Franz Joseph I.:"Der Kaiser wollte Krieg - aber keinen Weltkrieg"

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Franz Joseph I., Kaiser von Österreich und König von Ungarn. (Foto: SZ Photo/Timeline Images)

1916 starb Franz Joseph I. von Österreich. Doch was war das für ein Mann? Historiker Manfried Rauchensteiner über einen kauzigen Kaiser, der den Ersten Weltkrieg auslöste - und sich jeden Tag um 3.30 Uhr wecken ließ.

Interview von Oliver Das Gupta

Am 21. November 1916 starb Kaiser Franz Josef I. in Wien - damals ein epochales Ereignis. Der Gatte von Sisi herrschte fast 68 Jahre über Österreich-Ungarn. Einer der besten Kenner des Habsburger Monarchen und seiner Zeit ist der Wiener Historiker Manfried Rauchensteiner. Der Professor und langjährige Direktor des Heeresgeschichtlichen Museums Wien hat mit seinem umfangreichen Buch "Der Erste Weltkrieg und das Ende der Habsburgermonarchie 1914-1918. (Böhlau Verlag) die beste Darstellung der letzten Jahre von Österreich-Ungarn vorgelegt.

SZ: Franz Joseph I. ist als Sisi-Gemahl und kauziger Kaiser in Uniform ein Begriff. Aber wie tickte dieser Mann?

Manfried Rauchensteiner: Sein Charakterbild schwankt, er hat sich im Laufe seines Lebens teilweise erheblich verändert. Als er mit 18 Jahren den Thron besteigt, ist er ambitioniert und macht laufend Fehler. Franz Joseph glaubt, mit militärischen Mitteln alles erreichen zu können, was sich bald als fundamentaler Irrtum erweist.

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Danach denkt er um, eine große Friedensperiode beginnt und Franz Joseph wird irgendwann zum Symbol - wobei ich daran zweifele, ob man ihm damit gerecht wird. Der Kaiser ist natürlich nach wie vor ein Mensch mit Empfindungen gewesen. Anfangs war der Kaiser übrigens nicht besonders beliebt bei seinen Untertanen.

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Wie gab sich Franz Joseph im privaten, familiären Umgang?

Er war äußerst introvertiert. Zeit seines Lebens hat er im Grunde niemanden so richtig an sich herangelassen, weder seine Frau Elisabeth und schon gar nicht seinen Sohn, den Erzherzog Rudolf. Gerade in seinen letzten Jahren war der Kaiser völlig isoliert, er umgab sich nur mit einem kleinen Kreis von Vertrauten.

Stimmt es, dass Franz Joseph ein Aktenfresser war?

Ja, der Kaiser bewältigte ein wahnsinniges Tagesprogramm. Im Sommer stand er um drei Uhr morgens auf - und um 3.30 Uhr im Winter. Danach arbeitete er mehr oder weniger durch bis 17 Uhr. Danach kümmerte er sich vielleicht noch um das eine oder andere Familiäre. Er ging auch gerne ins Theater, hat aber keine Neigung zur Musik und Literatur entwickelt.

Franz Joseph sah sich als deutscher Fürst, aber vor allem als österreichischer Herrscher über viele Völker. Wie stand er zu der Deutschtümelei der Burschenschaften und der Alldeutschen?

Franz Joseph hat sich als supranationaler Herrscher betrachtet - das ist eine seiner wenigen positiven Eigenschaften, die unzweifelhaft sind. Er hat vornehmlich deutsch gesprochen, aber er hat sich nicht über das Deutschtum definiert oder identifiziert. Der Kaiser sprach übrigens die meisten Sprachen seiner Monarchie.

Der Kaiser herrschte 68 Jahre. War er im hohen Alter nur noch Grußonkel oder bestimmte er nach wie vor noch die Tagespolitik?

Das tat er insofern, als das er sich weitreichende Entscheidungen immer vorbehalten hat. Die wichtigsten Funktionsträger seines Reiches suchte der Kaiser selbst aus. Als andere, wie etwa sein Thronfolger Franz Ferdinand, versucht haben, ihn zu beeinflussen, hat er unmissverständlich festgestellt: "Das ist meine Politik."

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War auch der Ausbruch des Ersten Weltkrieges eine bewusste Entscheidung des Kaisers?

Franz Joseph war zweifellos derjenige, der den Weg in den Krieg freigemacht hat. Es ist ein Ammenmärchen, dass der Kaiser von kriegslüsternen Militärs und Politikern ausgetrickst worden wäre. Ende Juli 1914 wurde dem Kaiser vom Minister des Äußeren ein umfangreicher Akt zum Konflikt mit Serbien vorgelegt. Dazu schrieb Franz Joseph in gestochener Handschrift ausführlich dazu, dass er den Minister ermächtigt, die Kriegserklärung an das Königreich Serbien abzuschicken.

In dem Akt wurde dem Kaiser von einer serbischen Attacke berichtet, die nie stattgefunden hat.

Sie meinen das angebliche Gefecht von Temes Kubin. Das war natürlich unsauber, aber der Minister hat Franz Joseph über die Fehlinformation informiert. Der Kaiser hat deswegen keine Veranlassung gesehen, den Feldzug zu stoppen.

Der Kaiser wollte also den Krieg.

Ja, Krieg gegen Serbien - aber keinen Weltkrieg. Da ging Franz Josephs Politik an der Realität vorbei.

War ihm nicht klar, dass er damit einen Dominoeffekt von gegenseitigen Beistandsvereinbarungen auslöst?

Das ist schwer zu sagen. Er war sich sicher bewusst, dass Krieg gegen Serbien mit hoher Wahrscheinlichkeit auch Krieg gegen Russland bedeutet. Da hat er sich aber auf die Waffenbruderschaft mit den Deutschen verlassen. Kaiser Wilhelm II. hat sich ja unmissverständlich geäußert und außerdem wusste er von Plänen der deutschen Heeresleitung, Frankreich binnen sechs bis acht Wochen zu besiegen. Danach wollte man gemeinsam Russland fertigmachen. Bis Weihnachten wollte man dann wieder zu Hause sein.

Klingt ziemlich naiv.

Es waren Fehleinschätzungen in mehreren Punkten. Franz Joseph täuschte sich auch, was Serbien betraf. Er glaubte, das würde ein Spaziergang bis an die griechische Grenze - das war es nicht.

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Von Oliver Das Gupta

Der Krieg gegen Serbien wurde zum Weltenbrand, den auch Franz Joseph miterlebte. Seine Armee erlitt furchtbare Niederlagen. War dem Kaiser klar, dass das Habsburger Reich vor dem Ende stand?

Jein. Als Italien 1915 den Österreichern den Krieg erklärte, hat der Kaiser gesagt: "So werden wir eben zugrunde gehen." Das hat ihn allerdings nicht daran gehindert, den Krieg weiterzuführen. Ein Verzichtfriede kam für ihn nicht in Frage. Allerdings hat er im August 1916 eingewilligt, dass die gemeinsame oberste Kriegsleitung gebildet wird, wo der deutsche Kaiser Wilhelm II. das letzte Wort hatte. Hier trat der österreichische Monarch einfach zurück, weil ihm wohl klar war, dass Österreich-Ungarn alleine nicht mehr in der Lage war, den Krieg erfolgreich fortzusetzen.

Franz Josephs Nachfolger Karl erbte den Krieg und musste nach zwei Jahren abdanken. Starb mit Franz Joseph auch die Idee der österreichisch-ungarischen Monarchie?

Mit dem Hingang Franz Josephs verschwand sicher ein zentrales Symbol der Einheit. Viele Kräfte fühlten sich nun freier in ihren Bemühungen, sich von der Gesamtmonarchie zu lösen. Wie das aussehen würde, war 1916 allerdings noch nicht absehbar. Der neue Kaiser Karl wollte so schnell wie möglich Frieden, die enge Bindung an Deutschland lösen und sein Reich reformieren.

Warum scheiterte Karl mit all diesen Vorhaben?

Er konnte diese Ziele nur unter einer Voraussetzung erreichen: Bruch mit dem Deutschen Reich. Das wollte Karl nicht. Nach den vielen Jahrhunderten der gemeinsamen Verbindung im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation konnte sich der Kaiser nicht einfach mit einem Schulterzucken verabschieden.

Was bleibt vom Kaiser Franz Joseph I. abgesehen von den Sisi-Filmen, Persiflagen und der k.-u.-k.-Folklore für Touristen?

Was den Kitsch angeht, kann es einem als Historiker manchmal schon den Magen umdrehen. Gesellschaftspolitisch ist hundert Jahre nach seinem Tod nicht wirklich mehr etwas feststellbar, das auf Franz Joseph zurückgeht. Was bleibt ist die imperiale Architektur Wiens. Und die Tatsache, dass sich Österreich heute nicht nur aus nostalgischen Gründen mit seiner Vergangenheit befasst: Lange Zeit war das Verhältnis der Republik zu den Habsburgern sehr verkrampft, weil der Ex-Kaiser und auch lange Zeit sein Sohn Otto keine Verzichtserklärung abgeben wollten. Das hat sich bei Otto dann geglättet, er war dann später oft bei Kanzlern und Bundespräsidenten zu Gast. Um die Jahrtausendwende besuchte der einstige Thronfolger Otto den damaligen Präsidenten Thomas Klestil in der Hofburg und sagte auf seine unnachahmliche Art: "Schön haben Sie's hier." Wenn die Geschichte anders verlaufen wäre, hätte Otto von Habsburg dort wohl gewohnt.

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