SZ: Frau Schwan, Hillary Clinton bekam viel Zuspruch für ihre Aussage , dass Frauen in der Öffentlichkeit manchmal als hysterisch wahrgenommen und nicht ernst genommen werden. Teilen Sie ihren Frust?
Gesine Schwan: Tatsächlich werden Äußerungen von Frauen anders bewertet, als wenn Männer etwas sagen - und zwar sowohl inhaltlich, als auch was Mimik, Gestik und ihr gesamtes Auftreten betrifft. Mir zum Beispiel wurde nach meiner zweiten Kandidatur fürs Bundespräsidentenamt vorgeworfen, ich sei zu professoral aufgetreten. Einen solchen Vorwurf hätte man einem Mann nie gemacht.
Warum nicht?
Wir haben noch immer recht genaue Vorstellungen davon, welche Rollen zu Frauen "passen" und welche zu Männern. Nach wie vor sollen Männer überlegen sein. Das ist eine der großen Herausforderungen für junge Männer heute: Einerseits haben sie in vielen Bereichen ihren überlegenen Status durch den gesellschaftlichen Wandel längst verloren, andererseits ist die Vorstellung vom überlegenen Mann noch immer tief verankert in vielen Köpfen.
Deswegen ist ein Professor völlig mit sich im Reinen, wenn er viel weiß und Autorität hat. Während das bei einer Professorin immer noch als ein wenig dysfunktional wahrgenommen wird. Es passt anscheinend bei vielen immer noch nicht zur Rolle der Frau, öffentlich aufzutreten oder eine Institution zu leiten.
Ändert sich das nicht langsam?
Selbstverständlich. Wenn ich die Situation heute vergleiche mit damals, als ich noch studiert habe, hat sich ganz viel getan. Die Tendenz in Richtung Gleichstellung und Partnerschaftlichkeit kommt ja auch vielen jungen Männern entgegen. Das nimmt eine gewisse Last von ihren Schultern, sie müssen eben nicht immer überlegen sein.
Auf Fotos von Gipfeltreffen ist Kanzlerin Merkel trotzdem oft noch immer der einzige Farbfleck in einem Heer aus schwarzen Anzügen. Sie könnte als erste Bundeskanzlerin Vorbild für junge Frauen sein und dazu beitragen, dass die Klischees verschwinden.
Das tut sie aber nicht und vermutlich würde das auch gar nicht zu ihr passen. Angela Merkel fördert de facto zwar auch Frauen, aber ich habe nicht den Eindruck, dass sie ein besonderes Rollenvorbild für Frauen sein will. In ihrer Politik entdecke ich allerdings durchaus weibliche Züge.
Wie sieht eine weibliche Politik denn aus?
In der Art, wie sie mit Menschen umgeht und alles vermeidet, was nach Machtherrlichkeit aussieht, finde ich Merkel eher weiblich. Aber sie geht natürlich trotzdem sehr bewusst mit ihrer Macht um und kann auch Härte zeigen. Sie spricht ihr "Basta" nur auf andere Weise, bei ihr heißt es dann "Wir schaffen das." Punkt. Keine Diskussion.
Wie würden Sie Ihr eigenes Verhältnis zur weiblichen Rolle beschreiben?
Ich bin für meine Generation sehr emanzipiert aufgewachsen. Es stand nie zur Debatte, ob ich gleichberechtigt bin, mein Vater hat sich für mich und meinen Bruder gleichermaßen interessiert. Dadurch ist bei mir ein selbstverständliches Selbstbewusstsein entstanden. Ich bin sehr gerne Frau und auch typisch weiblich sozialisiert, also eher auf Verständigung und Konfliktvermittlung aus.
Ist das nicht wiederum ein Klischee, dass Frauen die Konfliktlöserinnen sind?
Wenn man das von Frauen verlangt oder erwartet, ist das natürlich problematisch. Ich spreche aber von dem, was ich bei mir selbst feststelle. Und ich glaube, dass Mädchen auch immer noch so erzogen werden und sich oft an diese Erwartungen anpassen. Auch die Mutterrolle bringt Frauen bei, Konflikte zu lösen. Wenn man solche Kompetenzen hat, sollte man sie auch einsetzen.
Gerade hat der VW-Konzern die ehemalige Bundesverfassungsrichterin Christine Hohmann-Dennhardt in den Vorstand geholt. Sind Frauen die besseren Krisenmanagerinnen?
Dass Frauen geholt werden, um Krisen zu lösen, findet man überall, in der Wirtschaft wie in der Politik. Das hängt damit zusammen, dass Frauen die Interessen von Konfliktparteien anders zusammenführen als Männer. Frauen üben ihre Macht unter den Bedingungen einer modernen Demokratie sehr viel angemessener aus als viele Männer.
Sie meinen, es gibt unterschiedliche Vorstellungen von Macht?
Max Weber definiert Macht als Gegenmacht, also als Fähigkeit, eine Sache gegen Widerstände durchdrücken zu können. Hannah Arendt dagegen sieht Macht als das Potenzial, andere zu motivieren und zu stärken auf dem Weg zu gemeinsamen Zielen und Projekten. Die Letztere ist diejenige Vorstellung von Macht, die ich selbst anstrebe. Eine so verstandene Macht beeinträchtigt die Freiheit anderer Menschen erheblich weniger. Diese Art von Macht kann man überall alleine ausüben und an den verschiedensten Stellen. Auch ohne einen Mann, der einen ermächtigt.
Häufig ist es aber noch immer so, dass Frauen ihre Einflussmöglichkeiten von noch mächtigeren Männern übertragen werden. Sie selbst beschreiben in Ihrer Autobiografie, wie Altkanzler Schröder Sie als Kandidatin für das Bundespräsidentenamt "erwählt" habe. Ein unangenehmes Gefühl, von einem Mann abhängig zu sein?
Ich habe das nie so aufgefasst, weil ja auch die SPD von meiner Kandidatur profitiert und in den Umfragen aufgeholt hat. Ich denke, in der Öffentlichkeit kam es gut an, dass Schröder mich damals überraschend gefragt hat, ob ich kandidieren möchte. Frauen brauchen Förderer, ob diese allerdings weiblich oder männlich sind, ist egal. Aber natürlich stimmt es, dass in großen Organisationen oder in der Wirtschaft am ehesten Männer in der Position sind, Frauen Macht zu übertragen. Und vielen dieser Männer sind intelligente Frauen nach wie vor unheimlich.
Hillary Clinton hat einen mächtigen Mann an ihrer Seite - immerhin ist sie die Gattin eines Ex-Präsidenten. Ist es eine Falle, die "Frau von ..." zu sein?
Hillary Clinton hat ihren Mann während der Lewinsky-Affäre damals öffentlich tapfer verteidigt. In ihrem ganzen Auftreten wirkte sie persönlich sehr viel stärker als er. Ich denke, dass ihr das im jetzigen Wahlkampf zugutekommen wird. Sie definiert sich nicht als "Frau von ..." und kommuniziert ihre Selbständigkeit sehr erfolgreich.
Welche Bedeutung hätte es, wenn eine Frau im Weißen Haus regiert?
Ich stelle immer wieder fest, dass die Bedeutung solch einer symbolischen Aufwertung größer ist, als ich zunächst annehmen würde. Wenn sichtbar wird, dass dieses höchste Amt auch von einer Frau ausgeübt werden kann, hat das für viele Frauen offenbar eine starke ermutigende Wirkung. Diesen Eindruck habe ich zumindest gewonnen während meiner Zeit als Präsidentin der Europa-Universität Viadrina. Immer wieder kamen Frauen auf mich zu, weil sie hofften, dass ich ihnen in ihrem Rollenverständnis helfe. Frauen brauchen mächtige Frauen als Vorbilder.
Frauen brauchen aber auch eine Infrastruktur, die Familienarbeit nicht auf ihren Schultern ablädt.
Ein Teil des Problems liegt darin, dass bei der Gleichberechtigung von Frauen nach wie vor die Karriere im Mittelpunkt steht. Es geht darum, sich durchzusetzen. Frauen sollen sich gefälligst an dem bisher geltenden männlichen Modell von Führung und Erfolg orientieren. Da wird Familie, die in vielen Köpfen immer noch vor allem mit Frauen verbunden ist, zum Problem. Ich plädiere stattdessen für ein partnerschaftliches Familienmodell, das allen, auch der Verkäuferin im Supermarkt und dem Lagerarbeiter ermöglicht, gleichberechtigt als Familie zu leben.
Wir erforschen das hier an der Humboldt-Viadrina Platform seit Jahren. Die Veränderung in der Gesellschaft sollte auf Partnerschaftlichkeit zwischen Frauen und Männern abzielen und nicht nur darauf, dass Frauen innerhalb des bestehenden Systems Karriere machen können.
Wie sähen die Alternativen aus?
Die Infrastruktur für Kinderbetreuung muss erheblich ausgeweitet und verbessert werden, von der Krippe bis zur Gesamtschule. Das ist selbstverständlich Grundvoraussetzung. Schwieriger wird eine flexiblere Gestaltung der Arbeitszeit. Aber auch das ist möglich, sobald Unternehmen beide Geschlechter brauchen. Das Verhältnis von Arbeits- und Privatzeit muss sich ändern, sodass beide nur noch 80 Prozent arbeiten. Wir müssen einsehen: Familienarbeit ist mehr als nur Gedöns.
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Ihren Kampf für ein partnerschaftliches Familienmodell führen Sie mit geradezu missionarischer Leidenschaft. Würden Sie sich als Feministin bezeichnen?
Das, was mich relativ spät vom Feminismus überzeugt hat, war der Gedanke, dass die Lebenserfahrung und die Perspektive von Frauen wichtig sind für Wissenschaft, Politik, Wirtschaft sowie im öffentlichen Leben. Es täte unserer Gesellschaft ganz einfach gut, wenn Frauen sich dort noch mehr engagierten.
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