Freie Sachsen:Düsteres Schauspiel

Lesezeit: 3 Min.

Corona-Protest der Freien Sachsen am Chemnitzer Friedenstag - der eigentlich an die Bombardierung im März 1945 erinnern soll. (Foto: Bodo Schackow/DPA)

Die rechtsextremistische Kleinstpartei Freie Sachsen träumt von Politikern am Pranger und einer Welle der Wut. Doch die Demokratiefeinde bekommen es erst mal mit der Staatsanwaltschaft zu tun.

Von Iris Mayer, Leipzig

Montagabend im sächsischen Heidenau: Eine Puppe, 1,50 Meter groß, liegt verhüllt unter einer Decke auf der Ladefläche eines Kleinlasters. Auf dem Marktplatz sammeln sich etwa 60 Demonstranten, sie laufen bewacht von 60 Polizisten durch die Straßen der 16 000-Einwohner-Stadt. Sie sind dem Aufruf der rechtsextremistischen Splitterpartei Freie Sachsen gefolgt, die für ein "Straßentheater" getrommelt hat, "bei dem das Volk symbolisch Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck für seine Politik anklagt und ihm den Prozess macht". Garniert ist der Aufruf im Telegram-Kanal der Freien Sachsen mit einer Fotomontage, die den Grünen-Politiker an einem mittelalterlichen Pranger zeigt.

Schon vorher kursierte ein Facebook-Video, das einen Körper in einem orangefarbenen Häftlingsanzug mit Sack über dem Kopf zeigt, dazu ist eine Stimme zu hören, die verkündet, Habeck sei "vom Volk verurteilt zu 16 Wochen Pranger auf dem örtlichen Marktplatz". Die Behörden reagieren, das Landratsamt Sächsische Schweiz-Osterzgebirge untersagt den Schauprozess, die Staatsanwaltschaft Dresden leitet ein Ermittlungsverfahren ein, unter anderem wegen des öffentlichen Aufrufs zu Straftaten und der Störung des öffentlichen Friedens durch die Androhung von Straftaten. Das Bundeswirtschaftsministerium prüft ebenfalls juristische Schritte und hat das Video bei Facebook gemeldet.

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Alarmiert ist auch der sächsische Verfassungsschutz, der die Freien Sachsen schon vor gut einem Jahr als "erwiesen rechtsextremistische Bestrebung" eingestuft hat: " Als Frühwarnsystem ist es unsere Pflicht, den extremistischen Grundton derartiger Kampagnen zu entlarven. Hier geht es nicht um sachliche Kritik, sondern um den Missbrauch der grundgesetzlich geschützten Versammlungsfreiheit für eine extremistische Aktion", teilt die Behörde am Dienstag auf Anfrage mit. Man könne besorgte Bürger nur davor warnen, sich vor den Karren von Rechtsextremisten spannen zu lassen und Seite an Seite mit ihnen zu protestieren.

"Selbst beim harten Kern ist eine gewisse Ernüchterung eingekehrt"

Schon seit Wochen fürchten Innenpolitiker, dass die Freien Sachsen - groß geworden mit Protesten gegen die Corona-Maßnahmen - nun soziale Abstiegsängste schüren und einen Wutwinter anzetteln könnten. Noch ist das nur eine Sorge. Das Landesamt für Verfassungsschutz kommt derzeit zur Einschätzung, bisher sei den Akteuren mit dem neuen Thema Energiekrise "noch kein durchschlagender (Mobilisierungs-)Erfolg gelungen". Ähnlich sehen es die Wissenschaftler vom Else-Frenkel-Brunswik-Institut für Demokratieforschung der Uni Leipzig. Sie schreiben in ihrem aktuellen Report, dass "selbst beim harten Kern der Protestierenden eine gewisse Ernüchterung eingekehrt ist. Der imaginierte Systemwechsel blieb aus und zumindest ein Teil der Bewegung sieht offenbar keine Notwendigkeit mehr, wöchentlich den Aufstand zu proben."

Auch er ist Zielscheibe des Hasses der Freien Sachsen: der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer. (Foto: Sebastian Kahnert/dpa)

Der Widerstand gegen "Corona-Zwangsmaßnahmen" in der Pandemie war im Februar 2021 das Gründungsmoment der Freien Sachsen in Schwarzenberg im Erzgebirge. Um sachliche Kritik am Staat ging es dabei nie, "sondern um dessen Verächtlichmachung und Delegitimierung", wie es Sachsens Verfassungsschutzpräsident Dirk-Martin Christian ausdrückt. Vorsitzender ist der Chemnitzer Rechtsanwalt Martin Kohlmann, früherer Landeschef der Republikaner, einst Mitglied der DSU und Begründer der rechtsextremistischen Bewegung Pro Chemnitz. Die stand 2018 in den Schlagzeilen, als sie nach einer tödlichen Messerattacke auf dem Stadtfest die rechte Szene zu Aufmärschen mobilisierte.

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Das Ziel der Partei ist ein unabhängiges Sachsen, mehr Autonomie und notfalls der "Austritt aus der BRD". Die Freien Sachsen sehen mehr Gemeinsamkeiten mit Ungarn, Tschechien, Polen und der Slowakei als mit "den westdeutschen Bundesländern". Das an Bizarrem nicht arme Programm sieht neben der "geregelten Rückführung" von Verwaltungsleuten, Richtern und Journalisten aus dem Westen "in ihre Heimatländer" auch vor, "das sächsische Königshaus bei der Gestaltung der Zukunft Sachsens angemessen einzubinden". In einigen Gegenden verfängt das: Bei den Landratswahlen im Juni kam die Freie-Sachsen-Kandidatin im Landkreis Nordsachsen im ersten Wahlgang auf 20 Prozent, Parteivize Stefan Hartung holte im Erzgebirge aus dem Stand zehn Prozent.

Wichtigstes Mobilisierungsmedium ist der Telegram-Kanal, 150 000 Nutzer zählt er, Tendenz zuletzt stagnierend. Die Botschaften darin lesen sich wie ein Stakkato geronnener Wut, neben Habeck ist vor allem Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) Zielscheibe des Hasses. Und den macht die Partei auch gern zu Geld. Den 20er-Pack Aufkleber "Kretschmer verhaften!" bietet der "Sachsen-Shop" für einen Euro an, aktuelle Lieferzeit ein bis drei Tage.

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