Süddeutsche Zeitung

Frauenwahlrecht:Erste Frauen gewählt: Eine kleine Revolution in Saudi-Arabien

In kaum einem anderen Land der Welt haben Frauen so wenige Rechte. Jetzt durften sie erstmals an Wahlen teilnehmen.

Von Simon Hurtz

Salma bent Hisab al-Oteibi wird in Madrakah am Rande der heiligen islamischen Stadt Mekka künftig mitentscheiden dürfen, wenn es um den Bau von Parkplätzen für Autos geht - selbst darauf parken darf sie allerdings nicht. Der amtlichen Nachrichtenagentur SPA zufolge ist sie die erste Frau, die in Saudi-Arabien zur Gemeinderätin gewählt wird, von Gleichberechtigung ist das Königreich aber noch weit entfernt: Autofahren ist Frauen grundsätzlich verboten. Das gibt es sonst in keinem anderen Land der Erde.

Saudi-Arabien hat am Samstag Frauen erstmals erlaubt, sich an einer Wahl zu beteiligen. Aktiv, als Wählerinnern, aber auch passiv, als Kandidatinnen. 130 000 Frauen hatten sich registrieren lassen, etwa 980 traten selbst zur Wahl an. Ihnen standen knapp anderthalb Millionen männliche Wähler und 6900 Bewerber gegenüber.

Gemeinderäte besitzen nur wenige Kompetenzen

Nun werden erste Ergebnisse bekannt, und neben Salma bent Hisab al-Oteibi haben es weitere Frauen in den Gemeinderat geschafft. So werden auch in der Hafenstadt Dschidda im Westen des Landes mindestens zwei Unternehmerinnen im Lokaltparlament sitzen. Die offiziellen Ergebnisse sollen im Laufe des Tages veröffentlicht werden.

Gemeinderäte haben in Saudi-Arabien nur wenig Gestaltungsmacht. Sie entscheiden über lokale Verwaltungspolitik - etwa über den Bau von Parkplätzen. Tiefgreifende gesellschaftliche Veränderungen können sie kaum in Gang bringen. Was die Kommunalwahl für das ultrakonservative Saudi-Arabien bedeutet, ist umstritten. Die Interpretationen reichen von "kleine Revolution" bis "reine PR-Maßnahme".

Die Wahl ist ein Fortschritt

Insbesondere die beteiligten Frauen freuen sich über die Möglichkeit, selbst zu wählen und gewählt zu werden. "Ich bin total aufgeregt. Und ich bin stolz, eine der ersten zu sein, die wählen darf", zitiert die Tagesschau eine Wählerin. Ein zuständiger Ministerialbeamter glaubt, dass "die absolute Mehrheit" dafür sei, dass Frauen wählen und kandidieren. "Das ist eine große Sache, dass Frauen gleich beim ersten Mal beides dürfen."

Auch viele Menschenrechtler und Aktivisten sehen die Abstimmung als Fortschritt für die Frauenrechte. "Saudi-Arabien hat erkannt, dass es sich in Sachen Frauenrechte weiterentwickeln muss", sagt etwa Adam Coogle von Human Rights Watch. Korrespondenten berichten von bewegenden Szenen in den Wahllokalen. "Ich habe geweint", gibt die Nachrichtenagentur AFP eine Wählerin in der Hauptstadt Riad wieder. "Es ist etwas, das wir sonst nur im Fernsehen in anderen Ländern gesehen haben."

Es gibt auch kritische Stimmen. Ludschain al-Hathlul, die seit Jahren gegen das Fahrverbot für Frauen in Saudi-Arabien kämpft, sagt, einige Frauen hätten die Wahl von Anfang an boykottiert - aus Unzufriedenheit mit dem Status quo: "Sie hatten das Gefühl, es ist nur ein Versuch, uns Frauen zu besänftigen." Andere Kandidatinnen seien unter anderem von religiösen Gelehrten unter Druck gesetzt worden und hätten ihre Kandidatur daraufhin zurückgezogen.

Das Interesse an der Wahl war relativ gering. "Viele Frauen haben sich gar nicht erst registriert", sagt Muna Abu Sulaiman, eine saudische TV-Persönlichkeit und Aktivistin. Wer sich als Kandidatin hatte aufstellen lassen, musste viele Widerstände überwinden: Kandidatinnen durften Männer nicht direkt adressieren, sondern mussten sich auf Veranstaltungen durch einen Sprecher vertreten lassen. Deshalb fand ein Großteil des Wahlkampfs im Internet und in den sozialen Medien statt.

Auch die Stimmabgabe war mitunter eine Herausforderung. "Wenn ein Mann eine Frau davon abhalten möchte zu kandidieren oder zu wählen, gibt es so viele Wege, wie er das tun kann", sagte Coogle von der Menschrechtsorganisation Human Rights Watch. Da sie nicht selbst Autofahren dürfen, seien Frauen logistisch auf Männer angewiesen. Wenn sie sich zur Wahl registrieren wollten, hätten sie einen auf ihren Namen ausgestellten Nachweis über ihren Wohnsitz vorlegen müssen - ein Problem in einem Land, in dem Frauen alleine nur schwer Mietverträge abschließen oder Häuser kaufen können. Coogle fordert deshalb: "Die Regierung sollte die Probleme lösen, die es Frauen schwermachen, sich zu beteiligen und auf diesen Prozess aufzubauen."

Die politischen Hintergründe

Saudi-Arabien hat sich im vergangenen Jahrzehnt langsam geöffnet. König Abdullah, der Anfang 2015 starb, hatte in seiner Regierungszeit versucht, die Stellung der Frau zu stärken - gegen den massiven Widerstand konservativer Kleriker. Frauen können heute leichter Unternehmen gründen und Berufe ergreifen, die ihnen lange Zeit verboten waren. Zwei Drittel der Hochschulabsolventen sind weiblich, es gibt eine gemischtgeschlechtliche Universität, und die Zahl der berufstätigen Frauen ist seit 2010 um knapp die Hälfte gestiegen - trotzdem sind insgesamt nur 16 Prozent aller Beschäftigten weiblich.

Der Nachfolger Abdullahs, König Salman, gilt in gesellschaftspolitischen Fragen zwar als deutlich konservativer, hat die von Abdullah angestoßenen Reformen bislang aber nicht rückgängig gemacht. Damit zieht er die Kritik radikaler Theologen auf sich, die Frauen in der Politik für ein "moralisches Übel" halten. So berichtet die Frankfurter Allgemeine Zeitung, dass der Scheich Abdurrahman bin Nasir al-Barrak in einer Fatwa verboten habe, dass Frauen an Wahlen teilnehmen oder in öffentliche Ämter berufen werden.

Frauen werden in Saudi-Arabien stark benachteiligt:

  • Autofahren ist Frauen grundsätzlich untersagt. Wer dagegen verstößt, muss mit Peitschenhieben oder Gefängnisstrafen rechnen.
  • Frauen dürfen nicht alleine reisen, zuvor ist die Zustimmung eines Mannes nötig.
  • Heiraten nach eigenen Vorstellungen ist verboten. Ein Beschützer muss die Ehe absegnen.
  • Frauen ist es nur in engen Grenzen erlaubt, sich scheiden zu lassen - sie stoßen dabei in jedem Fall auf mehr Schwierigkeiten als Männer.
  • Arbeiten dürfen Frauen nicht nach eigenem Wunsch, es braucht das Einverständnis eines Mannes.
  • Für Frauen gibt es zahlreiche Einschränkungen auf dem Arbeitsmarkt, bestimmte Berufe können sie nicht ergreifen.
  • Keine Frau darf sich unverschleiert in der Öffentlichkeit zeigen. Sie müssen mindestens ihren Körper vom Hals abwärts mit einem mantelartigen Übergewand verhüllen, der sogenannten Abaya. Viele bedecken ihren Kopf zusätzlich mit einem Hidschab oder verschleiern ihr Gesicht mit einem Niqab.
  • Das Ausgehen mit Männern außerhalb der eigenen Verwandtschaft ist untersagt - auch in Restaurants herrscht strikte Abschottung.
  • Auch bei der Verteilung des Erbes sind Frauen benachteiligt: Sie erhalten stets weniger als Männer.

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