Französische Internet-Überwachung:Das "böse Reich" der Wirtschaftsspionage

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Das Hauptquartier des französischen Auslandsgeheimdienstes DGSE in Paris. (Foto: AFP)

Während Deutschland und die USA über die mutmaßliche Überwachung von Merkels Handy debattieren, redet Frankreichs Handelsministerin Bricq Klartext. Ihr Land müsse bei der Wirtschaftsspionage "besser werden als Deutsche, Briten und Amerikaner". Tatsächlich gibt es Hinweise, dass die Franzosen schon jetzt den Vergleich mit China nicht scheuen müssen.

Von Martin Anetzberger und Hannah Beitzer

Mitten in der Gegenoffensive von NSA-Chef Keith Alexander prescht eine international eher unbekannte Ministerin mit einer ungenierten Aussage vor. "Wirtschaftsspionage ist eine Realität", sagt Frankreichs Handelsministerin Nicole Bricq - und rückt die ökonomische Bedeutung von Spionage in den Mittelpunkt.

Alexander hatte nach den Vorwürfen an seine Behörde gekontert, er sei überzeugt, dass auch europäische Geheimdienste US-Politiker ausspionierten, darunter angeblich auch der BND. Der deutsche Dienst gab in der Zeit lediglich ein unvollständiges Dementi ab.

Klarer äußert sich nun die Französin Bricq: Da nütze kein Jammern, sagt sie: "Wir müssen besser sein als die Deutschen, die Briten und die Amerikaner." Bricq stellt klar, dass sie das Ausspähen von Regierungschefs befreundeter Länder nicht entschuldigen wolle. Informationen im Wirtschaftsbereich zu sammeln, sei aber Teil von Handelskämpfen. Trotz der Vorwürfe sieht sie keinen Grund, die Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen mit den Amerikanern zu stoppen.

In einem Interview mit Le Figaro hatte der ehemalige Chef des französischen Inlandsgeheimdiensts Direction de la surveillance du territoire (DST), Bernard Squarcini, vergangene Woche gesagt: "Die Amerikaner betreiben Wirtschaftsspionage bei uns und wir betreiben Wirtschaftsspionage bei ihnen, weil es im nationalen Interesse ist, unsere Unternehmen zu schützen."

Frankreich geht sehr offenherzig und unaufgeregt mit seiner Spionagepraxis um, was auch daran liegen könnte, dass der wichtigste EU-Verbündete Deutschlands auf diesem Gebiet wesentlich aktiver ist als beispielsweise die Bundesrepublik. Das liegt bei genauerem Hinsehen zumindest nahe.

Die New York Times berichtete kürzlich, Frankreich habe vor Jahren möglicherweise ein Programm für Industriespionage in den Vereinigten Staaten betrieben, mit dem gezielt nach technischen Geheimnissen gesucht wurde. Es gilt als wahrscheinlich, dass diese Aktivitäten noch immer andauern. Die Deutschen seien demnach weniger aggressiv, urteilten aktuelle und frühere US-Geheimdienstmitarbeiter.

Es gibt weitere Hinweise darauf, dass Frankreich in puncto Wirtschaftsspionage schon seit Jahren zu den führenden Nationen zählt. Ein Wikileaks-Dokument, verfasst im November 2009 in der US-Botschaft in Berlin, zitiert die heftige Kritik des damaligen Vorstandschefs des deutschen Raumfahrtunternehmens OHB-Systems, Berry Smutny. Dem Papier zufolge sagte er, Frankreich sei das "böse Reich", was den geistigen Diebstahl von Technologie angehe, "und Deutschland weiß das". Smutny schätzt den wirtschaftlichen Schaden für Deutschland durch Frankreich höher als den, den China oder Russland verursachten.

Auch die USA stellen einem Bericht des Economist zufolge Frankreich in aller Öffentlichkeit auf eine Stufe mit Israel und Russland, nur China sei schlimmer, was Internet-Spionage betreffe.

Schon 2001 veröffentlichte die EU einen Bericht zur Wirtschaftssspionage. Auch hier kommen die Franzosen nicht gut weg. Aufgelistet sind zwei Verdachtsfälle aus dem Jahr 1993. Es geht dabei um die Lieferung von Hochgeschwindigkeitszügen nach Südkorea, bei der sich der französische Hersteller Alstom (TGV) durch Spionage einen Wettbewerbsvorteil gegenüber dem deutschen Konkurrenten Siemens (ICE) verschafft haben soll. In einem der Fälle ist der französische Auslandsgeheimdienst Direction Générale de la Sécurité Extérieure (DGSE) als Quelle der Informationen benannt.

Die DGSE geriet im Juli 2013 europaweit in die Negativschlagzeilen. Die Zeitung Le Monde enthüllte unter Berufung auf französische Geheimdienstmitarbeiter und Politiker, dass der Dienst systematisch Computer- und Telefonverbindungen innerhalb Frankreichs und von Frankreich ins Ausland überwacht. Dem Bericht zufolge sammelt der Auslandsgeheimdienst die Verbindungsdaten, also Sender und Empfänger, Aufenthaltsorte der beiden, Zeitpunkt und Dauer der Verbindung. Betroffen seien beispielsweise E-Mails, Faxe, SMS und Facebook. Nicht erfasst würden allerdings Inhalte.

Dieses Vorgehen kritisierte Le Monde als illegal und warf der DGSE außerdem vor, die Daten jahrelang abzuspeichern und zum Beispiel an die Polizei, den Inlandsgeheimdienst und den Zoll weiterzugeben.

In diesem Fall von Spionage gegen die eigenen Bürger sah sich Frankreichs Premierminister Jean-Marc Ayrault immerhin zu einem Dementi veranlasst. Der Le-Monde-Bericht sei nicht exakt. Er bestätigte zwar, dass DGSE, Zoll und Inlandsgeheimdienst Daten zu Zwecken der Sicherheit abfingen. Die Maßnahmen seien jedoch gesetzlich gedeckt und jede Datenabfrage müsse von einem nationalen Kontrollgremium genehmigt werden.

Auf die mutmaßliche Ausspähung von französischen Bürgern durch die NSA reagierte Frankreichs politische Führung jüngst hingegen entsetzt. Wiederum Le Monde hatte in der Vorwoche berichtet, dass der amerikanische Auslandsgeheimdienst millionenfach französische Telefonate ausgespäht habe, was die USA aber abstreiten.

In Deutschland reagierten führende Unionspolitiker erst empört, als bekannt wurde, dass die NSA möglicherweise das Handy von Kanzlerin Angela Merkel mehrere Jahre lang überwacht hat. An diesem Mittwoch treffen sich in Washington Delegationen deutscher und amerikanischer Beamte, um die Chancen für ein bilaterales Abkommen auszuloten, das ein Ausspähen von Politikern verbündeter Länder verbietet. Im Kontext der Aussagen Keith Alexanders vor dem Kongress erscheinen diese aber nicht allzu groß. Der NSA-Chef hatte gesagt: "Es ist unersetzlich für uns, zu wissen, was die Länder bewegt, was ihre Politik ist." Die Absichten der politischen Führungen müssten gesammelt und analysiert werden.

Unter Mitarbeit von Frederik Obermaier, mit Material von Reuters und dpa.

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