Franz Müntefering:Überraschungen im Leben eines Berechenbaren

Nüchtern, mitunter verschmitzt und stets musikalisch: Der zweimalige SPD-Vorsitzende und Vizekanzler a.D. Franz Müntefering wird 70.

Kurt Kister

Die längste Zeit seines Lebens war Franz Müntefering nicht unbedingt ein Mann, der gut war für Überraschungen. Er war vielmehr der klassische SPD-Funktionär: Im Parteiapparat kannte er sich gut aus, er verstand es, diesem Apparat zu dienen, ihn sich aber auch dienstbar zu machen.

Muentefering, dpa

Ein roter Schal ist sein Erkennungszeichen: Der SPD-Funktionär Franz Müntefering wird 70.

(Foto: Foto: dpa)

Gleichzeitig blieb er zu Hause in jenem Milieu, das über Jahrzehnte hinweg in Westdeutschland die einst große Stammwählerschaft der Sozialdemokraten darstellte: die kleineren Leute, für deren Leben Arbeitszeitverkürzung oder staatlich unterstützte Weiterbildung wirklich etwas bedeutete. Die Sozialpolitik im weiteren Sinne war Münteferings Welt.

Müntefering hatte, bevor er nach und nach zum hauptberuflichen Politiker wurde, "etwas Ordentliches", wie er selbst sagt, gelernt. Als Sohn eines Bauern am 16. Januar 1940 im Sauerland geboren, wuchs er in einer katholischen Familie in Sundern auf. Nach der Volksschule und einer dreijährigen Lehre begann Müntefering als Industriekaufmann; immerhin 20 Jahre lang verdiente er sein Brot als Angestellter in einer Firma.

Er hat sich bis heute eine meistens unhämische, eher verschmitzte Attitüde der biographischen Überlegenheit gegenüber jenen Genossen bewahrt, die überzeugt waren, die Probleme der Erwerbsarbeit hinreichend in Uni-Seminaren kennengelernt zu haben. Müntefering war zwar kein Quoten-Proletarier, aber manchem Schlauredner galten seine bodenständigen Neigungen, etwa das Singen von Arbeiterliedern, doch als ziemlich skurril.

Allerdings ist Franz Müntefering auch ein kühl kalkulierender Machtmensch. Sein stetiger Weg vom Bundestagsmandat 1975 bis hin zu einem Sitz im Parteivorstand (erstmals 1991) beweist dies. Münteferings wirklicher Aufstieg begann als SPD-Bundesgeschäftsführer 1995. Als solcher zeichnete er für Schröders Wahlsieg 1998 verantwortlich; damals entstand auch der nicht immer realitätsnahe Münte-Mythos.

Während der rot-grünen Regierungszeit wurde Müntefering zum wichtigsten Bündnispartner eines Kanzlers, der sich der Partei entfremdete, wie das bei Kanzlern häufig so ist. Zunächst als Bundesminister, dann als Generalsekretär und bis 2005 als Fraktionsvorsitzender band Müntefering Partei und Fraktion mit manchmal fast brachialer Gewalt an die Regierung Schröder. 2004 übereignete der bedrängte Schröder seinem starken Paladin den Parteivorsitz.

Mit der großen Koalition setzte sich der allmähliche Niedergang der SPD fort. Müntefering warf im November 2005 den Parteivorsitz hin, weil ein unabsichtlicher Halb-Putsch der Parteilinken um Andrea Nahles seine Personalpolitik durchkreuzt hatte. Unter etlichen unerfolgreichen Vorsitzenden taumelte die SPD hin und her, Vizekanzler Müntefering blieb deutlich vergrätzt.

Im November 2007 zog sich Müntefering aus Regierung und Partei zurück; er wollte die letzten Monate seiner krebskranken Frau Ankepetra gemeinsam mit ihr erleben. Dies war eine handfeste Überraschung. Im Juli 2008 kehrte er nach dem Tod der Gattin wieder in die Politik zurück.

Wenig später wurde er, die zweite Überraschung, nach einem absichtlichen Halbputsch, den er und Steinmeier gegen den glücklosen SPD-Chef Beck inszeniert hatten, wiederum zum Parteichef gewählt. Die Genossen hofften in nahezu verzweifelter Lage auf den Münte-Mythos. Allerdings griff der nicht mehr. Mit Pauken und Trompeten verlor die SPD die Bundestagswahl, ihr Vorsitzender Müntefering stellte sein Amt zur Verfügung.

Im Dezember 2009 heiratete der da fast siebzigjährige Müntefering die 40 Jahre jüngere Michelle Schumann - die dritte Überraschung.

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