Frauenwahlrecht (I):"Herr Dr. Kohl, das geht doch nicht"

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Seit 1918 dürfen Frauen wählen. Nach dem Krieg wollten sie auch mitmachen. Die CDU-Politikerin Roswitha Verhülsdonk über ihre Erlebnisse im Männerbetrieb Politik.

Interview von Susanne Klein

SZ: Frau Verhülsdonk, als Sie 1964 in die CDU eintraten, wie war Ihr Leben da?

Roswitha Verhülsdonk: Ich war 37, verheiratet, hatte zwei Kinder und half meinem Vater bei der Arbeit in seinem Lehrerverband. Wahrscheinlich passte ich ganz gut ins damalige Rollenverständnis der CDU: der Ehemann als Ernährer, die Frau als Partnerin und Mutter. Auf Dauer hätte mir das aber nicht gereicht. Ich wollte Politik für Frauen und Familien machen, Themen voranbringen, die in der CDU unterbelichtet waren.

Welche Themen waren das?

Die Männer waren fixiert auf die Männerthemen: Wirtschaft stärken, Arbeitsplätze schaffen. Wir Frauen interessierten uns für die Jugendwohlfahrt, für das Bundessozialhilfegesetz, für Bildungs- und Baupolitik.

Baupolitik?

Ja, als wir im Stadtrat von Koblenz in den Bauausschuss gingen, rissen die Männer Mund und Nase auf: Was wollen denn die Mädchen hier im Bauausschuss? Die sollen gefälligst in den Sozialausschuss gehen!

Was wollten Sie denn im Bauausschuss?

Zum Beispiel dagegen angehen, dass im sozialen Wohnungsbau maximal 80 Quadratmeter gebaut wurden, nur weil der Bund nicht mehr bezuschusste. Eine Familie mit drei, vier Kindern auf so engem Raum? Nach dem Krieg musste man zusammenrücken, aber jetzt waren wir auf dem Weg in die Siebziger! Da wollten wir Schwung hineinbringen.

Wie haben Sie sich Gehör verschafft?

Wir trugen unsere Themen vor und stellten Anträge. Die Männer zweifelten. Wir haben gesagt: Dann redet mal zu Hause mit euren Frauen darüber, ob das vernünftig ist oder nicht. Und die Ehefrauen haben natürlich gesagt, ja, die Forderung ist richtig. Wir hatten unsere eigenen Wege, die Programmatik der Partei mit unseren Themen anzureichern.

Taktische Allianzen .

Selbstverständlich. Zum Beispiel habe ich mehrmals Marianne Strauß angerufen, wenn wir ihrem Mann etwas beibringen wollten, das er nicht einsehen wollte. Ich kannte sie gut, weil ihre Schwester in Bacharach am Rhein Bürgermeisterin war.

Wie standen Sie zu Franz Josef Strauß?

Ich habe nur ein einziges Mal geheult in meiner Zeit als Politikerin. Das war, als die Unionsfraktion 1980 beschloss, den Strauß als Kanzlerkandidaten zu akzeptieren. Ich bin dann raus aus dem Saal, Heiner Geißler kam hinterher und reichte mir sein Taschentuch. Ich konnte mir nicht vorstellen, jemanden wie Strauß meinen Wählern zu vermitteln.

Da saßen Sie längst im Bundestag . Was störte Sie an Strauß?

Er hat sich damals in der Fraktion genauso verhalten wie heute Seehofer in der Koalition. Hatte keinen guten Stil, hat immer gedroht. Ich hab' mich schon 1974 mit ihm angelegt, als wir nach der Willy-Wahl von 1972 in der Opposition geblieben waren.

Nach der für Kanzler Willy Brandt sehr erfolgreichen Bundestagswahl.

Genau. Die SPD ging gestärkt daraus hervor und wollte massiv das Kindergeld erhöhen. Strauß verlangte, dass wir dagegen stimmen. Ich habe heftig widersprochen: dass es dumm ist, gegen etwas zu stimmen, das auch unsere Wähler gut finden. Strauß war sauer und schrieb dem Mainzer CDU-Landeschef Bernhard Vogel, ich dürfe nicht noch mal ein Bundestagsmandat kriegen. Vogel hat mir den Brief gezeigt. So verfuhr Strauß mit Leuten, die ihm nicht passten.

Im Bauausschuss ihrer Heimatstadt fing sie als Politikerin an: Roswitha Verhülsdonk in ihrer Wohnung in Koblenz. (Foto: Matthias Ferdinand Doering)

Gab es Männer, die Sie förderten?

Einige sogar. Auch Helmut Kohl war ein Förderer. Ich weiß noch, 1973 hatten Helga Wex, die Vorsitzende der CDU-Frauenvereinigung, und ich erkämpft, dass es auf dem Bundesparteitag einen halben Tag um Frauenpolitik ging. Als es dann so weit war, liefen die Männer an die Biertische, der Saal war zu zwei Dritteln leer. Da hab' ich zu Kohl gesagt, Herr Dr. Kohl, das geht doch nicht, die Kerle kommen ja nicht wieder. Kohl packte seine Parteitagsglocke, ging raus und läutete. Es war klar, wer draußen blieb, kriegte es mit ihm zu tun. Kohl hatte die nötige Power.

Aber Helmut Kohl war es auch, der nicht zuließ, dass Sie 1988 nach Rita Süssmuth Bundesfamilienministerin wurden.

Das hat er mir erklärt. Das kleine Rheinland-Pfalz stellte schon ihn selbst als Bundeskanzler, Heiner Geißler als Generalsekretär, zwei Staatsminister im Kanzleramt, den Umweltminister. Mehr ging nicht, er musste jemanden aus Hessen nehmen.

Die CDU-Frauen waren trotzdem empört.

Sie waren gegen den Länderproporz. Aber ich habe es eingesehen. Außerdem hing ich an meiner Aufgabe als stellvertretende Fraktionsvorsitzende. Ich war stark eingebunden in die gesetzgebende Ausschussarbeit, das hat mir Spaß gemacht.

Sie hängen bis heute an der Frauen-Union, wurden 1969 Landesvorsitzende, später auch Vize im Bund. Wie hat sich das Miteinander der CDU-Frauen entwickelt?

Die Frauen, die anfangs in den Bundestag gewählt wurden, hatten noch kein richtiges Solidaritätsbewusstsein. Die haben sich durchgesetzt, waren stolz darauf, ihre Position errungen zu haben und redeten nicht von Netzwerken oder ähnlichem. Das fing erst mit Rita Süssmuth in den Achtzigern an.

Was waren das für Frauen, die sich in der Frauen-Union engagierten?

Zumeist berufstätige, häufig unverheiratete, selbständige Frauen, die festgestellt hatten: In dieser Männerpartei kriegen wir kein Bein auf die Erde. Und die Atmosphäre in den Kneipenhinterzimmern, in denen Kette geraucht wurde, fanden wir auch scheußlich. Also suchten wir uns Räume, um unter uns über Politik zu reden.

Wie konnten diese fortschrittlichen Politikerinnen ihr Selbstverständnis mit dem Frauenbild der CDU vereinbaren?

Wir waren uns schon darüber im Klaren, dass wir ein Stück weit Exoten waren. Die christlich-sozial eingestellten Frauen, die sich als Pendant zu ihrem Mann sahen, mussten wir erst mal dazu bringen, ein eigenes Weltbild zu entwickeln.

Sind Sie nicht selbst katholisch und konservativ? Anders als Ihre Parteikolleginnen Rita Süssmuth und Angela Merkel waren Sie strikt gegen eine Fristenlösung, als nach der Wende der Paragraf 218 wieder auf dem Tisch lag.

Ich war der Meinung, der Schutz des Lebens muss sein. Und dafür brauchten wir Begleitgesetze, ein offeneres Adoptionsrecht, Rat und Hilfe für Frauen in Konfliktsituationen.

Einig waren sich die Frauen, sogar parteiübergreifend, dass 1997 die Vergewaltigung in der Ehe ohne Wenn und Aber strafbar werden sollte.

Ja, das war kurz nach meiner Bundestagszeit. Die Frauen überlisteten mit einem Gruppenantrag die konservativen und liberalen Männer, die bis zuletzt auf der "Widerspruchsklausel" bestanden hatten.

Mit der Klausel sollten Frauen ihren Mann doch noch vor einem Strafverfahren bewahren können.

Die Diskussionen waren schrecklich. Schon seit den Achtzigern stritten wir darüber. Die Männer waren beleidigt, sagten, sie würden ihre Frauen nicht vergewaltigen. Na, das hoffen wir, konterten wir, aber viele andere tun es. Sie fanden, so ein Sexualstrafrecht bedrohe die Ehe, die Männer würden dann nicht mehr heiraten. Schlimmes Zeug wurde da geredet. Wir Frauen kamen nicht dagegen an.

Sind das die Momente, wo man denkt, wir brauchen eine Frauenquote?

Damit haben wir uns ja lange schwer getan. Wir wollten wegen unserer Leistungen gewählt werden, nicht wegen des Geschlechts. Leider ist die Rechnung nicht aufgegangen.

Die Frauen-Union fordert inzwischen die vollständige Gleichberechtigung in politischen Ämtern und Mandaten. Doch dafür lockt die CDU nicht genug Frauen an: Nur jedes vierte Parteimitglied ist weiblich.

Ich fürchte, das liegt daran, dass die Frauen, die heute mit großem Selbstbewusstsein und meist besserer Ausbildung als die Männer auftreten, von den Männern in der CDU nicht mehr in erster Linie als Frauen gesehen werden. Sondern als Konkurrenten.

Meinen Sie, das Fortkommen der Frauen, für das Sie als CDU-Frau gekämpft haben, ist in der CDU gar nicht willkommen?

Jedenfalls noch nicht genug. Ich habe mich ja nicht für den Zugang von Mädchen zum Studium eingesetzt, um jetzt zu sagen: So, Glückwunsch, ihr habt ein prima Examen gemacht, dann kriegt jetzt Kinder und kehrt gefälligst zurück in eure alte Rolle.

Immerhin hat nun eine Frau 18 Jahre lang die Partei geführt. Wer soll jetzt Angela Merkel nachfolgen?

Die Frauen-Union hat ja schon erklärt, für wen sie ist: Annegret Kramp-Karrenbauer. Weil wir wollen, dass die CDU genau die Position der Mitte behält, die sie jetzt innehat.

© SZ vom 12.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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