Frankreichs Präsident Hollande:Monsieur Zauderer

Ein Jahr nach der Wahl von Frankreichs Präsident Francois Hollande herrscht Stillstand im Land

Wie standhaft ist Präsident Hollande? Das fragt sich nicht nur Frankreich, sondern auch Europa.

(Foto: REUTERS)

Seine Politik wirkt oft konturlos und halbherzig, die Bilanz seines ersten Regierungsjahres ist schlecht: Das Schicksal Europas liegt in den Händen eines Mannes, den selbst Parteifreunde als autoritätsarmen Zauderer bezeichnen. Nun stellt sich die Frage: Wie standhaft ist François Hollande?

Ein Kommentar von Stefan Ulrich, Paris

Partys sehen anders aus. Ein Jahr nach dem Sieg François Hollandes bei der Präsidentschaftswahl gab es am Montag in Paris stilles Wasser statt Champagner. Hollande und seinen Sozialisten war nicht zum Feiern zumute. Zu schlecht ist die Bilanz des ersten Jahres, zu groß der Verdruss der Franzosen.

Nicht nur die konservative Opposition, auch ein Teil des linken Lagers wendet sich gegen den Präsidenten. Viele Sozialisten verlangen von ihm die Konfrontation mit der deutschen Kanzlerin Angela Merkel und ein Ende des Sparkurses. Die radikale Linke ließ am Wochenende in Paris Zehntausende gegen die Sparpolitik aufmarschieren. Sie wirft Hollande vor, er verrate den Sozialismus und sei daher ein Grund der Krise.

Europa und insbesondere Deutschland stehen vor der Frage: Wie standhaft ist Monsieur Hollande? Wie lange widersteht er dem Drängen vieler Parteifreunde und Wähler? Eines ist sicher: Fällt Hollande um, kippt Frankreich wieder ins Lager der Schuldenmacher, so wird dies eine Kettenreaktion auslösen. Dann steht Deutschland samt seiner Euro-Sanierungspolitik isoliert im Zentrum Europas. Dann begehren andere Länder gegen den Sparkurs auf. Dann beginnen neue Spekulationswellen, in denen der Euro und womöglich die ganze EU ertrinken.

Das Schicksal Europas liegt in den Händen eines Mannes, den auch Parteifreunde als autoritätsarmen Zauderer bezeichnen. Dieser Mann steht nach einem Jahr im Amt unter einem Druck, der auch dem stärksten Staatsmann zu schaffen machen dürfte. Die einen, unter ihnen die Kanzlerin, erwarten von Hollande, im Eiltempo all die Strukturreformen bei den Sozialsystemen, auf dem Arbeitsmarkt, im Staatshaushalt und in der Bürokratie nachzuholen, vor denen frühere französische Regierungen jahrzehntelang zurückschreckten.

Die anderen, unter ihnen wohl die Mehrheit seiner Wähler, fordern das Gegenteil - mehr Sozialstaat, mehr Dirigismus in der Wirtschaft, mehr Beamte, Ausgaben, Schulden. Zugleich treibt eine lange und schwere Wirtschaftskrise die Arbeitslosenzahlen in die Höhe. Die Franzosen schwanken zwischen Verzweiflung und Aufruhr. Was soll ihr Präsident tun?

Die Versuchung ist da für Hollande, die Sparpolitik aufzugeben und sich zum Rächer der notleidenden Südländer gegenüber einem angeblich geizigen, selbstsüchtigen und von Inflationsängsten besessenen Deutschland aufzuschwingen. Doch die Prognose sei gewagt: Hollande ist zu klug und verantwortungsbewusst, um dieser Versuchung nachzugeben. Er wird der strammen Linken verbal Zugeständnisse machen, wird gegen "Austerität" in Europa wettern und noch lauter nach "Wachstum" rufen. Doch er wird an der langfristigen Sanierung der Staats- finanzen weiterarbeiten.

Er weiß: Noch mehr Schulden rauben Europas Staaten Souveränität und Gestaltungsmacht und lasten auf der kommenden Generation. Allerdings wird Hollande darauf pochen, dass die Euro-Sanierungspolitik der Konjunktur und der Lage an den Arbeitsmärkten angepasst wird. Ein forciertes Sparen, das in den Mittelmeerländern zu Dauerrezession und Massenverelendung führt, kann er nicht akzeptieren.

Ein vernünftiger Kompromiss mit der Bundesregierung zeichnet sich ab. Das Sanierungstempo in Frankreich und anderen Problem-Staaten wird gedrosselt. Der Kurs aber wird beibehalten. Kommt es so, dann gewinnt Europa Zeit, sich wieder zu erholen. Hollande könnte sich daranmachen, in Frankreich die Reformen durchzusetzen, die Sozialdemokraten in Deutschland oder Großbritannien schon vor Jahren wagten.

Die Franzosen müssten von einem patriarchalisch-fürsorglichen Rundumversorgungsstaat Abschied nehmen. Sie würden im Gegenzug mehr Jobs, bessere Aussichten für ihre Jugendlichen und mehr Kaufkraft bekommen. Viele Franzosen sind zu einem solchen, von der Globalisierung erzwungenen Umbau ihrer Gesellschaft bereit. Populär ist er dennoch nicht, im Gegenteil. Nicht nur die radikale Linke, sondern auch ein Teil der Sozialistischen Partei würde sich ihm glatt verweigern. Hollande müsste den offenen Bruch riskieren, die Einheit seiner Partei aufs Spiel setzen und die Linkskonservativen zurücklassen.

Diesen Schritt scheut der Präsident. Daher wirkt seine Politik so konturlos, halbherzig. Der Mann im Élysée erscheint wie ein Arzt, der seinen Patienten heilen will, ohne ihm die nötige Kur zuzumuten. Nach einem Jahr Hollande lässt sich prophezeien: Dieser Präsident wird Frankreich nicht, wie viele unken, in die Katastrophe führen. Doch er setzt dem schleichenden Niedergang seines Landes zu wenig entgegen. Deshalb dürfte es auch in vier Jahren, am Ende seiner Amtszeit, stilles Wasser statt Champagner geben.

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