Frankreichs Sozialisten:Hamon und Valls müssen in die Stichwahl

  • Erstmals seit Jahrzehnten sehen Frankreichs Sozialisten ihre Stellung als führende Kraft der Linken gefährdet.
  • Die angeschlagene Regierungspartei sucht nun einen Kandidaten für die Wahlen im Frühjahr.
  • Als Favoriten für die Stichwahl im Mai gelten bisher der Konservative François Fillon und die Rechtspopulistin Marine Le Pen vom Front National.

Von Christian Wernicke, Paris

Im Rennen um die Präsidentschaftskandidatur von Frankreichs Sozialisten zeichnete sich am Sonntagabend ein Richtungskampf ab: Der Linkssozialist Benoît Hamon sowie Ex-Premierminister Manuel Valls, ein Kopf des rechten Parteiflügels, ziehen in die Stichwahl am kommenden Sonntag ein. Nach Auszählung der Stimmen in der Hälfte aller Wahlbüros kam Hamon auf etwa 36 Prozent der Stimmen, Valls erzielte 31 Prozent. Hamon hat damit überraschend gute Chancen, die Spitzenkandidatur und Führung der Partei zu erobern. Der Drittplatzierte Arnaud Montebourg (18 Prozent), der als linker Nationalist eine protektionistische Politik des "Made in France" propagiert hatte, rief seine Genossen noch am Abend auf, am 29. Januar für Hamon zu stimmen. Während des kurzen Wahlkampfs war es Hamon gelungen, die Debatten der Sozialisten etwa mit dem Vorschlag eines Grundeinkommens von 600 Euro für alle Franzosen sowie der Forderung nach einer radikalen "Neugründung" der Partei zu beherrschen. Damit begeisterte er vor allem junge, urbane Wähler. Hamon hatte sich seit 2014, als er wegen Kritik an der marktorientierten Wirtschaftspolitik von Präsident François Hollande entlassen worden war, als linker Parteirebell ("Frondeur") profiliert. Valls, der Favorit des PS-Establishments, hatte hingegen den Kurs von Amtsinhaber Hollande verteidigt. Das Votum von Sonntag ist somit auch eine Abrechnung der PS-Basis mit ihrem eigenen Präsidenten. Laut Umfragen kann kein PS-Kandidat darauf hoffen, im Mai erneut das Präsidentenamt für die Linke erobern zu können. Am Sonntagnachmittag gingen ungefähr 1,8 Millionen linke Vorwähler an die Urnen - weit weniger als noch 2011 (2,7 Millionen). An der Vorwahl der oppositionellen Republikaner im November hatten 4,3 Millionen Franzosen teilgenommen.

Die PS-Führung hatte gehofft, ihr Bewerber für die Präsidentschaftswahl könne mittels hoher Wahlbeteiligung neue Legitimität erlangen. Denn erstmals seit vier Jahrzehnten sehen die Sozialisten ihre Stellung als führende Kraft der französischen Linken gefährdet. Zwei Konkurrenten, die sich der Vorwahl vom Sonntag verweigert hatten, liegen laut Umfragen klar vor jedem PS-Aspiranten: Am linken Rand kann der Radikalsozialist Jean-Luc Mélenchon auf bis zu 15 Prozent hoffen. Und in der linken Mitte des Spektrums reüssiert der sozialliberale Emmanuel Macron, der mit seiner Bewegung "En Marche!" vor allem junge Menschen und Wähler aus der gebildeten Mittelschicht anzieht. Der 39-jährige Ex-Wirtschaftsminister liegt mit etwa 20 Prozent auf Platz drei der Umfragen, hinter der rechtsextremen Marine Le Pen (26 Prozent) und dem rechten Republikaner François Fillon (25 Prozent).

"Diese Wahl ist offener als alle anderen zuvor"

Dennoch sieht Jean-Christophe Cambadélis, der erste Parteisekretär der Sozialisten, seine Genossen nicht geschlagen. Es sei "nicht unmöglich", dass der Kandidat seines "Parti socialiste" im ersten Durchgang der Präsidentschaftswahl Ende April es in die Stichwahl am 7. Mai schaffe. "Diese Wahl ist offener als alle anderen zuvor in der Fünften Republik", meinte der 65-jährige Funktionär unmittelbar vor der Vorwahl im Gespräch mit der SZ.

Der Aufstieg des Front National habe das traditionelle Zwei-Parteien-System zu einem "tripartisme" erweitert: "Frankreich erlebt eine regelrechte Balkanisierung seiner Politik". Der PS-Sekretär hofft, dass der PS-Aspirant nach seiner Kür in der Stichwahl "einen Boom erleben" und zumindest den Rückstand gegenüber Mélenchon und Macron aufholen wird.

So ruft Cambadélis die Linke zur Einheit auf: "Nur eine 'totale Linke' kann gegen die extreme Rechte und die 'totale Rechte' bestehen." Cambadélis zielt vor allem auf Macron, den politischen Ziehsohn Hollandes ("Macron hat ihn betrogen!"). Macron solle sich bitteschön zurückziehen. Das umgekehrte Szenario - einen Verzicht des PS-Kandidaten zum Vorteil Macrons - schließt Frankreichs oberster Sozialist kategorisch aus: "Nein, das ist nicht möglich!"

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: