Franz Müntefering:"Die AfD-Leute sind Parteienfrikassierer"

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Franz Müntefering: Die AfD ist keine Episode, das ist eine Herausforderung. (Foto: Florian Peljak)

Ex-SPD-Chef Franz Müntefering im Gespräch über die schweren Verluste seiner Partei und die schwierige Arbeitsteilung zwischen Schulz und Nahles.

Interview von Lars Langenau

Franz Müntefering, 77, war zweimal SPD-Chef: 2004 bis 2005 und noch einmal 2008/09, er war von 1998 bis 1999 Bundesverkehrsminister unter Gerhard Schröder, von 2002 bis 2005 Chef der SPD-Bundestagsfraktion und im ersten Kabinett von Angela Merkel von 2005 bis 2007 Vizekanzler und Bundesarbeitsminister.

Herr Müntefering, Sie waren mal Vorsitzender einer stolzen, alten Arbeiterpartei. Kann sich die SPD mit 20,5 Prozent noch Volkspartei nennen?

Volksparteien sind Parteien, die immer das Ganze im Blick haben und nicht Politik für irgendeine Ecke machen. Seit dem Godesberger Programm 1959 ist die SPD Volkspartei und das sind wir noch immer. Allerdings sind die Zahlen von Sonntag ein deutlicher Abstieg von dem, was wir mal hatten.

Sie sind mit Schröder für die Agenda 2010 verantwortlich, die der SPD bis heute nachhängt. Bis heute nehmen der SPD viele Menschen den Einsatz für mehr Gerechtigkeit nicht ab ...

Ich bin da ein stückweit befangen - aber klar, das ist ein Problem. Nur es sind eben auch viele gute Dinge dabei und wir haben nie den Mut gehabt, uns selbst dafür zu loben und dazu zu stehen. Also haben die guten Dinge die anderen Parteien für sich kassiert. Ich stehe dazu, dass vieles der Agenda zum Nutzen des Landes gemacht wurde, über Details kann man sicherlich sprechen. In meiner ersten großen Koalition kam ich mir in meiner Partei manchmal so vor wie der Entsandte in einer feindlichen Regierung. Sowas kann natürlich nicht zu einem Wahlsieg führen.

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Aber es gab in der vorigen Regierung unzweifelhafte Erfolge der SPD-Minister. Stichwort Mindestlohn.

Ja, eben, aber das kam nicht allein auf unser Konto. Mit populären Dingen identifiziert sich die Kanzlerin gnadenlos. Umgekehrt lief das bei Rente 67, die nicht meine Erfindung war. Als Widerspruch im Lande aufkam, war ich plötzlich der Vater und sollte die Alimente zahlen. Das macht die Sache nicht falsch, aber Teile von SPD und Gewerkschaften machten den Unsinn mit.

In Ostdeutschland wurde die SPD nur viertstärkste Partei, in Sachsen bekam die AfD gar die meisten Stimmen. Was ist denn da schiefgegangen?

Als es zur Wiedervereinigung kam, haben wir nur kurz über die Verfassung geredet und dann ging politisch und ökonomisch alles ganz schnell: Ich glaube, dass die Kohls und Brandts schon recht hatten, dass es gar nicht anders ging, als die beiden deutschen Staaten schnell zu vereinigen. Was dabei aber vielleicht zu kurz kam: Wir alle sind in einem hohen Maße davon geprägt, wie wir Kindheit und Jugend erleben. Es gab stark unterschiedliche Lebenserfahrung der Menschen in der DDR und in der Bundesrepublik. Im Osten war die Erfahrung mit DM/Euro und Demokratie in einer veränderten Welt eine andere als Jahrzehnte zuvor für uns im prosperierenden Westen. Das gilt auch für die Rolle von Staat und Zivilgesellschaft.

Nicht nur die SPD, sondern auch die CDU ist abgestraft worden. Angela Merkels typische Art, die Probleme nicht richtig anzusprechen, hat sicher zum Erfolg der AfD beigetragen. Bei der Kanzlerin hat das System. Sie will sich einfach Ärger in vielen Dingen ersparen, aber letztendlich ist Demokratie auf Aufklärung angewiesen. Und dann muss man Menschen überzeugen und nicht nur alternativlos etwas hinknallen.

"Opposition ist Mist", haben Sie mal gesagt, gilt das noch?

Genauer: "Demokratie braucht auch Opposition, aber lasst das die anderen machen. Wir wollen regieren, denn Opposition ist Mist." Das habe ich 2004 gesagt, als ich Vorsitzender wurde und in Teilen der SPD die Sehnsucht nach der Opposition grassierte.

Aber finden Sie es heute noch richtig?

Ja. Man kann darüber streiten, ob regieren doch besser wäre und Christian Lindner hat das ja auch gleich nach der Wahl getan. Nur wenn wir es jetzt noch mal in der Regierung versuchen würden, dann würden wir uns sofort anhören müssen, dass wir nicht von den Ministerämtern lassen können. Die Kritik ist verlogen.

Was für einen Umbau hat die SPD jetzt nötig?

Jedenfalls ist es mit kleinen Personalrochaden nicht getan.

Sie stellen Martin Schulz in Frage?

Nein, er ist als Parteivorsitzender gewählt und muss die SPD führen. Auf dem kommenden Parteitag muss sich die Partei personell und inhaltlich-strategisch darauf einstellen, wie sie die kommenden vier Jahre im Bundestag wirken will. Dazu muss sie sich aber gut überlegen, wie man das mit der Aufgabenverteilung zwischen Parteivorsitz und Fraktionsvorsitz machen will. Wenn das von Anfang an eine Konkurrenzfrage ist, bleibt das schwierig.

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War das jetzt ein kleiner Angriff auf Andrea Nahles?

Nein, beide können das bestimmt gut. Vielleicht andere auch. Ich meine aber, dass sie sich die Aufgaben vorher genau aufteilen sollten. Zwei Oppositionszentralen funktionieren nur bedingt. Wird Opposition in der Bundestagsfraktion organisiert oder in der Parteizentrale? Wir haben doch Erfahrung damit. Man braucht eine klare Verantwortungsstruktur.

Hätte Schulz nach seiner Wahl zum Kanzlerkandidaten nicht besser auch noch Außenminister werden sollen?

Im Nachhinein kann man das so sagen, aber die Frage ist jetzt müßig. Jedenfalls war es schwierig, außerhalb der Regierung Kritiker der Spitze zu sein und trotzdem an der Regierung beteiligt zu sein. Das war eine gewisse Schizophrenie.

War soziale Gerechtigkeit das richtige Thema?

Faktisch und taktisch ganz sicher, aber es wurde nicht der Renner in den großen Medien. Die Sensation und Irritationen gab es anderswo: Brexit, Donald Trump, die Türkei, Wahlen in den Niederlanden und Frankreich, Miseren in Landtagswahlen. Auch deshalb blieb im Bundestagswahlkampf vieles vordergründig.

Die AfD-Leute sind Parteienfrikassierer ...

... sie sind was?

Parteienfrikassierer! Also Leute, die Erfahrungen damit haben, wie man Parteien kaputt macht und sich zerstreitet. Da werden wir das Dollste erleben. Es geht ja schon mit Frauke Petry los.

Aber diese Partei spielt ja offensichtlich mit Ängsten und die Flüchtlinge waren eine gute Projektionsfolie.

Ja, das auch. Und deren Streit ist auch noch nicht die Lösung. Sie sind arrogant gegen alles, was nicht "Wir" ist. Für das alte "Abendland", für eine "Leitkultur", die sich aufs Deutschsein kapriziert, aufs Rassesein, aufs Völkischsein, auf Distanz zu allem, was nicht "Wir" ist.

Und die Wähler und Vertreter der AfD?

Rekrutieren sich aus drei Töpfen: Erstens Leute mit sozialen Problemen, um die muss man sich kümmern. Das kann Gründe haben. Da muss man helfen, das ist auch das Thema Gerechtigkeit. Aber die zweite Gruppe sind Leute, die Spektakel lieben und unverschämt-ahnungslos herumreden. Das ist politisches Chaotentum. Die dritte und gefährliche Gruppe, das sind raffinierte Brunnenvergifter, die nicht wirklich zu unserem Grundgesetz und unserer Demokratie stehen. Die müssen gestoppt werden. Aber man sollte sie nicht zum Mittelpunkt der Welt oder auch nur unseres Landes machen. Wir selbst müssen als Demokraten überzeugen, darauf kommt es letztendlich an.

Haben Sie so eine vehemente Provokation im Parlament schon einmal persönlich erlebt?

Nein. Als damals die Grünen mit Büschen ins Parlament einzogen, war das ein bisschen verrückt und nicht alle dicken Pullover rochen gut. Das hat sich ja geändert und es sind sehr ansehnliche Leute geworden (lacht). Demokratinnen und Demokraten waren sie ohnehin, eine Bereicherung. Und unter den demokratischen Parteien konnten wir uns im Kern immer aufeinander verlassen. Wir waren sicher, dass keiner von uns, wenn er gewonnen hat, sagen würde: Das Land gehört mir! So wie das Trump, Putin, Erdoğan und in Polen geschieht. Zur AfD können wir dieses Vertrauen nicht haben. Das sind Feinde unserer Demokratie. Das ist keine Episode AfD, das ist eine Herausforderung.

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