Süddeutsche Zeitung

Frauenrechte in Afghanistan:Ein Feigenblatt für den Krieg

Nicht nur das "Time Magazine" möchte uns glauben machen, dass es beim Einsatz am Hindukusch auch um die Rechte der Frauen geht. Das Leben der meisten Afghaninnen ist hart und so manches Schicksal tragisch. Doch die Anwesenheit der internationalen Truppen hilft ihnen nicht.

Barbara Vorsamer

Auf dem aktuellen Titel des US-Magazins Time prangt das Bild einer Frau ohne Nase. Daneben steht: Was passiert, wenn wir abziehen. Das ist ein einprägsames, emotionales und überzeugendes Argument für den Einsatz in Afghanistan. Allein: Es ist falsch. Bibi Aishas tragische Lebensgeschichte ereignete sich zwischen den Jahren 2003 und 2009 - zu einer Zeit, zu der die internationalen Truppen in Afghanistan waren. Kein Nato-Soldat hinderte die Taliban an ihrer grausamen Rechtsprechung.

Es wäre auch nicht seine Aufgabe. Seit neun Jahren ist die Isaf in Afghanistan und inzwischen scheinen viele vergessen zu haben, warum. Zur Erinnerung: Al-Qaida-Terroristen steuerten am 11. September 2001 zwei Flugzeuge in die Türme des World Trade Centers, fast 2700 Amerikaner starben bei den Anschlägen von 9/11. Die USA nahmen das als kriegerischen Akt wahr, riefen den Bündnisfall aus und die USA und ihre Alliierten begannen kurze Zeit später mit dem Bombardement Afghanistans.

Schon damals haben viele Medien suggeriert, es ginge auch und vor allem um die afghanischen Frauen. Sie bebilderten ihre Berichte mit bemitleidenswerten Wesen in bodenlangen Burkas und schrieben traurige Texte über das Schicksal der Afghaninnen. Frauen durften unter den Taliban nicht arbeiten, Mädchen nicht zur Schule gehen. Musik und Tanz waren verboten, Nägel lackieren auch. Wer die Nachrichten zu Afghanistan verfolgte, las oft, dass eine Frau, die ohne männlichen Verwandten auf der Straße unterwegs war, sofort der Prostitution angeklagt und im Stadion von Kabul zu Tode gesteinigt werde.

Vor diesem Hintergrund unterstützte eine große Mehrheit der Deutschen den Krieg in Afghanistan. Die Bundeswehr wurde an den Hindukusch geschickt und sogar Ex-Pazifisten wie der Grünen-Politiker Hans-Christian Ströbele und der damalige Außenminister Joschka Fischer waren dafür.

Von Details, wie zum Beispiel, dass unter den Attentätern des 11. September kein einziger Afghane war oder dass die Taliban keineswegs mit al-Qaida identisch sind, wollte sich niemand irritieren lassen. Der Krieg traf Afghanistan, weil die damals regierenden Taliban dem Al-Qaida-Chef Osama bin Laden Unterschlupf gewährt hatten und sich weigerten, den Terroristen auszuliefern.

Bin Laden ist bis heute nicht gefasst. Dafür kostete der Krieg Tausenden Afghanen das Leben. Allein vergangenes Jahr zählte die UN Assistance Mission in Afghanistan 2412 tote Zivilisten, für die Jahre davor sind die Zahlen ähnlich. Für ein Viertel bis ein Drittel davon sollen die internationalen Truppen verantwortlich sein.

Aber die Frauen, wird eingewendet, geht es denen nicht viel besser als vor zehn Jahren? Auf dem Papier schon. In der neuen afghanischen Verfassung ist die Gleichberechtigung von Mann und Frau verankert. Seit dem Sturz der Taliban dürfen Afghaninnen wieder berufstätig sein, ihre Töchter dürfen Schulen besuchen und studieren.

Ein Viertel der Sitze im afghanischen Parlament muss von Frauen besetzt sein, auch Ministerien, Behörden und Regionalräte müssen bestimmte Frauenquoten erfüllen. Es gibt Förderprogramme für Unternehmerinnen und Mikrokredite. Nicht zuletzt ist mit der Moderatorin Mozdah Jamalzadah und ihrer Oprah-Winfrey-artigen Talkshow eine prominente Frau im afghanischen Fernsehen sichtbar. Und 2004 haben erstmals zwei Athletinnen aus Afghanistan an den Olympischen Spielen teilgenommen.

"Seit 2001 ist die Situation für manche Frauen in Afghanistan besser geworden. Für viele ist sie allerdings unverändert schlecht", fasst Afghanistan-Expertin Citha Maaß von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin die Lage der Afghaninnen zusammen.

Es sind vor allem die Frauen in den Städten, die von den Entwicklungen profitieren, erklärt Reinhard Erös, Gründer der Entwicklungshilfe-Organisation "Kinderhilfe Afghanistan". Das sei jedoch die Minderheit. Mehr als 85 Prozent der afghanischen Bevölkerung lebt in Dörfern. Erös, der mit der Kinderhilfe hauptsächlich im ländlichen Osten des Landes tätig ist, kennt Afghanistan seit Jahrzehnten und hat, wie er selbst sagt, Tausende afghanische Frauen getroffen. "Sie haben ganz andere Sorgen als ihre rechtliche und politische Gleichstellung", sagt er. Obwohl mit den internationalen Truppen auch unzählige Entwicklungshilfe-Organisationen ins Land gekommen sind, hat sich seiner Meinung nach die humanitäre Situation in Afghanistan seit 2001 verschlechtert.

Eine Afghanin, die mit ihren durchschnittlich sieben Kindern in einem Dorf lebt, hat genug damit zu tun, sich und ihrer Familie das physische Überleben zu sichern. Die Trinkwasserversorgung ist vielerorts unzureichend, die Lebensmittelpreise steigen seit Jahren dramatisch, selbst grundlegende Gesundheitsversorgung ist so gut wie nicht vorhanden. Das größte medizinische Problem ist die hohe Kinder- und Müttersterblichkeit bei Geburten. Zum einen weil es an Ärzten und Hebammen fehlt. Zum anderen, weil die konservativen Werte es den Frauen nicht erlauben, sich medizinische Hilfe zu suchen. Afghanische Ehemänner sehen die Ehre ihre Familie beschmutzt, wenn Fremde den nackten Körper ihrer Frau sehen.

Als wäre all das noch nicht genug, leidet die afghanische Bevölkerung nun seit Jahren unter den Auswirkungen des Krieges. Reinhard Erös formuliert es so: "Amerikanische Bomben sorgen jede Woche dafür, dass afghanischen Frauen nicht nur die Nase fehlt." Den Fall Bibi Aisha hält er für einen tragischen Einzelfall, wie er sich auch in vielen anderen Dritte-Welt-Ländern der Erde ereignen könnte - zum Beispiel im benachbarten Pakistan.

Auch dort wächst der Einfluss der Taliban, auch dort sprechen sie Recht und verhängen Strafen wie Auspeitschen oder das Abhacken von Körperteilen. Auch dort gibt es den Brauch den "Badla", dem Bibi Aisha zum Opfer fiel. "Badla" bedeutet, dass eine Familie, die eine andere beleidigt oder ihr Schaden zugefügt hat, dieser als Wiedergutmachung eine ihrer Töchter als Frau ohne Brautpreis überlässt.

Doch gegen die Atommacht Pakistan führt die Nato keinen Krieg, genauso wenig wie gegen Saudi-Arabien, wo Frauen nicht einmal Auto fahren dürfen und nach Angaben von Amnesty International allein im vergangenen Jahr 69 Menschen öffentlich geköpft wurden, darunter auch Frauen. Einige davon mussten für Vergehen wie Zauberei oder Ehebruch büßen.

In Afghanistan vertrauten die Menschen den Talibangerichten, da die selbsternannten Gotteskrieger weniger korrupt seien als behördliche Richter, erläutert der Chef der "Kinderhilfe Afghanistan". Drakonische körperliche Strafen schockieren westliche Beobachter - doch Erös meint: Erstens handele es sich bei solchen Geschichten um Einzelfälle, zweitens habe die afghanische Gesellschaft nun einmal andere Traditionen und Normen als Europa oder die USA. Auch Deutschland sei nicht als zivilisiertes Land vom Himmel gefallen. "Wann wurde denn im Bayerischen Wald die letzte Frau als Hexe verbrannt?", fragt Erös provokant. Etwas nüchterner formuliert es Wissenschaftlerin Maaß: "Auch die deutsche Frauenbewegung hat 100 Jahre gedauert."

Die Gleichberechtigung in Afghanistan wird sich nicht innerhalb weniger Jahre vollziehen. Genauso wenig wie andere Völker werden sich die Afghanen ihre Werte von außen diktieren lassen. Maaß setzt auf Entwicklung von innen. "Seit 2002 treten immer mehr ganz starke afghanische Frauen ins Rampenlicht, hier hilft auch die politische Frauenquote. Sie verändern allein durch ihre Existenz etwas. Diese Frauen werden über Generationen die afghanische Gesellschaft von innen heraus verändern."

Das Coverbild des Time Magazine hält Maaß in Verbindung mit der Aussage "Was passiert, wenn wir abziehen" für eine unzulässige Instrumentalisierung. Die Expertin betont: "Internationale Soldaten sind nicht nach Afghanistan geschickt worden, um Frauenrechte zu schützen." Im Afghanistankrieg werden Frauen als Feigenblatt missbraucht. Gekämpft wird nicht wegen ihnen - und auch nicht für sie.

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