Papst Franziskus ist jetzt schon fast zwölf Jahre im Amt und mit seinen 87 Jahren der zweitälteste Papst der Geschichte. Den Altersrekord auf dem Stuhl Petri hält bislang Leo XIII., der 1903 mit 93 Jahren starb. In dem Alter darf man sich allmählich um das eigene Vermächtnis kümmern. In diesem Sinne ist sein Lehrschreiben „Dilexit nos“ („Er hat uns geliebt“) zu verstehen, das der Vatikan an diesem Donnerstag veröffentlicht hat – mitten in der zu Ende gehenden Weltsynode.
„Dilexit nos“ versteht sich, das machte der italienische Theologe und Erzbischof von Chieti-Vasto, Bruno Forte, bei der Vorstellung des Textes im Vatikan klar, als „Schlüssel zur Interpretation des Lehramtes von Papst Franziskus“: Zentrales Thema ist die Liebe. In einer Zeit, in der Krieg und Hass regieren, Despoten und Diktatoren um die Macht ringen und Menschen auf der ganzen Welt leiden, erinnert Franziskus daran, dass Liebe der Kern der christlichen Botschaft sei.
Man sieht nur mit dem Herzen gut
Auf die Liebe Gottes zu den Menschen gebe es keine größere Antwort als die Liebe der Menschen untereinander, appelliert Franziskus. Das klingt banal, ist aber streng genommen eine hochpolitische Botschaft. Denn sie verpflichtet die Menschheit zu einem anderen Umgang sowohl mit dem „gemeinsamen Haus“, dem Planeten Erde, als auch miteinander. Und damit schließt sich der Kreis zu zwei früheren Lehrschreiben des Pontifex: In „Laudato Si“ beklagte Franziskus 2015 die Umweltzerstörung, in „Fratelli Tutti“ erinnerte er 2020 an die Gleichheit und Geschwisterlichkeit aller Menschen.
Seine jüngste Enzyklika ist mit rund 50 Seiten vergleichsweise kurz und in weiten Teilen auch etwas für eingefleischte Fans katholischer Spiritualität. Viele Zeilen widmet Franziskus dem „Heiligsten Herz Jesu“, das in der katholischen Kirche besonders verehrt wird. Dies wirke auf Leser in der Postmoderne, die damit nicht vertraut sind, „eher fremd und zumindest vermittlungsbedürftig“, sagt Bischof Georg Bätzing, der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz. Aber er würdigt das Schreiben: „Angesichts einer schnelllebigen Welt und eines zielorientierten Denkens, das uns oft daran hindert, zu sehen, wirbt Papst Franziskus dafür, bewusst wieder mit dem Herzen zu sehen.“
Zugleich ist „Dilexit nos“ wohl die erste Enzyklika der Kirchengeschichte, in der Schmalzgebäck vorkommt, genauer gesagt, das Schmalzgebäck von Oma Bergoglio. Franziskus erinnert an die dünnen Teiglinge seiner Großmutter zu Hause in Buenos Aires, die sich im heißen Frittierfett aufblähten und „mentiras“ genannt wurden, zu Deutsch „Lügen“: „Und die Großmutter erklärte uns, warum: Dieses Gebäck ist wie eine Lüge, es sieht groß aus, aber drinnen ist nichts, es ist nichts Wahres drinnen, kein Inhalt.“ Genauso verhalte es sich mit einer oberflächlichen Welt ohne Herz.
Eine Passage lässt sich als Kritik lesen
Der Text erscheint parallel zur Schlussphase der seit drei Jahren andauernden Weltsynode. Seit vier Wochen brüten in der Synodenaula in Rom bereits 360 Bischöfe und Laien über die Zukunft der Kirche. Derzeit arbeiten sie am Abschlussdokument, das am Samstag vorgestellt werden soll. „Dass Franziskus diese Enzyklika in die zu Ende gehende Weltsynode hinein veröffentlicht, macht deutlich, wie er selbst diese Synode betrachtet“, sagt der Bochumer Theologieprofessor Thomas Söding, der als nicht stimmberechtigtes Mitglied mit in der Synode sitzt. „Ihm ging und geht es darum, geschwisterliche Bande in der Weltkirche zu knüpfen.“
Dass Franziskus viele konkrete Reformanliegen – zum Beispiel die Frage nach mehr Verantwortung für Frauen in der Kirche – in Arbeitsgruppen ausgliedern ließ, hat zuvor nicht wenige in der Kirche verärgert. In seiner Enzyklika äußert sich Franziskus nicht konkret zu innerkirchlichen Reformen.
Eine Passage allerdings kann durchaus als Kritik an zu forschen Reformideen interpretiert werden: „Ich möchte hinzufügen, dass das Herz Christi uns gleichzeitig von einem anderen Dualismus befreit“, schreibt der Papst: „Dem der Gemeinschaften und Hirten, die sich nur auf äußere Aktivitäten konzentrieren, auf strukturelle Reformen, die nichts mit dem Evangelium zu tun haben, auf zwanghaftes Organisieren, auf weltliche Projekte, auf säkularisiertes Denken, auf verschiedene Vorschläge, die als Erfordernisse dargestellt werden und die man bisweilen allen aufdrängen will.“