Süddeutsche Zeitung

Franz Josef Strauß:Monarch und Volkstribun

Er wollte Stoiber nicht als Ministerpräsident und hielt den nachmaligen Generalsekretär Söder für ein "windiges Bürscherl": Der Übervater der CSU wäre am heutigen Dienstag 90 Jahre alt geworden - er hat Bayern und seine Politik nachhaltig verändert.

Michael Stiller

Es hätte ja sein können, dass das Schicksal noch einmal gnädig gewesen wäre an jenem 3.Oktober 1988 im Thurn-und-Taxis-Forst zu Regensburg. Dass diese Mattigkeit und dieser furchtbare Druck in der Brust langsam wieder gewichen wären und Franz Josef Strauß nach drei Tagen Beobachtung in der Klinik hätte heimgehen können, von den Medizinern und seinem Leibarzt Valentin Argirov dazu ermahnt, etwas kürzer zu treten.

Dann würden heute vor seinem Landhaus in Rottach-Egern die Musikkapellen und Schützenvereine aufmarschieren und er würde mit seiner zweiten Frau Renate Strauß-Piller auf der Terrasse dem Spektakel huldvoll zusehen. Die Partei hätte den Generalsekretär Markus Söder als Redner entsandt, den Strauß gelegentlich als "windiges Bürscherl" bezeichnet hatte. Aber Parteichef Edmund Stoiber mied seit einigen Jahren zu enge Berührung mit dem Übervater der CSU.

Stoiber wäre ohnehin nicht seine Wahl gewesen, Strauß hätte 1990 im Zeichen der deutschen Einheit, die er enthusiastisch begrüßt und als Folge der geschickten Annäherungspolitik der CSU mit Milliardenkredit und Fleischhandel dargestellt hätte, noch einmal einen großen Wahlsieg errungen.

Stoiber war für Strauß fleißig und politisch nicht sehr begabt

Sein Stellvertreter wäre Gerold Tandler geworden, was als Vorentscheidung für die Nachfolge 1994 gewertet wurde. Aber Tandler versank 1993 in seinen Affären, mit denen auch Strauß zu tun hatte. Also wurde es Stoiber, den Strauß immer für fleißig und loyal, aber für politisch nicht sehr begabt, für streberhaft und für einen lausigen Redner gehalten hatte.

Strauß hätte dann im Interesse der CSU, deren Ehrenvorsitzender er geworden wäre, zu ihm gehalten, bis hin zur Kanzlerkandidatur 2002, in der die beiden viel über die missratene Strauß-Wahl 1980 geredet hätten und über die unzuverlässige CDU. Die öffentlichen Auftritte von Strauß wären selten geworden: Öffentliche Erregung, als er einem sinistren Komitee zum Schutz von Augusto Pinochet beitrat, ein paar viel beachtete Talk-Shows-Auftritte, grollende Drohungen wegen der Verfolgung seiner früheren Günstlinge.

Auf dem CSU-Parteitag am Wochenende hätte ein konzentriertes, umjubeltes Grußwort gesprochen und besonders hätten die Delegierten applaudiert, nachdem er eines seiner Lieblings-Bonmots gebracht haben würde: "Eher legt sich ein Bernhardiner einen Wurstvorrat an, als dass Sozialdemokraten mit Geld umgehen können." Dass er von Kamerateams umlagert wäre, hätte ihm gefallen.

Aber das Schicksal war im September 1988 nicht gnädig, Strauß starb mit 73Jahren an dem Zusammenbruch in Regensburg. Lebte er noch, würde in Bayern nicht viel anders laufen. Seine Erben haben sich von ihm emanzipiert. Sie berufen sich auf ihn, wenn es nützlich ist und haben den Politik-Stil in Bayern verändert. Präsent ist Strauß immer noch - kaum ein Schachzug Edmund Stoibers, der nicht hinterfragt wird, was denn Strauß in dieser Situation gesagt, getan oder gelassen hätte.

Reiches, schweres Erbe

Aber einen Bonus für die früheren Freunde gibt es nicht mehr, nicht einmal für die Kinder, von denen zwei in ernstliche Schwierigkeiten geraten sind. Niemals hätte Strauß diese ganzen Ermittlungen zugelassen, tobte der Lobbyist Karlheinz Schreiber. Das mag sein, aber niemand in der CSU hat ernstlich versucht, die Augsburger Justiz zu behindern, die auch den Strauß-Sohn Max in erster Instanz zu einer Gefängnisstrafe ohne Bewährung verurteilte.

Strauß hinterließ der CSU ein reiches, aber auch ein schweres Erbe. Das Prunkstück in der Erbmasse war eine Regionalpartei, die nicht nur ein Dauerabonnement auf die absolute Mehrheit in Bayern hatte, sondern schon seit Jahrzehnten auch ihren bundespolitischen Rang behauptete.

Dazu hatte Strauß seine glänzenden Beziehungen zur Industrie genutzt, den Agrarstaat Bayern zu einem modernen Unternehmensstandort zu machen. Das hob das Selbstbewusstsein der CSU, denn plötzlich zahlte Bayern in den Länderfinanzausgleich ein, statt daraus subventioniert zu werden. Daraus leitet Stoiber das Recht ab, von Zeit zu Zeit auf den armen Ländern des Ostens und ihren Bewohnern herumzuhacken.

Ein Glücksfall im Schock von 1988 war für die CSU die Wahl Theo Waigels zum Parteivorsitzenden. Als gänzlich anderer Politikertypus - solide, berechenbar, affärenfrei - gelang es ihm, die CSU im ruhigen Fahrwasser zu halten. Schwieriger war es schon mit dem Nachfolger als Ministerpräsident. Edmund Stoiber, der zusammen mit Gerold Tandler und anderen Strauß-Jüngern ins zweite Glied verbannt worden war, kam 1993 nach dem von ihm mit betriebenen Sturz Max Streibls ans Ziel und löste schließlich 1998 auch Waigel als Parteichef ab.

Lafontaine, ein Sträußchen

Schwierig war das Erbe, weil Strauß bis 1988 dieses Bayern-Modell nahezu allein verkörpert hatte und sich darin, zunächst noch unentdeckt, auch brisante Affären verbargen, die nach und nach ans Licht kamen. Strauß stand mit kleinen Unterbrechungen, die seinen Affären geschuldet waren, stets in der ersten bundespolitischen Reihe. Die Landespolitik, die er "weiß-blaues Puppenküchentheater" nannte, lag ihm nicht so. Stets stiftete er doppelte Identität:

Bei seinem Anhang, der ihn wie einen Monarchen verehrte, ihm Votivtafeln widmete und seine skandalbefleckte Seite nicht sehen mochte und bei seinen Gegnern, die seine guten Seiten nicht wahrhaben wollten. Den einen war er ein glänzender Redner, den anderen ein Brachial-Rhetoriker, die einen hielten ihn für unorthodox und flexibel, die anderen für verschlagen und prinzipienlos. Unverkennbar war, dass die Linke so einen unerschrockenen Volkstribunen auch gern gehabt und ihm viel nachgesehen hätte. Aber es hat nur zu Oskar Lafontaine gereicht, ein Sträußchen im Vergleich zum Original.

Einmal nur wurden diese Gegensätze aufgehoben, als sich 1966 in einer großen Koalition die SPD mit Strauß an einen Tisch setzte, ihn damit nach der Spiegel-Affäre von 1961 rehabilitierte. Bald aber wurde Strauß zum gnadenlosen, bisweilen bösartigen Kritiker Willy Brandts und seiner Ostpolitik und gelangte nie wieder in ein Bonner Regierungsamt.

Aussetzer und Spezi-System

Seine Hassausbrüche etwa in der "Sonthofener Rede" oder in der "Wienerwald-Rede", seine von Emotion statt Rationalität geleiteten Aktivitäten zur Demontage von Helmut Kohl, etwa 1976 durch den misslungenen Spaltungsbeschluss von Kreuth, gelten als Paradebeispiele für fehlgeschlagene Konfliktstrategie.

Überall haben diese Aussetzer und die Bedenkenlosigkeit, mit der Strauß ein Spezi-System unterhielt, in dem Justiz- und Finanzbehörden willig sein mussten, das Verhältnis zu Strauß nachhaltig getrübt, nur nicht bei der Mehrheit der Bayern. Deshalb gehört zum beschwerlichen Erbe auch, dass Stoiber in Bayern bisher alles, bundesweit aber nichts gewinnen konnte, obwohl die Zeit ihre Arbeit getan hat und das Bild von Strauß verschwimmt. Für immer zu sehen bleibt aber eine unverwechselbare Figur der Nachkriegspolitik.

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Quelle:
SZ vom 6. September 2005
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