Süddeutsche Zeitung

Französische Parlamentswahl:Die Revolution fährt Rad

Lesezeit: 5 min

Frankreichs Rechte hat ihr Image radikal verändert - bei der Parlamentswahl will nun einer wie Alain Juppé mit Öko-Politik punkten.

Gerd Kröncke

"Geh aber nun und grüße die schöne Garonne und die Gärten von Bordeaux", hat Friedrich Hölderlin gedichtet. Er hat hier gelebt und hat den Fluss, die Garonne, geliebt. Er war von Straßburg gekommen, marschierte über Lyon nach Bordeaux.

Zu seiner Zeit wanderte man oder reiste mit der Postkutsche, länger als zwei Wochen war er unterwegs gewesen. Wir haben mit dem superschnellen TGV nur wenig mehr als drei Stunden gebraucht von Paris nach Bordeaux. Und warum nicht Bordeaux, Wahlkampf ist überall in diesen Tagen.

Die Stimmung ist nicht überbordend vor der ersten Runde der Parlamentswahl am Sonntag, eher ist ein resigniertes Sich-drein-Schicken auf der Linken, bei Sozialisten und Kommunisten, zu registrieren. Auf der anderen Seite eine sehr gelassene Siegesgewissheit der Rechten. Vom Erfolg des Aufsteigers Nicolas Sarkozy bei der Präsidentenwahl beflügelt, wäre alles, was unter einer Zwei-Drittel-Mehrheit im Parlament läge, eine Enttäuschung.

Wer hier Bürgermeister ist, gehört zu den Großen

Bordeaux ist vielleicht die schönste Stadt Frankreichs. La plus belle ville de France, hat sie ein anderer Dichter, Stendhal, genannt. Nirgendwo findet sich eine so geschlossene Bausubstanz aus dem 18. Jahrhundert. Nirgendwo - außer in den schicken Vierteln der Hauptstadt - ist so viel sichtbarer Wohlstand zu konstatieren.

Wer hier Bürgermeister ist, gehört zu den Großen der Nation. Bürgermeister von Bordeaux ist Alain Juppé. Neuerdings ist er auch Umweltminister im Kabinett von François Fillon. Bordeaux kann als beispielhaft gelten für die bevorstehende Wahl und für den scheinbar unaufhaltsamen Aufstieg der Rechten.

Vor zwei, drei Jahren hätte niemand ein Stück Brot von Alain Juppé genommen. Wegen seiner Verwicklung in eine Parteispendenaffäre war er zu 14 Monaten Gefängnis auf Bewährung verurteilt worden, da war er ganz am Ende. Nun ist er wieder oben, nun macht er wieder Wahlkampf. Er muss gewinnen, denn wer von den Ministern bei der Parlamentswahl durchfällt, muss zurücktreten.

So streng sind die Usancen unter dem neuen Präsidenten. Deshalb ist das Risiko, das Juppé eingeht, nicht gering, aber die "blaue Welle", die das Land erfasst hat, dürfte ihn mittragen. Blau ist die Farbe der Konservativen.

Michèle Delaunay, die sozialistische Gegenkandidatin, wäre gern sein Wellenbrecher. In dem Wahlkreis, in dem die beiden einander gegenüberstehen, hatte Ségolène Royal bei der Präsidentschaftswahl fast 55 Prozent der Stimmen geholt. Und trotzdem erscheint die Herausforderung der Michèle Delaunay als unlösbar.

Vergeblich mühen sich die Sozialisten ab

Denn nach dem Paradoxon von Bordeaux hatten die Wähler Juppé zuvor mit ebenfalls 55 Prozent zum Bürgermeister gewählt. Delaunay ist Krebsforscherin an der Universitätsklinik von Bordeaux, seit ein paar Jahren engagiert sie sich in der Kommunalpolitik. Nun möchte sie in die nationale Arena steigen. "Es ist ein Kampf von David gegen Goliath", räumt sie ein. Goliath Juppé ist kaum zu schlagen.

Was kann sie schon ausrichten gegen den nationalen Trend. Die Umfragen sind verheerend, und trotzig hat Ségolène Royal, die sich übrigens nicht um ein Parlamentsmandat bewirbt, an die Genossen appelliert, sich nicht unterkriegen zu lassen. "Steht auf! Kämpft! Gebt euch nicht geschlagen!", hat sie diese Woche auf der zentralen Veranstaltung der Sozialisten in Nantes ausgerufen.

Vergebliche Mühe. Eine starke Opposition müsse her, beschwört sie die Wähler, aber keiner erwägt auch nur, dass die Wahlen gewonnen werden könnten. Der Bürgermeister von Bordeaux ist das Beispiel dafür, wie es der französischen Rechten gelungen ist, sich ein progressives Image zuzulegen, sich gleichsam neu zu erfinden.

Dabei war Alain Juppé ein Typ von gestern. Dass Jacques Chirac ihn einmal "den Besten von uns allen" genannt hat, wäre nach der Sarkozyschen Zeitenwende kein Kompliment mehr. Juppé war einer der letzten Getreuen des Präsidenten Chirac, er stand für alte Zeiten, für das Ancien Régime.

Jetzt ist er eine Art Grüner. Zwar hat er auch so ein vierradgetriebenes Vehikel in der Garage, "das verbraucht aber nicht viel", betont sein Pressemann, weil es sich um ein japanisches Fabrikat handele. Im Übrigen gibt er sich den Anschein des Radfahrers.

Wenn Fotografen in der Nähe sind, fährt Alain Juppé nur auf zwei Rädern, und gemessen an älteren Bildern hat er es in fortgeschrittenem Alter noch zu einer gewissen Fertigkeit gebracht. Auch wenn die Fußgänger sich bisweilen getrieben fühlen, die Radfahrer haben ihr Terrain erobert.

Dafür hat auch Juppé gesorgt, der im kanadischen Exil zum Ökologen konvertiert ist. Nach seiner Verurteilung hatte er ein Jahr lang als Professor in Québec gelehrt. Fern vom Pariser Politzirkus nahm er sich die Zeit zum Nachdenken. "Ich habe begriffen, dass wir, wenn wir nicht endlich aufwachen, im Begriff sind, kollektiven Selbstmord zu begehen", sagte er nach seiner Rückkehr.

Die alte Arroganz ist vergessen

Wenn Alain Juppé gefragt wird, ob die Bürger von Bordeaux nun einen Minister oder einen Abgeordneten wählen, vergisst er seine alte Arroganz. "Was hat man nicht alles gesagt über ein wichtiges Mitglied der vorigen Regierung, dessen Namen ich hier nicht nennen will, darüber, dass der sich nie einer Wahl gestellt hat." Gemeint ist Dominique de Villepin, der das Amt des Premierministers nur Jacques Chirac zu verdanken hatte.

Nach dem französischen System nimmt ein Minister sein Parlamentsmandat gar nicht erst an, sondern lässt sofort den mitgewählten Stellvertreter nachrücken. So weiß Juppés Partner Hugues Martin, dass er mit aller Wahrscheinlichkeit in die Nationalversammlung kommt. Sollte aber Juppé je sein Amt verlieren, würde er den Platz wieder freimachen.

Vorerst muss Juppé sich auf ein ganz neues Ressort konzentrieren, der Präsident hat ihm ein Superministerium anvertraut und ihm als Einzigem den Ehrentitel eines "Staatsministers" übertragen, der ihn aus der Masse heraushebt.

Damit soll, wie vor der Wahl versprochen, der besondere Rang des Umweltschutzes unterstrichen werden. Zu den Erfolgen der Rechten gehört, dass sie unter Sarkozy in Frankreich all die Felder besetzt haben, die traditionell von den Linken oder Grünen beansprucht waren.

Dabei haben auch sie durchaus kompetente Kandidaten, und die Ärztin Michèle Delaunay in Bordeaux gehört dazu. Sie hat nichts zu verlieren, für ihren Kontrahenten Juppé hingegen geht es um alles oder nichts. Zu seinen Gunsten schlägt noch aus, dass, wie überall im Lande, die Linke aufgesplittert ist - neben der Sozialistin bewerben sich eine orthodoxe Kommunistin, ein linksradikaler Kommunist, ein Grüner und eine weitere linke Einzelkämpferin.

"Der Mangel an Geschlossenheit ist uns teuer zu stehen gekommen"

Auch daran lässt sich das Dilemma der Linken ablesen. François Hollande, seit zehn Jahren Vorsitzender der Sozialisten, räumt ein, dass es ihm nicht gelungen ist, die Linke hinreichend zusammenzuführen. "Der Mangel an Geschlossenheit ist uns teuer zu stehen gekommen", sagt er, "die Rechte hat diese Schwierigkeit nicht."

Ein Mann wie Juppé hat seine großen politischen Fehler hinter sich, die hatte er als Premierminister im Gefolge seines Mentors Jacques Chirac begangen. Als Bürgermeister von Bordeaux war er durchaus erfolgreich. Wer ein paar Jahre nicht an der Garonne gewesen ist, erlebt die Stadt neu: Sie hat sich nicht verändert, aber verjüngt.

Die Front am Fluss ist zu einer wunderbaren Kulisse alter Pracht restauriert. Die neue, von Juppé initiierte, Straßenbahn ist ein solcher Erfolg geworden, dass Paris auch eine haben wollte. In der Lebensqualität liegt Bordeaux weit vor der Hauptstadt.

Juppé, wenn er in Jeans und mit offenem Hemdkragen durch seine Stadt radelt, wirkt wie ein jung gebliebener Patriarch, mit sich selbst zufrieden. Sein Wahlkreis wird seit 60 Jahren von den Bürgerlichen gehalten, Bordeaux war immer und bleibt offenbar eine durch und durch bürgerliche Stadt. Aber die Sozialistin gibt nicht auf.

Als Stadtverordnete ist sie neben anderem für die Gärten von Bordeaux zuständig. Sie hat ein Buch über die Parks geschrieben. Alain Juppé, sollte er verlieren, bleibt immer noch Bürgermeister. Im Falle einer Niederlage, sagt er, "werde ich meine Umwelt-Überzeugungen im eigenen Garten umsetzen".

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.873373
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 8.6.2007
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.