Die aufgebrachten Sprechchöre vom Oktober 2018 wird Amerika so schnell nicht vergessen. "Schande, Schande, Schande", skandieren die Frauen, die die Gänge des Senatsgebäudes in Washington D.C. fluten. Und: "Wir glauben Doktor Ford!" Manche marschieren mit Plakaten, andere in Kostümen aus der Serie "The Handmaid's Tale", ein Symbol weiblicher Unterdrückung.
Die Frauen, die vor seiner Ernennung gegen Brett Kavanaugh als Obersten Richter demonstrieren, sind wütend. Weil Frauen wie Christine Blasey Ford, die mit ihrer Geschichte eines sexuellen Übergriffs an die Öffentlichkeit ging, nicht geglaubt wird. Vor allem aber, weil sie sich in der von Männern dominierten Politik der USA auch im Jahr 2018 noch unterdrückt und nicht gleichberechtigt fühlen.
"Ich bin auf allen Ebenen alarmiert. Wir haben so viel mehr verdient als das. Wir sollten nicht so hart kämpfen müssen. Mein Herz tut weh, körperlich tut es weh", schreibt Linda Sarsour, eine der Aktivistinnen, auf Twitter.
Die Personalie Kavanaugh war dabei nur das Fünkchen, das den Flächenbrand auslöste. Mittlerweile ist der umstrittene Richter auf Lebenszeit in den Supreme Court befördert worden. Es bleibt der Zorn der Frauen, die sich ein modernes Amerika wünschen. Dieser Zorn war auch vorher schon da.
Die Frustration brodelt seit der Wahl von Donald Trump zum Präsidenten in ihnen. Der "Women's March" zu Trumps Amtseinführung, die #MeToo-Bewegung, die Kavanaugh-Kontroverse - all das zeigt, wie die Stimmung unter den Amerikanerinnen derzeit ist. Trumps fehlender Respekt gegenüber Frauen wiegt schwer. Auch dass die Regierung illegalen Einwanderern ihre Kinder weggenommen hat und sie teilweise bis heute in Auffanglagern festhält, kommt nicht gut an bei den meisten Wählerinnen. Verzweiflung ist der Motor dieser Frauen, Wut das tägliche Grundgefühl.
Wütende Männer gelten als rational, wütende Frauen als emotional
Bei den Männern an den Hebeln der Macht lösen die Proteste deutliches Unbehagen aus. Als etwa eine Demonstrantin während der Kavanaugh-Anhörung einen lauten Einwurf macht, poltert Orrin Hatch, ein 84-jähriger republikanischer Senator aus Utah: "Wir sollten diesen Schreihals entfernen lassen. So etwas sollten wir uns nicht gefallen lassen."
Hatch sprach aus, was viele Republikaner zu denken scheinen. In ihren Augen stören die Demonstrantinnen den demokratischen Prozess. Doch wenn, wie bei den Republikanern im juristischen Ausschuss, ausschließlich weiße Männer bestimmen, wo es lang geht, ist das dann eine Demokratie, die das Volk gerecht repräsentiert? Wo sind die Frauen? Die Afro-Amerikaner? Die Hispanics? Die Ureinwohner? Die asiatischen Amerikaner?
Frauen, die laut ihre Meinung sagen, sehen sich zudem einem gängigen Vorurteil ausgesetzt: Männlicher Verdruss wird als rational und intellektuell wahrgenommen, Frauen dagegen unterstellt man emotionale Motive, findet die Autorin Rebecca Traister. Während verärgerte Frauen meistens als hysterisch gebrandmarkt würden, halte man furiose Männer für Kämpfer und Revolutionäre. Die "Wut der weißen Männer" werde "vereehrt und respektiert als Ansporn für einen notwendigen politischen Wandel", schreibt sie in ihrem gerade erschienenen Buch "Good and Mad: The Revolutionary Power of Women's Anger".
Doch viele Frauen wollen sich nicht mehr zum Schweigen bringen lassen. Im Gegenteil. Ihre Wut wollen sie in Stimmen für die Demokraten - besonders für die weibliche Kandidaten - umwandeln. "November is coming" ("Der November kommt") ist ihr Schlachtruf.
Zu den Zwischenwahlen im November 2018 treten so viele Frauen wie noch nie an. Laut dem Center for American Women and Politics der Rutgers University in New Jersey kandidieren für das Abgeordnetenhaus 234 Frauen (für insgesamt 435 Sitze) und für den Senat 22 (für 35 in 2018 zur Wahl stehende Sitzen), darunter sind 197 Demokratinnen und nur 59 Republikanerinnen. Eine Rekordzahl für die Demokraten. Bei den Gouverneurswahlen und den Wahlen für die Parlamente in den Bundesstaaten sieht es ähnlich aus.