Freiburg:"Der größte Groll auf die Täter kam von Geflüchteten"

Totale der Altstadt von Freiburg im Breisgau mit Münster und Fernsicht bei schönstem Sommerwetter, Baden Württemberg, De

Idyllisch und nun auch wieder sicherer: Freiburg hat den Spitzenplatz in der Kriminalstatistik Baden-Württembergs abgegeben.

(Foto: Ralph Peters/imago)

Nach einer mutmaßlichen Gruppenvergewaltigung, an der hauptsächlich Flüchtlinge beteiligt gewesen sein sollen, wird heute ein Urteil erwartet. Oberbürgermeister Martin Horn erzählt, welche Lehren Freiburg aus dem Verbrechen zog.

Interview von Claudia Henzler

Nach mehr als einem Jahr geht an diesem Donnerstag der Prozess um eine mutmaßliche Gruppenvergewaltigung an einer 18-Jährigen in Freiburg zu Ende. Ein Gespräch mit Freiburgs Oberbürgermeister Martin Horn über den Fall, der 2018 auch sehr politisch diskutiert wurde, weil es sich bei den elf Angeklagten fast ausschließlich um Flüchtlinge handelte.

SZ: Wie sehen Sie dem Urteil entgegen?

Martin Horn: Es ist gut, dass der Prozess zu einem Ende kommt. Der Fall hat unsere Stadt aufgewühlt und mich politisch wie auch persönlich stark beschäftigt. Ich hoffe, dass jetzt Recht gesprochen wird und wir ein klares und eindeutiges Urteil haben werden.

Interview am Morgen

Diese Interview-Reihe widmet sich aktuellen Themen und erscheint von Montag bis Freitag spätestens um 7.30 Uhr auf SZ.de. Alle Interviews hier.

Sie waren damals ja erst seit wenigen Monaten im Amt, und die mediale Aufmerksamkeit war enorm.

Das waren die heftigsten und intensivsten Tage in meiner bisherigen Tätigkeit als Oberbürgermeister. Dieses Verbrechen hat eine destruktive Emotionalität freigesetzt, die rational nicht erklärbar ist. Ich habe mehrere Tausend Hasskommentare und auch Todesdrohungen bekommen. Wie kommt man denn auf den Gedanken, nach einer solchen furchtbaren Vergewaltigung meiner Frau das Gleiche zu wünschen? Wie kommt man auf den Gedanken, dem Oberbürgermeister den Tod zu wünschen? Das gipfelte in dieser unsäglichen AfD-Demonstration, bei der ein Landtagsabgeordneter auf unserem Rathausplatz rief: "Das Blut dieser Frau klebt an euren Händen." Dieses furchtbare Verbrechen so zu instrumentalisieren, ist widerlich. Gleichzeitig bin ich stolz und dankbar, dass Freiburg bei aller Emotionalität doch sehr differenziert damit umgegangen ist, und dass es an diesem Tag zehnmal mehr Gegendemonstranten waren, die gegen Pauschalisierung und Hass Flagge zeigten.

Was hat der Vorfall für Freiburg bedeutet?

Zu dem Zeitpunkt hatte Freiburg die massive Verunsicherung durch den Mord an Maria Ladenburger im Jahr 2016 gerade einigermaßen überwunden. (Die 19-Jährige wurde von einem Flüchtling vergewaltigt und ermordet; d. Red.) Dann kam dieses kaum vorstellbare Verbrechen. Im ersten Moment war Freiburg schockiert. Das war ein klarer Rückschlag für das Sicherheitsempfinden, besonders für Frauen. Ich denke, dass Freiburg daraufhin mit der Intensivierung der Sicherheitspartnerschaft sehr rational und entschlossen reagiert hat.

Freiburg vor der Oberbügermeisterwahl

Martin Horn, 35, wurde im Mai 2018 zum Oberbürgermeister von Freiburg im Breisgau gewählt. Als parteiloser Kandidat setzte er sich überraschend gegen den langjährigen Oberbürgermeister Dieter Salomon (Grüne) durch.

(Foto: Patrick Seeger/dpa)

Kern des Sicherheitspaktes ist ein Polizeiteam, das sich mit jungen gewaltbereiten Männern befasst und durch die Innenstadt patrouilliert. Außerdem hat die Stadt ihren eigenen Sicherheitsdienst aufgestockt. Hat das Freiburg verändert?

Die Sicherheitspartnerschaft bedeutet nicht, dass die Polizei das Bild auf der Straße beherrscht. Wir haben nicht auf massive Polizeipräsenz gesetzt, sondern auf ein sehr ausgewogenes Konzept von Prävention, Ordnung und Kommunikation. Der polizeiliche Ansatz ist geprägt von präventiven Maßnahmen, zusätzlich haben wir die Straßensozialarbeit auf zehn Mitarbeiter aufgestockt und zum Beispiel das Frauennachttaxi ausgebaut, das inzwischen sehr gut angenommen wird.

Welche Resultate sehen Sie?

Das Thema Sicherheit hat deutlich an Bedeutung gewonnen, das merke ich in meinen monatlichen Stadtteilgesprächen. Die gute Nachricht ist: Wir haben zum ersten Mal nach 16 Jahren den obersten Platz in der Kriminalstatistik in Baden-Württemberg abgegeben. Die Sicherheitspartnerschaft ist aus meiner Sicht ein klarer Erfolg. Sie hat Stadtverwaltung und Polizei noch mal deutlich näher zusammengebracht, wir stimmen uns viel enger ab. Sie hat jedoch trotz der Aufstockung nicht dazu geführt, dass wir einen Überschuss an Polizeikräften hätten. Unsere beiden Polizeireviere haben eine Personalausstattung von 80 Prozent, das Präsidium hatte im vergangenen Jahr 120 000 Überstunden.

Sie haben 2018 gefordert, dass die Polizei aufstocken muss. Gilt das nach wie vor?

Definitiv. Wie gesagt, es gibt eine akute Unterbesetzung der Dienststellen und gleichzeitig zusätzliche Aufgaben. Zudem gehen die geburtenstarken Jahrgänge jetzt in den Ruhestand. Natürlich gibt es eine Einstellungsoffensive. Aber wenn man sich mal die Zu- und Abgänge auf unseren Revieren anschaut, dann war die Bilanz in den vergangenen Jahren immer negativ.

Fast alle Angeklagten kamen als Asylsuchende nach Deutschland. Ist mehr Integration nötig, damit junge Männer nicht in die Kriminalität abrutschen?

Ich habe nach diesem Verbrechen mit vielen gesprochen, die in der Integrationsarbeit aktiv sind und war total angetan, wie viel in diesem Bereich läuft. Wir haben eine Vielzahl von Projekten in der Sozialarbeit und der Bildung, zum Beispiel über die Werte des Grundgesetzes, zur Gleichbehandlung von Mann und Frau. Wir haben Integrationsmanager, die zu den Menschen in die Unterkünfte gehen. Wir haben ein sehr differenziertes Angebot an Sprachkursen und beeindruckendes ehrenamtliches Engagement. Es gibt Hunderte positive Beispiele für gelungene Integration. Mit der größte Groll auf die Täter kam von Geflüchteten selbst: Dass gerade die, die hier Schutz und Hilfe bekommen, mit dieser Tat pauschale Vorurteile bestätigen und für alle Geflüchteten Schande und Stigmatisierung bedeuten.

Manche haben vorausgesagt, dass Freiburg die Offenheit gegenüber Flüchtlingen verlieren würde. Ist es so gekommen?

Viele Freiburger haben tief erschüttert und in emotionaler Verbundenheit sehr vorbildlich reagiert - und zum Beispiel finanzielle Hilfe für das Opfer angeboten. Und sie haben sich dagegen gewehrt, dass diese Straftat für irgendwelche politischen Zwecke und für Hetze genutzt wird. Das war richtig und wichtig, dass Freiburg als weltoffene Stadt eine reflektierte Haltung gezeigt hat: Die Täter müssen rechtsstaatlich bestraft werden, gleichzeitig distanziert sich die große Mehrheit ganz klar von populistischen Instrumentalisierungen. Und wir arbeiten daran, dass unsere Stadt noch lebenswerter und noch sicherer wird. Ich finde, Freiburg hat beeindruckend reagiert.

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