Frankreichs Minister träumen vom Glück:La France 3.0

Präsident Hollande bestellt bei seinen Ministern Visionen für ein besseres Land - die Entwürfe für "La France 2025" wirken dann aber arg entrückt. Die Opposition nennt die Vorstellung "surrealistisch", die Presse spottet.

Christian Wernicke, Paris

Frankreichs Präsident Francois Hollande

Präsident Hollande hat zum Träumen eingeladen, seine Minister sind ihm gefolgt.

(Foto: REUTERS)

Der Auftrag zum Träumen stammte von ganz oben. François Hollande, Frankreichs zuletzt oft verzagter Präsident, hatte seinen Ministern aufgetragen, mutig Visionen für die Nation zu ersinnen: Ideen für "La France de 2025" sollten sie niederschreiben. Doch was die Minister am Montag in ihrer ersten Kabinettssitzung nach der Sommerpause als Papiere präsentierten, erntete prompt scharfe Kritik der Opposition und den Spott der Presse. Denn die sozialistische Regierung schwieg zumeist zu den Widrigkeiten und malte sich ein Land aus, in dem jedermann eine Arbeit, eine Wohnung und die Nation eine überaus rosige Zukunft hat.

Allen voran die Visionen von Industrieminister Arnaud Montebourg wirken arg entrückt. Der Vorkämpfer des linken Flügels der Sozialistischen Partei (PS) prophezeit in seinem Dossier bereits für das Jahr 2017 ein von französischer Ingenieurskunst erschaffenes Zwei-Liter-Auto, das den europäischen Markt erobern werde. Montebourg, der noch im Wahlkampf 2012 für eine schärfere Kontrolle der weltweiten Finanz- und Produktmärkte und eine "Entglobalisierung" geworben hatte, beschwört eine hochmoderne "Fabrik der Zukunft", die als "französisches Modell" eine Alternative zu deutschen oder chinesischen Produktionsmethoden darstellen könne. Auf diese Weise, so der Minister, werde Frankreich "seinen Platz im Konzert der großen Industrienationen wiederfinden". Handfeste Vorschläge zum Abbau der Arbeitslosigkeit von knapp elf Prozent fehlen hingegen.

Blumig las sich ebenso der Schriftsatz, den die grüne Wohnungsministerin Cécile Duflot zum Treffen in den Élysée-Palast mitbrachte. Derzeit sind etwa 130.000 Menschen in Frankreich obdachlos, laut Schätzung der sozial engagierten Foundation Abbé Pierre leben 685.000 Menschen in prekären Verhältnissen. Dennoch skizzierte Ministerin Duflot für 2025 ein Land, in dem "jeder ein Dach über dem Kopf hat und über ein Umfeld von Qualität verfügt". Die Reformen der aktuellen Regierung würden den Bau von sechs Millionen Wohnungen stimulieren, sodass künftig die Suche nach einer Bleibe "kein Faktor von Stress oder Ungewissheit, sondern ein freudvoller Lebensabschnitt sein wird".

Der Optimismus des Kabinetts wird mitgetragen von einem Glauben an die Verheißungen des Internets. Alle Minister schwärmen, wie Staat und Bürger sich in der virtuellen Welt begegnen. Ministerin Duflot will auf diese Weise strukturschwache Regionen fördern, Finanzminister Pierre Moscovici möchte die Regierung agiler machen - inklusive Steuererklärung per Klick. Innenminister Manuel Valls verspricht, seine Polizisten würden bis 2025 als reformierte "Ordnungskräfte 3.0" dem Volk näher denn je sein. Und Justizministerin Christiane Taubira glaubt, durch das Internet wird der Rechtsweg billiger. Zu ihrem aktuellen Streit um eine Justizreform mit entschärften Mindeststrafen und weniger überfüllten Gefängnissen schwiegen Valls wie Taubira am Montag.

Prompt hagelte es Kritik. Laurent Wauquiez, stellvertretender Vorsitzender der konservativen Oppositionspartei UMP, schimpfte, das Regierungsseminar unter Vorsitz von Präsident Hollande mute "surrealistisch" an. Und sein Parteifreund Éric Ciotti lästerte: "Das Frankreich der Sozialisten ist das von 1925 - nicht das von 2025." Für den konservativen Figaro haben die Regierungsentwürfe nicht mehr Wert als die Visionen von Hellsehern, und selbst die eher regierungsfreundliche Zeitung Le Monde zeigte sich verwundert über "den zweifellos etwas exzessiven Optimismus der Minister".

Premierminister Jean-Marc Ayrault sah sich am Montag genötigt, der Kritik zu begegnen. Eine Vision sei wichtig, "um den Franzosen zu zeigen, wohin wir uns bewegen", erklärte Ayrault. "Wenn wir keine ehrgeizigen Ziele haben, kommen wir nicht voran."

Nicht alle ministeriellen Papiere verbreiten ungebrochenen Optimismus. Zwar erklärt auch Finanzminister Moscovici, die Vollbeschäftigung sei "ein realistisches Ziel". Zugleich aber warnt er vor Illusionen. Die Überalterung der Gesellschaft werde die Sozialsysteme strapazieren, Frankreich müsse sich mit einer diversifizierten Wirtschaft "den internationalen Anforderungen von morgen" stellen. Mit einem Anteil von 57 Prozent am Bruttoinlandsprodukt (BIP) beeinträchtigten die öffentlichen Ausgaben die Wettbewerbsfähigkeit. Der Finanzminister mahnt, die Staatsschulden von derzeit mehr als 90 Prozent des BIP abzubauen, um die "ökonomische, budgetäre und finanzielle Souveränität" des Landes zu stärken.

Moscovici sagt seinen linken Parteifreunden, es sei falsch, nun "mit großem Aufwand öffentlicher Gelder" eine Re-Industrialisierung voranzutreiben oder gar "das deutsche Modell" einer auf den Export ausgerichteten Volkswirtschaft kopieren zu wollen. Das sei nur kurzfristig eine Lösung. Langfristig werde sich die Nachfrage aus den Schwellenländern ändern und den Nachbarn Probleme bringen.

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