Sie flanieren durch die Straßen, ziehen nebenbei einen Stein aus der Handtasche und schmettern ihn in die Fensterscheiben eines Kaufhauses oder Herrenklubs. Sie verätzen Golfplätze mit Säure. Einmal kappen sie sämtliche Telegrafen- und Telefonleitungen zwischen London und Glasgow.
Dann wieder zerschlagen sie Vitrinen, schlitzen berühmte Gemälde auf, ebenso Eisenbahnsitze. Sie stecken Boots- und Sommerhäuser in Brand. Sprengen Bahnhöfe. Ihre Parolen pinseln sie ohnehin überall hin. Und natürlich verstehen sie auch, sich zu wehren, wenn ein Polizist zulangt. Nicht mit Geschrei. Sie kämpfen professionell. Denn sie trainieren Jiu Jitsu, für den Ernstfall.
Man sieht all den Damen in kleidsamem Weiß und Grün und Violett nicht an, wie mutig und zäh sie sind. Dass sie regelmäßig im Londoner Frauengefängnis Holloway einsitzen, dort das Essen verweigern und aufs Brutalste zwangsernährt werden.
Dass man sie aus dem Gefängnis wirft, wenn der Hunger sie zu sehr geschwächt hat, nur um sie, wie es das 1913 frisch verabschiedete Katz-und Maus-Gesetz (Cat and Mouse Act) erlaubt, zum weiteren Absitzen der Strafe ins Gefängnis zurückzuholen, sobald sie halbwegs zu Kräften gekommen sind.
Wieder und wieder riskieren diese Frauen ihr Leben. Stoff für einen Film? Stoff für viele Filme! Am 4. Februar startete "Suffragette - Taten statt Worte" (Regie: Sarah Gavron) in den deutschen Kinos, mit den Schauspielerinnen Carey Mullighan und Helena Bonham Carter in den Hauptrollen. Die Geschichte, in der sich eine junge Londoner Wäschereiarbeiterin der radikalen Frauenbewegung anschließt, beginnt mit einem Steinwurf.
Die Macht in Haus, Öffentlichkeit und Politik gehört allein den Männern
Sie endet mit der tödlichen Verletzung von Emily Davidson, die beim Epsom Derby unter die Hufe des Rennpferdes von König George V. geriet. War es Selbstmord? Oder doch nur ein Unfall? Jedenfalls verschaffte das Unglück den britischen Suffragetten 1913 - soll man sagen: endlich? - eine echte Märtyrerin.
Mit größtmöglicher Wucht erzählt der Film "Suffragette" von der härtesten Phase im Kampf der britischen Feministinnen um das Wahlrecht. Und toppt damit den an Spannung und Emotionalität ebenfalls nicht armen Film von Katja von Garnier, "Alice Paul - Der Weg ins Licht" mit Hilary Swank und Angelica Huston, der im Jahr 2004 den Kampf der amerikanischen Suffragetten um das Frauenwahlrecht nachzeichnete.
"Es kann keinen wirklichen Frieden in der Welt geben, bis die Frau, die Mutter, die Hälfte der Menschheitsfamilie, die Freiheit in den Führungsgremien der Welt erhält."
"Ich habe nie bereut, eine Frau zu sein. Aber es war klar, dass die Männer glaubten, den Frauen überlegen zu sein, und dass die Frauen dem offensichtlich stillschweigend zustimmten."
"Ich war 19 glückliche Jahre lang verheiratet. Oft habe ich spöttische Bemerkung darüber gehört, Suffragetten seien Frauen, die keinen normalen Weg gefunden hätten, ihre Gefühle auszuleben. Darum seien sie sauertöpfische, enttäuschte Wesen. Das trifft wahrscheinlich auf keine Suffragette zu, und ganz sicher nicht auf mich. Mein häusliches Leben und meine Beziehungen waren fast so ideal, wie es in dieser durchaus nicht perfekten Welt möglich ist."
"Haushalt und Kinder haben mich nie so beansprucht, dass ich mein Interesse am Gemeinwesen verlor. Dr. Pankhurst wünschte keineswegs, dass ich mich in eine Haushaltsmaschine verwandelte. Er war der festen Überzeugung, dass die Gesellschaft die Frauen genauso braucht wie die Familie."
Aus: Emmeline Pankhurst: "Suffragette. My Own Story" (1914)
Beiden Filmen wünscht man - auch wenn "Suffragette" die Spannung etwas dick aufträgt - viele enthusiastische Zuschauerinnen und Zuschauer, ebenso der gerade abgeschlossenen britischen Fernsehserie "Downton Abbey", die so behaglich von der Befreiung der Frauen erzählt.
Hier ist es die süße, den Armen und Geknechteten zugetane Lady Sybil, die 1914 "thrilled" (fasziniert) von der aufgeheizten Atmosphäre an einer politischen Versammlung teilnimmt, bereits beim nächsten Mal allerdings zu Boden gerissen und totenblass und blutend vom Platz getragen wird.