Franz Müntefering im SZ-Interview:"Links ist das, was Arbeit schafft"

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Franz Müntefering sieht die SPD durch die jüngsten Streitereien gestärkt: Die Partei sei nun "breit aufgestellt" und stehe für soziale Gerechtigkeit - und wirtschaftliche Dynamik. Der Vizekanzler spricht im Interview mit der Süddeutschen Zeitung über den Knatsch um das Arbeitslosengeld, sittenwidrige Löhne und den Kampf gegen Kinderarmut.

Nina Bovensiepen und Nico Fried

SZ: Herr Müntefering, wir stehen vor zwei Treffen der Koalitionsspitzen. Wie werden sich Union und SPD danach präsentieren? Einig und handlungsfähig - oder rüsten sich alle nur für die bevorstehenden drei Landtagswahlkämpfe?

Vizekanzler Müntefering: "Es wird Entscheidungen geben - diese Koalition ist handlungsfähig". (Foto: Foto: dpa)

Franz Müntefering: Das zweite nicht. Es wird Entscheidungen geben. Das wird vielleicht wieder anstrengend. Aber diese Koalition ist handlungsfähig.

SZ: Die Union will aber viele Beschlüsse des SPD-Parteitags blockieren.

Müntefering: Die SPD ist klar. Wir haben kapiert - und das wird Leitlinie bleiben -, dass neben dem Sozialen das Ökonomische und Ökologische in den Mittelpunkt gehören. Das ist auf dem Parteitag deutlich geworden, auch wenn es nicht in den Schlagzeilen stand. Die Union reagiert darauf kleinkariert. Was die machen, ist keine Auseinandersetzung mit Themen, sondern Gegacker auf dem Hühnerhaufen.

SZ: Im Koalitionsausschuss wird auch die Verlängerung des Arbeitslosengeldes für Ältere aufgerufen, die Sie nicht wollten. Wie werden Sie damit umgehen?

Müntefering: Ich sehe meine und unsere erste Aufgabe darin, dass es möglichst wenige Arbeitslose gibt und noch weniger Arbeitslose, die lange arbeitslos bleiben. Da sind wir auf gutem Weg. Die Erwerbsquote bei den 55- bis 59-Jährigen ist nach den jüngsten Zahlen auf 67,2 Prozent gestiegen, die allgemeine ist bei 69,1 Prozent. Das ist eine rasante Aufholjagd. Es gibt eine Million offene Stellen. Wann, wenn nicht jetzt, sollten wir uns in erster Linie auf die Vermittlung von Arbeitslosen in Arbeit konzentrieren? Ansonsten liegen die Vorschläge auf dem Tisch. Da muss man pragmatisch schauen, was in der Koalition zu machen ist.

SZ: Unter Ihrer Federführung?

Müntefering: Ich nehme an, dass man sich im Koalitionsausschuss auf eine Prüfung der beiden Vorschläge verständigen wird. Das Weitere wird dann Sache der Fraktionen sein.

SZ: Können Sie einen Kompromiss dann auch glaubwürdig vertreten?

Müntefering: (lächelt) Ja, aber man wird mir immer ansehen, was meine Prioritäten sind.

SZ: Von Ihnen stammt der Satz: "Der Parteivorsitzende ist der Spielführer." Als der Spielführer Kurt Beck gesagt hat, da geht's lang, sind Sie aber in die Gegenrichtung gelaufen. Warum?

Müntefering: Mir geht es darum, deutlich zu machen, was wir alles tun, um auch für Ältere die Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern: die Initiative 50plus, mit Kombilohn, Eingliederungszuschuss und der Förderung der Weiterbildung. Das ist ein vernünftiger und ausbaufähiger Ansatz. Das ist sozialdemokratische Politik in der Regierung, die ich mitverantworte und die sehr erfolgreich ist. Das ist auch gut für meine Partei.

SZ: Haben Sie den SPD-Beschluss zum Arbeitslosengeld als persönliche Niederlage empfunden?

Müntefering: Nein. Die CDU hat beschlossen, jetzt wir. Das ist Demokratie: Mehrheit entscheidet, das habe ich immer gesagt. Dazu stehe ich. Aber zu Demokratie gehört auch, dass Mehrheit ihre Meinung ändern kann. Für mich war das auch eine Diskussion um den richtigen Weg. Ich persönlich habe das nie unter einem anderen Gesichtspunkt gesehen. Aber ich bin politisch nicht blind: Ich weiß, welche Weiterungen so eine Auseinandersetzung bekommen kann. Die muss man gestalten, auch nutzen.

SZ: Wie meinen Sie das?

Müntefering: Natürlich war das kein abgekartetes Spiel. Es gab eine harte Diskussion in der Sache. Aber unterwegs hat sich die Möglichkeit ergeben, etwas Gutes daraus zu machen. Wir sind in der SPD breit aufgestellt - thematisch und mit hoher Glaubwürdigkeit bei allen beteiligten Personen. Die Sache läuft für die SPD gut.

SZ: Aber Sie und Beck stehen in einer Partei für unterschiedliche Positionen. Was ist daran gut aufgestellt?

Müntefering: Es geht darum, dass wir als Volkspartei weiter die ganze Breite des Spielfelds nutzen, jeder an seinem Platz, im Team. Das tun wir. Das Soziale ist für uns die dominierende Überschrift, das gilt. Aber es ist auch klar geworden, dass wir in der Regierung klarmachen: Die SPD steht auch für ökonomischen Erfolg mit starker ökologischer Komponente. Beides, soziale Gerechtigkeit und wirtschaftliche Dynamik, hat sehr eng miteinander zu tun, weil es das eine auf hohem Niveau ohne das andere nicht gibt.

SZ: Klingt nach einer Arbeitsteilung wie einst bei Schröder und Lafontaine.

Müntefering: Das konkrete Beispiel würde ich - speziell im zweiten Teil - nicht akzeptieren. Und der Begriff Arbeitsteilung ist von Ihnen.

SZ: Hat Ihnen der Jubel über Ihre Rede auf dem Parteitag etwas bedeutet?

Müntefering: Das freut einen schon zu sehen, dass die Freunde, die skeptisch waren, einen mögen und unterstützen. Das ist ein gutes Erlebnis.

SZ: Lag es daran, dass Sie den Streit nicht erwähnt haben, oder war es echter Zuspruch für das, was Sie gesagt haben?

Müntefering: Beides. Es sind später noch viele auf mich zugekommen und haben gesagt: Es ist gut, dass du dabei bist, dass du deine Meinung sagst, aber dann auch hilfst, dass die SPD geschlossen ist.

SZ: Zu den Streitpunkten der Koalition: Wird es noch eine Bahnreform geben?

Müntefering: Wir wollen, dass das Schienennetz letztlich beim Bund bleibt. Und die Bahn darf nicht in die Hände falscher Leute geraten, sie darf nicht der Beliebigkeit des Marktes anheimgestellt werden. Deshalb präferieren wir eine besondere Vorgehensweise mit der Volksaktie. Mal sehen, ob die Union mitzieht.

SZ: Sie sind ein Fan der Volksaktie?

Müntefering: Mir geht es weniger um das Instrument, sondern um das Ziel. Mobilität ist Voraussetzung für Wohlstand. Und die Bahn braucht Kapital, um Mobilität zu erhalten und als ein Konzern im Herzen Europas sinnvoll über die Grenzen hinaus zu investieren. Und sie muss sicher sein vor Ausbeutern. Dagegen ist doch nichts einzuwenden. Es gibt in der Union aber auch Leute, die das Ding zerschlagen wollen.

SZ: Glauben Sie, dass der Börsengang noch in dieser Legislaturperiode kommt?

Mitarbeiter des Pharma-Unternehmens Boehringer Ingelheim stehen am Dienstag auf den lichtduchfluteten Gängen der Firmenzentrale in Ingelheim, um Bundesarbeitsminister Müntefering zuzuhören. (Foto: Foto: dpa)

Müntefering: Das Glauben gehört in die hohen Häuser mit den spitzen Dächern. Ich hoffe es.

SZ: Streit gibt es auch um den Post-Mindestlohn. Union und Arbeitgeber behaupten, dass die von Post und Verdi ausgehandelte Lohnuntergrenze nicht den vereinbarten Voraussetzungen für Mindestlöhne entspricht.

Müntefering: Wir haben uns völlig korrekt bewegt. In der Koalition haben wir vereinbart, dass es Anträge der Branche zur Aufnahme in das Entsendegesetz und einen Tarifvertrag geben muss. Beides haben mir die Arbeitgeber des Postdienste e.V. und Verdi geschickt. Nach den mir vorliegenden seriösen Zahlen der Bundesnetzagentur ist der allergrößte Teil der Briefdienstleister tarifgebunden. Das war eine weitere Voraussetzung.

SZ: Neue Zahlen der Netzagentur besagen das Gegenteil.

Müntefering: Nein, nicht für die Briefdienstleister, um die es geht.

SZ: Eine Kritik der Post-Konkurrenten lautet, dass der Briefdienste-Mindestlohn auch für Zeitungszusteller oder Taxifahrer gelten soll, die nur ab und zu mit Briefen in Berührung kommen.

Müntefering: Wenn jemand tagsüber im Supermarkt kassiert und abends fünf Briefe annimmt, ist er kein vollwertiger Briefdienstleister. Und wenn einer tausend Zeitungen austrägt und einen Brief, ist er auch kein hundertprozentiger Briefdienstleister. Das behauptet auch keiner. Ich sehe das gelassen.

SZ: Der Wirtschaftsminister und das Kanzleramt sehen das anders.

Müntefering: Das Wirtschaftsministerium nimmt in einer Art auf die Tarifautonomie Einfluss, die ich nicht akzeptieren kann.

SZ: Auch die Kanzlerin hat Gespräche mit Beteiligten geführt.

Müntefering: Ich war nicht dabei. Noch mal ganz klar: Die Kanzlerin, Herr Stoiber, Kurt Beck und ich haben vereinbart, dass wir das Briefmonopol zum 1.Januar auslaufen lassen und deshalb dann den Mindestlohn für Briefdienstleister einführen. Nicht vereinbart haben wir, dass die SPD versucht, den Mindestlohn zu machen, und der Koalitionspartner versucht, das zu verhindern.

SZ: Die Koalition hat auch vereinbart, gegen Kinderarmut vorzugehen. Wie?

Müntefering: Wir sammeln Erkenntnisse zu den Preisentwicklungen. Ich meine, dass wir vor allem darauf achten müssen, dass Kinder von Familien mit niedrigen Einkommen in Kindertagesstätten und Schulen ausreichendes und gutes Essen bekommen. Das hilft konkret. Das ist besser, als flächendeckend Beträge zu erhöhen. Die Zahlen klären sich in diesen Tagen. Wir müssen schnell entscheiden - ich meine bis Mitte November.

SZ: Auf dem Parteitag haben Sie nicht nur von Mindest-, sondern mit Blick auf Vorstandsgehälter auch von Höchstlöhnen gesprochen. Hat die Politik Möglichkeiten, hier eine Grenze einzuziehen?

Müntefering: Die Cromme-Kommission für gute Unternehmensführung hat schon vorgeschlagen, dass Gehälter eine bestimmte Höhe nicht überschreiten sollten. Da kann man ansetzen und konkreter werden. Mir geht es darum, das Problem bewusst zu machen. In den unteren Etagen wissen die Mitarbeiter voneinander, was sie verdienen, von den Spitzenmanagern wissen sie das nicht. Ich bin da für mehr Transparenz und gegen Gier und Lohnwucher.

SZ: Wird man Ihnen nicht vorwerfen, eine Neid-Debatte zu schüren?

Müntefering: Das ist mir egal. Wenn ein normaler Malocher neidisch ist auf jemanden, der 10, 20 oder 40 Millionen Euro bekommt, kann ich ihm das nicht übelnehmen. Manchmal ist Neid verständlich. Und es gibt ja tatsächlich sittenwidrig hohe Löhne. Das hat nichts mit Neid zu tun. Da muss sich Politik mit auseinandersetzen.

SZ: Kann man Größenordnungen eines zu hohen Verdienstes definieren?

Müntefering: Mir wäre am liebsten, die Spitzenleute verpflichteten sich selbst, eine bestimmte Relation zu den übrigen Verdiensten nicht zu überschreiten. Das ist bisher unzureichend gelungen. Deshalb müssen wir auch über Gesetze nachdenken, die Vorstände und Aufsichtsräte binden. Das Zehnfache von anderen Gehältern kann ich mir ja noch vorstellen. Aber niemand ist hundert- oder tausendmal besser als ein anderer. Da ist irgendwann die Grenze überschritten. Das ist eine inakzeptable Form von Spätkapitalismus.

SZ: Nach dem Parteitag war viel von einem Linksruck der SPD die Rede. Sehen Sie das auch so?

Müntefering: Ach, diese ganze Gesäßgeographie, die ist mir zu simpel. Durch die konjunkturelle Entspannung gibt es vielleicht eine Neigung, jetzt wieder etwas mehr auf Verteilung zu gehen. Aber links ist mehr, ist auch Generationen- und Chancengerechtigkeit und Fortschritt suchen und Nachhaltigkeit. Das ist die Linie meiner Partei. Wir müssen den Druck im Kessel halten und die Arbeitslosigkeit strukturell weiter bekämpfen. Das hilft allen am meisten und das ist für mich links.

SZ: Für die Union ein Schimpfwort.

Müntefering: Da sollte sie aufpassen. Nicht wir sind nach links gerückt, die Union hat sozialdemokratische Politik übernommen, weil diese Politik vernünftig ist. Ich sage Ihnen: Wenn ich auf dem CDU-Parteitag eine Rede halten würde, und die alle ehrlich wären, müssten viele von ihnen am Ende jubeln.

© SZ vom 2.11.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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