Süddeutsche Zeitung

Französische Grüne:Cohn-Bendit überwirft sich mit seiner Partei

Der frühere Revolutionär Daniel Cohn-Bendit glüht für die europäische Sache. Seine Partei, die französischen Grünen, teilt diese Begeisterung nicht. Die Folge: Cohn-Bendit hat seine Mitgliedschaft suspendiert. Ganz raus aus der Politik ist er allerdings noch nicht.

Willi Winkler

Die Philosophin Hannah Arendt nannte ihn einen "unglaublich netten Kerl" und sagte ihm, seine Eltern wären stolz auf ihn gewesen. Der französische Staatspräsident Charles de Gaulle sah das 1968 ein bisschen anders und ließ "Dany le Rouge" als politischen Störenfried ausweisen. Daniel Cohn-Bendit, der Agitator an der Pariser Universität Nanterre, stieg dadurch erst recht zum Star der internationalen Protestszene auf. Der Sohn einer jüdischen Familie, die 1933 vor den Nazis aus Deutschland floh, wandelte sich erst Ende der siebziger Jahre zum Parlamentarier, als er mit seinem Freund Joschka Fischer die Grünen und die Ökologie als Thema entdeckte. Seit 1994 ist er Abgeordneter im Europaparlament, abwechselnd kandidierte er für die französischen und die deutschen Grünen. In Brüssel ist er Co-Fraktionsvorsitzender der Partei.

Doch nach dem Kleinen Parteitag hat sich Cohn-Bendit am Sonntag von den französischen Grünen getrennt. Im französischen Fernsehen hat er erklärt, zwischen ihm und der Partei sei das Tischtuch endgültig zerschnitten. "Nein", sagt er am Telefon, "nicht ausgetreten. Ich habe meine Mitgliedschaft suspendiert." Der Grund: Die Grünen im Land tun sich schwer mit dem Europäischen Fiskalpakt. Das französische Parlament soll den Pakt im nächsten Monat ratifizieren. Viele Grüne wollen offenbar in der Nationalversammlung gegen den Vertrag stimmen, die Zustimmung Frankreichs ist damit gefährdet.

Seit Helmut Kohl gibt es wahrscheinlich keinen anderen Politiker, der so für die europäische Sache glühen kann wie der ehemalige Revolutionär Cohn-Bendit. In der Bürokraten-Hauptstadt Brüssel hat er sich damit eher verdächtig gemacht. Doch mit seinem nach wie vor glühenden Temperament konnte er die deutschen Grünen 1999 sogar davon überzeugen, dass Deutschland in den Krieg in Jugoslawien eingreifen müsse. Was Europa betrifft, steht Cohn-Bendit heute wahrscheinlich Angela Merkel näher als Jürgen Trittin und schimpft auf Europa-Skeptiker wie den ehemaligen Linken Hans Magnus Enzensberger.

Einem gewieften Politiker wie ihm ist inzwischen klar, dass er seit seiner Ankündigung, 2014 nicht mehr kandidieren zu wollen, jeden Einfluss auf die Partei verloren hat. Obwohl es ihm sonst an Selbstbewusstsein nicht mangelt, weiß er, was die lieben Parteifreunde von ihm und seinem politischen Engagement halten. "Die brauchen mich nur, um Wahlen zu gewinnen," schimpft er. Aber tut ihm der plötzliche Machtverlust nicht leid? Er habe vierzig Jahre ohne Partei und ohne die Grünen auskommen können, sagte er; es lasse sich also verschmerzen.

Ganz aus ist es noch nicht mit dem Politiker Cohn-Bendit. Er lässt zwar seine Mitgliedschaft bei den französischen Grünen ruhen, bleibt aber bei den deutschen. Trotz allem Hader ist und bleibt das seine Partei; die Suspendierung ist auch ein Druckmittel. Les Verts, die französischen Grünen, werden schon wissen, was sie an ihm haben. Aber wie lange noch? Sein Freund Fischer hat längst andere Felder entdeckt, lukrativere als die der europäischen Tagespolitik. In drei Jahren wird Cohn-Bendit siebzig. Schon immer wollte er aufhören, solange man seinen Abgang noch bedauert.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.1477242
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 24.09.2012
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.