Süddeutsche Zeitung

100 Jahre Frauenwahlrecht:"Das Ziel muss Parität sein, Parität überall"

  • Bundeskanzlerin Merkel (CDU) und Bundesfamilienministerin Giffey (SPD) würdigen in Berlin die Einführung des Frauenwahlrechts vor 100 Jahren.
  • Beide Politikerinnen kritisieren, dass es noch zu wenige Frauen in politischen Ämtern gebe. Aber auch die Wirtschaft sei noch weit davon entfernt, das Potenzial von Frauen zu nutzen, sagt Merkel.
  • Im Bundestag liegt der Frauenanteil bei 30,9 Prozent, in der vorherigen Legislaturperiode waren es noch 36,5 Prozent. "Das ist genau der Frauenanteil, den auch der Sudan in seinem Parlament hat", sagt dazu Merkel.

Von Henrike Roßbach, Berlin

Das mit den weiblichen Gehirnen bringt Franziska Giffey (SPD) regelmäßig in ihren Reden unter. Am Montag aber passte es besonders gut, dass die Bundesfrauenministerin an männliche Überlegungen vom Anfang des 20. Jahrhunderts erinnerte: Manch einer war damals der Meinung, Frauen hätten zu kleine Gehirne für den Gang zur Wahlurne; sie könnten das alles gar nicht richtig erfassen. Genau vor 100 Jahren, am 12. November 1918, wurde die rechtliche Grundlage für das Frauenwahlrecht in Deutschland geschaffen. Bei einem Festakt im Deutschen Historischen Museum in Berlin würdigten Giffey und Bundeskanzlerin Angela Merkel diese Errungenschaft.

"Alle Wahlen zu öffentlichen Körperschaften sind fortan nach dem gleichen, geheimen, direkten, allgemeinen Wahlrecht auf Grund des proportionalen Wahlsystems für alle mindestens 20 Jahre alten männlichen und weiblichen Personen zu vollziehen", hieß es vor hundert Jahren im Aufruf des Rates der Volksbeauftragten, drei Tage, nachdem die Republik ausgerufen worden war.

"Wir können stolz darauf sein, auch auf das, was sich Frauen seitdem erkämpft haben", sagte Giffey. Sie betonte aber auch, dass es weiterhin viel zu tun gebe. "Heute geht es um gleichen Lohn für gleiche Arbeit, um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, um die Aufwertung der sozialen Berufe und um den Schutz vor Gewalt."

Kritisch äußerte sie sich auch zu den Frauenanteilen in den Parlamenten des Landes, im Bundestag liegt der Anteil derzeit nur noch bei 30,9 Prozent nach 36,5 Prozent in der Legislaturperiode davor. Vor allem in den Fraktionen von AfD und FDP ist der Frauenanteil besonders gering.

Auch die Kanzlerin gab zu, dass bei diesem Thema noch einiges im Argen liege. "Das Ziel muss Parität sein, Parität überall", sagte sie. Der Bundestag sei da mit seinen 30,9 Prozent kein Ruhmesblatt ("Das ist genau der Frauenanteil, den auch der Sudan in seinem Parlament hat"); geradezu "schockiert" sei sie zudem über die geringe Zahl von Oberbürgermeisterinnen. Es müsse nachgedacht werden über politische Formate und darüber, wie Frauen schon ganz früh im Prozess als Kandidatinnen aufgestellt werden könnten.

Um Frauen voranzubringen, seien auch die Männer gefragt, sagt Merkel

Neben der Politik sei aber auch die Wirtschaft noch weit davon entfernt, die Fähigkeiten und Talente von Frauen richtig zu nutzen, sagte Merkel mit Blick auf den nach wie vor geringen Frauenanteil in den Vorständen des Landes.

Ebenfalls dabei beim Festakt war die Richterin und ehemalige Hamburger sowie Berliner Justizsenatorin Lore Maria Peschel-Gutzeit. Sie hatte mit der "Lex Peschel" einst dafür gesorgt, dass Beamtinnen und Richterinnen sich aus familiären Gründen beurlauben lassen und in Teilzeit arbeiten können, samt Rückkehrrecht. Nun kritisierte Peschel-Gutzeit, dass es ein echtes Rückkehrrecht für alle bis heute in der freien Wirtschaft nicht gebe - trotz des neuen Brückenteilzeitgesetzes, das im kommenden Jahr in Kraft treten soll. "Ich empfinde das als empörend."

Die Kanzlerin äußerte ganz grundsätzlich die Meinung, dass man Frauen heute nur dann weiter voranbringen könne, wenn man auch die Männer in den Blick nehme. Immerhin: Kein Mädchen werde heute mehr ausgelacht, wenn es Ministerin oder gar Bundeskanzlerin werden wolle. Was alle weiteren Fortschritte angeht, so äußerte sie die Hoffnung, dass diese nicht "weitere hundert Jahre" auf sich warten lassen.

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