente Änderungen am fertigen Vertragswerk vornehmen können, wird die Kritik weiter anschwellen. Es wird die Befürchtung laut werden, dass heikle Punkte aus dem zu ratifizierenden TTIP-Vertrag ausgespart und dann nachträglich von Expertengremien eingefügt werden.

Heikle Punkte könnten nicht in den zu ratifizierenden Vertrag aufgenommen werden - vorerst

Der RCB ist ein Gremium, das nach den Planungen zum TTIP künftig schon im Frühstadium der Gesetzgebung derjenigen Staaten, die dem TTIP angehören, angehört wird. So soll verhindert werden, dass nationale Gesetze erlassen werden, die im Widerspruch zum Freihandelsabkommen stehen. Das ist die eine Aufgabe des Kooperationsrats. Die andere ist die, das TTIP-Abkommen fortzuentwickeln. Und da haben, wie gesagt, auch deutsche Regierungsvertreter Bedenken: Wichtig sei, so werden sie zitiert, "dass alle Schritte in der regulatorischen Kooperation transparent sind und die Mitgliedstaaten sowie das Europäische Parlament eingebunden werden".

Professor Till Patrik Holterhus vom Institut für Völker-und Europarecht an der Uni Göttingen hat im Auftrag von Foodwatch die Rechtslage untersucht : Dem EU-Parlament sollten, so schreibt er Ende Juni in einem Gutachten, "dem demokratischen Grundverständnis der EU entsprechend", nicht nur bei der Ratifikation der Freihandelsabkommen, sondern auch "in der künftigen Anwendung entscheidende Mitwirkungsrechte eingeräumt werden. Dies sei "jedoch bisher nicht vorgesehen".

Wie weit kann die Metamorphose durch nachträgliche Änderungen gehen? Beim zoologischen Wandel ist es von Art zu Art verschieden, wie viel ursprüngliches Gewebe erhalten bleibt. Beim Schmetterling sind es nur wenige Prozent.

© SZ vom 25.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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