Frauenrechte:Prügel für Churchill - der Kampf der Suffragetten

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Englische Suffragette bei einem Auftritt. Das Foto entstand 1910. (Foto: Süddeutsche Zeitung Photo)

Die Öffentlichkeitsarbeit war ausgeklügelt und waghalsig: Vor hundert Jahren setzten die Suffragetten sogar ihr Leben aufs Spiel, um das Wahlrecht zu erlangen.

Von Monika Goetsch

Sie flanieren durch die Straßen, ziehen nebenbei einen Stein aus der Handtasche und schmettern ihn in die Fensterscheiben eines Kaufhauses oder Herrenklubs. Sie verätzen Golfplätze mit Säure. Einmal kappen sie sämtliche Telegrafen- und Telefonleitungen zwischen London und Glasgow.

Dann wieder zerschlagen sie Vitrinen, schlitzen berühmte Gemälde auf, ebenso Eisenbahnsitze. Sie stecken Boots- und Sommerhäuser in Brand. Sprengen Bahnhöfe. Ihre Parolen pinseln sie ohnehin überall hin. Und natürlich verstehen sie auch, sich zu wehren, wenn ein Polizist zulangt. Nicht mit Geschrei. Sie kämpfen professionell. Denn sie trainieren Jiu Jitsu, für den Ernstfall.

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Man sieht all den Damen in kleidsamem Weiß und Grün und Violett nicht an, wie mutig und zäh sie sind. Dass sie regelmäßig im Londoner Frauengefängnis Holloway einsitzen, dort das Essen verweigern und aufs Brutalste zwangsernährt werden.

Dass man sie aus dem Gefängnis wirft, wenn der Hunger sie zu sehr geschwächt hat, nur um sie, wie es das 1913 frisch verabschiedete Katz-und Maus-Gesetz (Cat and Mouse Act) erlaubt, zum weiteren Absitzen der Strafe ins Gefängnis zurückzuholen, sobald sie halbwegs zu Kräften gekommen sind.

Wieder und wieder riskieren diese Frauen ihr Leben. Stoff für einen Film? Stoff für viele Filme! Am 4. Februar startete "Suffragette - Taten statt Worte" (Regie: Sarah Gavron) in den deutschen Kinos, mit den Schauspielerinnen Carey Mullighan und Helena Bonham Carter in den Hauptrollen. Die Geschichte, in der sich eine junge Londoner Wäschereiarbeiterin der radikalen Frauenbewegung anschließt, beginnt mit einem Steinwurf.

Die Macht in Haus, Öffentlichkeit und Politik gehört allein den Männern

Sie endet mit der tödlichen Verletzung von Emily Davidson, die beim Epsom Derby unter die Hufe des Rennpferdes von König George V. geriet. War es Selbstmord? Oder doch nur ein Unfall? Jedenfalls verschaffte das Unglück den britischen Suffragetten 1913 - soll man sagen: endlich? - eine echte Märtyrerin.

Mit größtmöglicher Wucht erzählt der Film "Suffragette" von der härtesten Phase im Kampf der britischen Feministinnen um das Wahlrecht. Und toppt damit den an Spannung und Emotionalität ebenfalls nicht armen Film von Katja von Garnier, "Alice Paul - Der Weg ins Licht" mit Hilary Swank und Angelica Huston, der im Jahr 2004 den Kampf der amerikanischen Suffragetten um das Frauenwahlrecht nachzeichnete.

Beiden Filmen wünscht man - auch wenn "Suffragette" die Spannung etwas dick aufträgt - viele enthusiastische Zuschauerinnen und Zuschauer, ebenso der gerade abgeschlossenen britischen Fernsehserie "Downton Abbey", die so behaglich von der Befreiung der Frauen erzählt.

Hier ist es die süße, den Armen und Geknechteten zugetane Lady Sybil, die 1914 "thrilled" (fasziniert) von der aufgeheizten Atmosphäre an einer politischen Versammlung teilnimmt, bereits beim nächsten Mal allerdings zu Boden gerissen und totenblass und blutend vom Platz getragen wird.

Politik war in dieser Zeit mitunter lebensgefährlich. Besonders bekannt ist der Kampf, den die Suffragetten vor mehr als hundert Jahren immer tollkühner ausfochten, heute trotzdem nicht. Vielleicht, weil ihr Krieg einer Sache galt, die in der westlichen Welt inzwischen zum Gähnen selbstverständlich ist: dem "Suffrage", dem Stimmrecht.

Dabei geht es beim Recht zu wählen ja nicht nur darum, alle paar Jahre ein Kreuzchen zu machen. Die Suffragetten, die ihre Mission als gemäßigte Suffragisten bereits im 19. Jahrhundert begannen, wussten aus Erfahrung: Kein englischer Politiker nimmt freiwillig Rücksicht auf das, was die Frauen des nachviktorianischen Zeitalters brauchen. Nicht auf die katastrophalen Arbeitsbedingungen in den Textilfabriken der entfesselten Industrialisierung.

Eine Kundgebung von Feministinnen 2012 in historischen Kostümen. (Foto: Oli Scarff/Getty)

Nicht auf die Armut alleinstehender Frauen, das Elend lediger oder verwitweter Mütter. All die von ihren Männern verprügelten, misshandelten und missbrauchten Frauen des Industrieproletariats hatten keine Stimme im Parlament. Den bürgerlichen Ehefrauen verbot der Gatte die Arbeit. Die Macht in Haus, Öffentlichkeit und Politik gehörte den Männern.

Dass Frauen heute über Geschlechtergerechtigkeit nicht nur diskutieren, sondern ganz oben mitentscheiden, ist auch diesen Kämpferinnen zu verdanken, die nach einem Zeitungsbericht aus dem Jahr 1906 abschätzig "Suffragetten" genannt wurden. An ihrer Spitze stand eine waghalsige Großbürgerin, Emmeline Pankhurst (1858 bis 1928), Mutter von fünf Kindern, zwei davon, Silvia und Christabel, ebenfalls charismatische Frauenrechtlerinnen.

Ausgeklügelte, gewitzte Öffentlichkeitsarbeit

Im Film hat Pankhurst, die 1903 die "Women's Social and Political Union" (WSPU) gründete und deren Radikalisierungskurs festlegte, nur einige wenige Auftritte. Auch in Wirklichkeit machte sich Pankhurst rarer in den Jahren vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges. Die Situation hatte sich zugespitzt.

Bei jeder ihrer flammenden Reden musste Pankhurst befürchten, gefangen genommen zu werden. Von gut trainierten weiblichen Bodyguards geschützt, stahl sie sich durch den Hintereingang nach einer Kundgebung davon, während die Polizei eine andere festnahm, die gewieft als Pankhurst verkleidet war.

Gespielt wird die Lichtgestalt der Suffragettenbewegung von Meryl Streep, einer Schauspielerin, die selbst Frauen anhimmeln, denen das Anhimmeln von Frauen durch Frauen eigentlich peinlich ist. "Jede Tochter sollte diese Geschichte kennen, jeder Sohn sollte sie in seinem Herzen tragen", lässt Streep ihr Publikum wissen. Sie selbst hat vor knapp fünf Jahren die Staatslenkerin Margaret Thatcher verkörpert. Eine wie Pankhurst hartgesottene, kompromisslose Frau, deren politische Karriere ohne das Frauenwahlrecht, das in Thatchers Geburtsjahr 1925 eingeführt wurde, nicht denkbar gewesen wäre.

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Die ausgeklügelte, gewitzte Öffentlichkeitsarbeit der WSPU gipfelt in aufsehenerregenden Aktionen, die den Suffragetten die Titelseiten der Zeitungen nicht nur in England sicherte. Vor nichts schienen die zornigen Frauen zurückzuschrecken. Auch wenn der Kampf sich gegen Besitz, nicht gegen Menschen richtete, kam es zu Körperverletzungen auf beiden Seiten.

Am Bahnhof von Bristol passte Therese Garnett den Minister Winston Churchill ab, um ihn im Namen aller vom Staat gedemütigten englischen Frauen mehrfach mit einer Reitpeitsche zu traktieren. Es folgte die relativ milde Haftstrafe von einem Monat - Churchill sah klug davon ab, als geschlagener Mann vor Gericht zu erscheinen.

Warum die Suffragettenbewegung ausgerechnet in England erstarkte und sich so beispiellos radikalisierte, erklärt die Münchner Historikerin und Autorin Michaela Karl in ihrem lesenswerten Buch "Wir fordern die Hälfte der Welt! - Der Kampf der Suffragetten um das Frauenstimmrecht" (Fischer Verlag).

Die Schauspielerin Mary Pickford, 1910. (Foto: Hulton Archive/Getty)

Drei große Wahlrechtsreformen und der Bedeutungszuwachs des Parlaments befeuerten das Anliegen der Frauen, endlich auch mit von der Partie zu sein. "Kein anderes Land bot jene Mischung aus konstitutioneller Monarchie und langjähriger parlamentarischer Tradition", schreibt Karl. 1866 entstanden die ersten Frauengruppen, 1868 die "National Society for Women's Suffrage".

Es folgten zermürbende Jahrzehnte: Vierzig Jahre lang brachten einzelne Parlamentarier regelmäßig den Antrag auf Einführung des Frauenstimmrechts ein - und scheiterten. Die gemäßigten Suffragisten versucht weiterhin geduldig, Abgeordnete von ihrem Anliegen zu überzeugen.

Die Aktivistin Emmeline Pankhurst dagegen war überzeugt: Die Landarbeiter hatten 1884 das Wahlrecht nicht deshalb erhalten, weil sie die Politiker um den Finger wickelten, sondern weil sie "Heuhaufen angesteckt, Krawalle gemacht und auch auf andere Weise ihre Stärke demonstriert hatten. Der einzige Weg, den englische Politiker verstehen können."

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Ihre WSPU setzt darum "auf Totalopposition". "Deeds not words" war das Motto der Suffragetten, Taten, nicht Worte. Anfangs hat das noch durchaus friedliche Züge. Die Frauen stellen sich an Straßenecken auf mitgebrachte Stühle und halten Reden in eigener Sache; sie quälen die Parlamentarier durch beständige Zwischenrufe, sie stürmen Versammlungen.

Den abfällig gemeinen Begriff Suffragetten füllen sie mit Stolz und wachsender Krawallbereitschaft; sie nehmen Anfeindungen und Zerwürfnisse in Kauf, im eigenen Lager wie in der Bevölkerung. Sie lassen sich bespucken und bespotten, werden verprügelt und gedemütigt. Aber sie geben nicht auf.

Erst der Erste Weltkrieg brachte die entscheidende Reform.

Es kommt zu stundenlangen Straßenschlachten, Hunderte Frauen werden ins Gefängnis geschleppt und wie Kriminelle behandelt. Von Jahr zu Jahr autoritärer geführt gleicht die WSPU mit seiner geliebten Anführerin bald einer Armee im Kriegszustand.

Pankhurst will "England und jeden Bereich englischen Lebens unsicher und gefährlich machen". Ausgerechnet der Erste Weltkrieg setzt der Suffragettenbewegung ein abruptes Ende. Man kümmert sich ums Siegen, nicht um Privilegien. Und doch erhalten mit Kriegsende Frauen ab 30 Jahren das lang ersehnte Wahlrecht; seit 1925 gilt es dann endlich für alle.

Warum die Regierung schließlich einlenkte? Sicher auch, um weiteren harten Kämpfen vorzubeugen. "Der Krieg bot die Lösung für den drohenden Gesichtsverlust", so Michaela Karl. Nach dieser Deutung ist das Frauenstimmrecht "nicht zuletzt dem Motiv aller Reformen der britischen Geschichte geschuldet: der Verhinderung einer Revolution."

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Rund hundert Jahre später erscheint die Sache, für die jene Frauen so erbittert kämpften, sehr fern. Die Chancen von Männern und Frauen haben sich weitgehend angeglichen - jedenfalls da, wo veränderte Arbeitsbedingungen und die Möglichkeit der Empfängnisverhütung die weibliche Unabhängigkeit stärken.

Aber noch immer fragt man sich, warum sich die hoffnungsvollen Karrieren so vieler junger Mütter zwischen Wäschebergen und Teilzeitarbeit in Luft auflösen. Wieso Macht und Geld in der Arbeitswelt weiter ungleich verteilt sind. Wie man Sexismus im Alltag eindämmt.

Dass auf solche Defizite inzwischen auch politisch reagiert wird, hat nicht zuletzt mit den Steinwürfen der Suffragetten zu tun.

© SZ vom 16.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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