Marschall Philippe Pétain:Hitlers Handlanger

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Henri Philippe Pétain begrüßt 1941 am Bahnhof von Roanne heimkehrende Soldaten, die aus der deutschen Kriegsgefangenschaft entlassen wurden. (Foto: Süddeutsche Zeitung Photo)

Nach der deutschen Invasion der Grande Nation 1940 stand Philippe Pétain dem französischen Rumpfstaat vor. Philippe Pétain umgab sich mit Antisemiten, kollaborierte mit den Nazis. Und beschwerte sich erst, als die SS ein ganzes Dorf massakrierte.

Von Dieter Wild

Der lothringische Flecken Belrain, 50 Einwohner, raffte sich 2013 zu einem längst überfälligen Schritt auf: Die Gemeinde schaffte das Straßenschild "Rue du Maréchal Pétain" ab und ersetzte es durch "Rue de la Fontaine". Es war die letzte Gemeinde Frankreichs, die damit das Gespenst Pétain aus dem Land jagen wollte - es kann schwerlich gelingen.

Denn mit dem Gedenkmarathon zum 100sten Jahrestag des Ausbruchs des Ersten Weltkriegs 1914 sind wieder die schwarzen Schatten des seit mehr als 60 Jahre toten Marschalls Philippe Pétain schwer auf die Franzosen gefallen. 1919 war er als gefeierter "Sieger von Verdun" an der Spitze der großen Triumphparade auf einem Schimmel die Champs Elysées hinunter geritten.

1940 wurde er zum Staatschef des von der deutschen Wehrmacht nicht eroberten südlichen Drittels Frankreich mit der Hauptstadt Vichy berufen, ein Rumpfstaat von Hitlers Gnaden. Wie ein Monarch leitete er seine Dekrete mit den Worten ein: "Wir, Philippe Pétain, Marschall von Frankreich, verordnen..."

Ein Greis als einsamer Häftling

1945 wegen Hochverrats und Zusammenarbeit mit dem Feind zum Tode verurteilt, vom Nachkriegsregierungschef de Gaulle seines Alters wegen zu lebenslanger Festungshaft begnadigt, lebte er noch sechs Jahre lang als einziger Häftling in der Zitadelle der Atlantikinsel Yeu. Er starb 1951, 95 Jahre alt.

Doch die große Schlacht über "das unendliche Leben des umstrittensten Marschalls der französischen Geschichte", so der Historiker Laurent Avezou in seinem neuen Werk über "Die Mythen der französischen Geschichte", war damit keineswegs zu Ende. Noch immer steht Pétain für ein offenbar unheilbares französisches Trauma.

Hat er dem am Boden liegenden Frankreich 1940 bis 1944 durch Kollaboration mit den Deutschen gar einen Dienst erwiesen, wie seine Verehrer behaupten? Oder hat er es verraten, wie sich seine Gegner nach wie vor empören?

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Im Januar 1945 endet die Ardennenschlacht - der letzte große Vorstoß von Nazi-Deutschland. In den Kämpfen büßt das Hitler-Regime den Großteil seiner Panzer ein - und hinter der Front werden Kriegsgefangene massakriert.

An das leidvolle, in der öffentlichen Diskussion gern tabuisierte Thema trauten sich im vorigen November sogar die ehrwürdigen Archives Nationales im Pariser Palais Soubise heran. Bis in diesen März quälten sie die Franzosen mit der großen Ausstellung "La Collaboration 1940-1945".

Auf dem Katalog, fast 2 Kilo schwer, die Portraits von Hitler und Pétain. Und in dem bizarren Familienkrieg an der Spitze des rechtsradikalen Front National versuchte sich der alte Jean-Marie Le Pen von seiner klein wenig liberaleren Tochter Marine unter anderem mit den Worten abzusetzen: "Ich habe den Marschall Pétain nie für einen Verräter oder für einen schlechten Franzosen gehalten."

Noch immer legen die Pétain-Anbeter auf dem Friedhof von Port-Joinville auf der Insel Yeu an dem Grabstein mit der schlichten Inschrift "Philippe Pétain, Maréchal de France" Blumen und Kränze nieder, finden die anderen solchen Heldenkult widerwärtig. Der Konflikt ist kaum lösbar, denn hier konkurrieren zwei Pétains miteinander: der Retter Frankreichs und der Verräter.

In die endlose Pétain-Debatte hatte zum 100. Jahrestag von 1914 einer der besten Pétain-Kenner eingegriffen: der Historiker Marc Ferro, ein Widerstandskämpfer gegen die Deutschen, also des Pétain-Kults unverdächtig, Verfasser einer fast 800 Seiten dicken Biografie des Marschalls. Unter dem Titel "Pétain, die Wahrheit" beantwortete er in einem neuen Buch so aufwühlende Fragen wie : Waren der Pétainismus und sein System, nach der Pétain-Hauptstadt gern verkürzt "Vichy" genannt, nur eine "Parenthese" in der Geschichte Frankreichs oder Teil einer historischen Grundströmung? Antwort: "Vichy existierte schon vor Vichy."

Ein weiterer Autor, Frédéric Salat-Baroux, unter dem Staatschef Jacques Chirac Generalsekretär des Elysée-Palastes, stellte in einer neuen Expertise mit dem Titel "De Gaulle-Pétain, das Verhängnis, die Wunde, die Lektion" die Diagnose: "Die Wunde Vichy ist unverheilt. Jeder Franzose wird sich noch auf lange Zeit die symbolische Frage stellen: Bin ich ein Kind der 40 Millionen Pétainisten oder der Résistance?"

Wehrmachtssoldat durchsucht zwei französische Kriegsgefangene 1940. (Foto: Süddeutsche Zeitung Photo)

Die "40 Millionen Pétainisten" stehen für das französische Volk, das im Mai und Juni 1940 "die größte Niederlage seiner Geschichte erlitt", so der Nobelpreisträger François Mauriac damals im Figaro. In nur sechs Wochen hatte Hitlers Wehrmacht die französischen Armeen überrannt und ihre besten Einheiten bei Dünkirchen eingekesselt. Am 14. Juni 1940 waren die Deutschen in das zur offenen Stadt erklärte Paris eingezogen, das sie 1914 unter schwersten Verlusten vergeblich zu erreichen versucht hatten.

1940 aber gelang es den Franzosen zu keinem Zeitpunkt, überhaupt wieder eine geschlossene Front herzustellen. Fächerartig fluteten die deutschen Panzerdivisionen von der unteren Seine aus durch die Weiten Nordfrankreichs bis in die Bretagne und über die Loire, vorbei an Kolonnen waffenloser französischer Soldaten, die, oft ohne deutsche Bewacher und mitunter in geschlossenen Einheiten, nach Osten in die Gefangenschaft marschierten.

Sie begegneten einem Strom französischer Zivilisten von sechs, acht, vielleicht zehn Millionen Menschen, die vor den Schrecken des Krieges und aus Angst vor den Deutschen nach Westen und Süden flohen und Straßen wie Bahnhöfe verstopften.

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Es war der "große Exodus" einer verzweifelten Bevölkerung, die nicht verstand, wie es zu diesem so unversehens über sie hereingebrochenen Debakel kommen konnte, nur 22 Jahre, nachdem Frankreich der letzten deutschen Invasion heroisch widerstanden und schließlich gesiegt hatte. Gab es denn keinen Retter, nirgends?

Ruf als "menschlicher General"

Es gab ihn - scheinbar. In der äußersten Not rief Ministerpräsident Paul Reynaud den "Sieger von Verdun" von seinem Botschafterposten in Madrid nach Paris, den Marschall Pétain. Jahrzehnte nach den Ereignissen braucht es "viel Vorstellungskraft, um das ungeheure Ansehen zu begreifen, das sich mit dem Namen und der Person Pétains verband", schreibt der Historiker René Rémond in seiner großen Geschichte Frankreichs im 20. Jahrhundert.

Pétain war, inzwischen 80 Jahre alt, "der berühmteste lebende Franzose", vor allem für die Millionen Soldaten, die unter ihm, dem letzten Oberkommandierenden des Ersten Weltkrieges, gekämpft hatten. Denn er genoss den Ruf, bei seinen Befehlen vor allem darauf zu achten, das Leben der Soldaten zu schonen, sie nicht gegen gut befestigte, von der Artillerie noch nicht zerstörte Stellungen anrennen zu lassen, nur um ein paar Meter Gelände zu gewinnen.

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Berühmt gewordene, knorrige Pétain-Sätze wie "das Feuer tötet" oder "die Artillerie erobert, die Infanterie besetzt", brachten ihm bei der Truppe große Sympathien ein, und er ließ es bei Worten nicht bewenden. Er verbesserte das Elendsleben des "poilu" in den Schützengräben, vor allem durch bessere Verpflegung und mehr Urlaub, und ließ jede Division ablösen, die ein Drittel ihrer Mannschaftsstärke verloren hatte.

Zu seinen populärsten Maßnahmen gehörte, dass beurlaubte Frontkämpfer nicht mehr tagelang auf verstopften Bahnhöfen herumliegen mussten, bevor ihr Zug kam - ein "menschlicher General".

Und der "republikanischste" unter allen. Pétain, Bauernsohn aus Nordfrankreich, von Mönchen erzogen, war Katholik, aber kein praktizierender, der gern spottete: "Eine gute Messe hat noch niemandem geschadet." Später, in der Zwischenkriegszeit, mied er, obwohl Kriegsminister, die Pariser Salons und mischte sich nicht in die Tagespolitik ein.

1931 wählte ihn die Académie Française zum Mitglied. 1934, als Marschall Lyautey, ein anderer Weltkrieg-I-Held, die Regierung des linken "Kartells" wegputschen wollte, lehnte Pétain jede Zusammenarbeit mit den Putschisten ab.

Plastische Sprüche wie "Ich liebe nur zwei Dinge: die Liebe und die Infanterie" machten ihn noch populärer. Seine strahlenden blauen Augen zogen die Frauen an, er war ein "homme à femmes", der sich noch mit über 80 Jahren "dank Übung" seiner Sexualität rühmte. Eine kürzlich erschienene Monografie des Historikers Hervé Bentégeat mit dem Titel "Pétain und seine Frauen" weiß davon zu erzählen.

Seine, neben Gemahlin Ninie, lebenslange "zweite große Liebe", die Schlossherrin "Jacqueline", genannt Mella, hielt er so sorgfältig vor Ninie verborgen, dass Mella spöttelte "Philippe, Du bist ein Hase, ich frage mich, wie Du den Krieg gewinnen konntest."

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Bald nach Kriegsbeginn 1914 erstarrte die Westfront. Von der Kanalküste bis zur Schweizer Grenze gruben sich die Deutschen ein, ebenso Franzosen, Briten und deren Verbündete auf der anderen Seite. Was folgte, war ein Novum: Der Einsatz von Giftgas, Panzern und Artillerie tötete Hunderttausende.

1916, als die Deutschen in der blutigen Schlacht um Verdun das Fort Douaumont erobert hatten, feuerte er die herangeführten Ersatztruppen mit dem legendär gewordenen Ruf an "Mut! Wir packen sie!" Und sie packten sie - die Deutschen konnten Verdun nicht nehmen.

In der "großen Meuterei" der französischen Armee 1917, als sich an die 100 französische Regimenter mit Antikriegsparolen weigerten, sich in die Schützengräben schicken zu lassen, schaffte er es, durch eine Kombination von Festigkeit und Nachsicht die Ordnung wieder herzustellen. Er ließ an die 50 verurteilte "Rädelsführer" hinrichten, begnadigte aber weit mehr.

So erklärt sich, dass in den letzten Tagen des Juni 1940, wie Historiker Rémond schreibt, "fast kein Franzose nicht von Dankbarkeit erfüllt gewesen wäre gegenüber diesem alten Mann, der ... in einer derart katastrophalen Situation wieder in die Dienste seines Landes trat und diesem seine Person als Geschenk darbrachte", so hatte es Pétain über Radio formuliert.

Gefühlter Glücksfall für viele Franzosen

Den meisten Franzosen erschien er 1940 als großer Glücksfall der Geschichte. In fast religiöser Entrückung fühlten sich viele gar an die Jungfrau von Orléans erinnert, die ihnen im Hundertjährigem Krieg angeblich der Himmel zur Rettung vor den Engländern geschickt hatte.

War diese "divine surprise" (himmlische Überraschung) nicht ein Fingerzeig darauf, dass Gott Frankreich auch diesmal nicht im Stich lassen würde? Und wäre es, so dachten viele, nicht unpatriotisch, frevelhaft gar, gewesen, einem solchen Mann nicht zu vertrauen?

Pétains Gegenspieler Charles de Gaulle bei einer Radioansprache in London während des Zweiten Weltkrieges. (Foto: dpa)

"Wollt ihr französischer sein als er?", schrieben Vichy-Propagandisten auf Plakate mit dem Pétain-Portrait. Der große François Mauriac verfiel in patriotische Mystik: "Diesen Greis haben uns die Toten von Verdun geschickt." Natürlich aber konnte der neue Erlöser im Juni 1940 nichts an der militärischen Niederlage gegen die Deutschen ändern.

So sprach denn Pétain am 17. Juni über den Rundfunk zu seinem Volk: "Beklommenen Herzens sage ich Euch heute, dass wir den Kampf beenden müssen." Er habe sich an den Gegner mit der Frage gewandt, ob dieser bereit sei, "mit mir, unter Soldaten, nach dem Kampf und in Ehre", Mittel zu suchen, die Feindseligkeiten zu beenden.

Dieses Gesuch um Waffenstillstand war, wie das deutsche im November 1918, schon die verklausulierte Kapitulation. Fast die gesamte französische Armee, insgesamt zwei Millionen Mann, ging in Kriegsgefangenschaft, alle Festungen wurden übergeben, zwei Drittel des Landes standen fortan für vier Jahre unter deutscher Besatzung, für deren Unterhalt die Franzosen aufzukommen hatten: 20 Millionen Reichsmark pro Tag.

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Zur Unterzeichnung der Waffenruhe ließ Hitler eigens den Eisenbahn-Salonwagen von 1918 aus dem Museum wieder in den Wald von Compiègne schaffen, in dem die Vertreter des besiegten deutschen Kaiserreichs 1918 die Bedingungen des von ihnen begehrten Waffenstillstands entgegen nehmen mussten.

Der Waffenstillstand von 1940 steht auch nach 70 Jahren noch im Zentrum der Pétain-Kontroverse. Hätte der Marschall den Krieg damals nicht von einem "Réduit" in der Bretagne oder von Nordafrika aus fortsetzen müssen? Oder war der Waffenstillstand unausweichlich, wie Pétain und seine Anhänger glaubten, weil Frankreich sonst von den Deutschen verheert ("polonisiert", wie sie es nannten) worden wäre?

Und war es nicht vielmehr klug, nach der Niederlage und vor dem erwarteten baldigen Einlenken Englands sich durch Kollaboration mit dem Sieger einigermaßen glimpfliche Überlebensbedingungen in einem von Deutschland beherrschten Europa zu sichern?

Kaum jemand glaubte damals, dass England durchhalten könnte, nachdem Hitler seinen Nichtangriffspakt mit Stalin geschlossen hatte, Frankreich besiegt war und die USA ein pathetisches Hilfeersuchen der französischen Regierung abgelehnt hatten. Als Schreckgespenst geisterte gar die Vorstellung durch die Pariser Ministerien, England könne sich schließlich mit Hitler auf dem Rücken Frankreichs vergleichen.

Paris nach der Befreiung 1944: Zwei halbnackte Frauen, die der Kollaboration mit den deutschen Besatzern beschuldigt wurden, werden barfuß und im Büßergewand durch die Straßen von Paris geführt. Man hatten ihnen zuvor die Köpfe kahlgeschoren und ihre Gesichter mit Hakenkreuzen bemalt. (Foto: US-ARMY)

Dass ein einfacher Brigadegeneral "à titre temporaire" mit lediglich zwei Sternen an der Uniform, Charles de Gaulle, damals weitsichtiger war als der Marschall mit seinen sieben Sternen, mochte kaum jemand glauben. De Gaulles historischer Radio-Appell, am 18. Juni vom Londoner Exil aus über BBC gesendet, dass dieser Krieg ein Weltkrieg und mit der Niederlage Frankreichs keineswegs verloren sei, schien illusionär und wurde außerdem kaum gehört.

Pétain ließ den Englandflüchtling zum Tode verurteilen - dabei waren die beiden alte Kameraden, die einander einst sehr geschätzt hatten. Der Oberst Pétain kommandierte das 33. Infanterieregiment in Arras, in das der Leutnant de Gaulle 1912 eintrat. Der als Autor militärtheoretischer Schriften bald bekannte Offizier widmete zwei seiner Bücher dem Marschall, der übernahm die Patenschaft für eines der de Gaulle-Kinder. 1925 stieg de Gaulle zum Attaché im Kabinett des Vizepräsidenten des Obersten Kriegsrates Pétain auf.

1940, de Gaulle war inzwischen Unterstaatssekretär im Kriegsministerium geworden, erfasste eine latent immer vorhanden gewesene Anglophobie weite Kreise der Franzosen, vor allem der Militärs. Denn aus deren Sicht hatten die Briten beim deutschen Vormarsch in Frankreich nicht mit dem gleichen Einsatz gekämpft wie 1914 und sich anschließend auf ihre Insel in Sicherheit gebracht.

Britische Bomben auf Frankreichs Flotte

Für die armen Franzosen kam aus London ein etwas extravaganter, weltfremder Trost: der Vorschlag einer totalen staatsrechtlichen Verschmelzung Englands mit Frankreich. Jeder Brite sollte künftig auch Franzose sein, jeder Franzose auch Brite. Pariser Ministern erschien das als ein tückischer Versuch, Frankreich, vor allem das von Niederlage und Kapitulation nicht berührte französische Kolonialreich, dem britischen Empire einzuverleiben. Empört lehnten sie ab.

Und dann begingen die Briten noch, was die Franzosen als schändlichen Bruch des Bündnisses mit ihnen empfanden: In Mers-el-Kebir, dem Hafen des algerischen Oran, schoss ein englisches Geschwader die wehrlos vor Anker liegende französische Schlachtflotte zusammen, 1380 französische Seeleute starben.

Franzosen, die sich bei der Legion des Volontaires Francais gemeldet haben, im einem Zug auf dem Weg zu ihrer Einheit. Am Waggon stehen antisemitische ('abas le juif') und antikommunistische Parolen, sie lassen Marschall Petain und Hitler hochleben. Die Legion wurde in Polen uniformiert und ausgebildet. 1944 wurde sie mit einer anderen Einheit in die Waffen-SS eingegliedert und zur SS-Division Charlemagne umgebildet. (Foto: SZ Photo)

Großbritanniens Premier Winston Churchill hatte der Zusicherung der Franzosen nicht getraut, dass sie ihre Schlachtschiffe nicht in die Hände der Deutschen fallen lassen würden. Doch nach dem Überfall den Briten an der Seite Deutschlands den Krieg zu erklären, wie die Deutschen gehofft hatten, kam für Pétain nicht in Frage.

Vom Parlament ließ er sich zum Chef eines "Etat Français" wählen, der an die Stelle der "République Française" trat, so wie die republikanische Devise "Liberté, Egalité, Fraternité" durch das bukolische "Famille, Travail, Patrie" ersetzt wurde. Die Worte bezeichneten ein umstürzendes Programm: Eine "Nationale Revolution" sollte die große französische Revolution von 1789 überwinden. Umfassende Vollmachten, von dem noch vor dem Krieg gewählten Parlament mit 569 gegen 80 Stimmen in Vichy beschlossen, machten Pétain zum allmächtigen, nur von den Deutschen abhängigen Diktator.

Eine weitgehend ständestaatliche Organisation statt des republikanischen Zentralismus rückte den Staat von Vichy in die Nähe der faschistischen Regime Italiens und Portugals - mit einigen Ähnlichkeiten, etwa einem mystisch verklärten Bodenkult ("Die Erde lügt nicht", so Pétain), aber auch mit zumindest einem gewichtigen Unter-schied: So sehr Pétain und die Seinen den Parteienwirrwarr der als links verschrienen Dritten Republik und den Parlamentarismus überhaupt verachteten, eine Einheitspartei zu gründen, lehnte der Marschall entgegen den Wünschen prominenter französischer Faschisten stets ab.

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Historiker Ferro ist sich sicher: "Ein Faschist war Pétain nicht." Pétains neueste Biografin, die Historikerin Bénédicte Verges-Chignon, nennt den Staat von Vichy deshalb "eine pluralistische Diktatur". Die neue ideologische Richtung gab weniger Pétain vor als sein Regierungschef Pierre Laval, ein radikaler Befürworter der Kollaboration mit den Deutschen.

Allerdings - die Einstellung Pétains zum Faschismus ist, wie vieles an ihm, widersprüchlich. Schon im Juli 1940 billigte er, angeblich widerstrebend, ein erstes antisemitisches Gesetz, das alle Juden vom öffentlichen Dienst ausschloss, ohne dass die deutschen Besatzer das verlangt hatten.

Hohe Vichy-Beamte, wie die erst Jahrzehnte nach Kriegsende verurteilten Maurice Papon und Paul Touvier beteiligten sich mit Eifer an der Verhaftung und Deportation von Juden und geflüchteten deutschen Nazigegnern. Die Mitglieder der paramilitärischen "Französischen Miliz", einer schwarz gekleideten Terrortruppe mit tellergroßem Barett auf dem Kopf, die schwere Exzesse gegen französische Widerständler beging, mussten schwören, gegen "die jüdische Lepra und für die französische Reinheit" zu kämpfen.

Dabei war der französische Antisemitismus keineswegs von den Nazis abgeschaut, sondern ein durchaus autochthones französisches Gewächs, Teil der großen antimodernistischen, antidemokratischen und nationalistischen "Action Française" des Schriftstellers Charles Maurras, der für den Niedergang ("décadence") Frankreichs und das Debakel von 1940 vier Schuldige ausgemacht hatte: Freimaurer, Protestanten, Ausländer und Juden. Von Maurras stammt das Wort von der "divine surprise" namens Pétain.

Ruinen des von der SS zerstörten Ortes Oradour-sur-Glane. Mehr als 640 Dorfbewohner wurden ermordet. (Foto: AFP)

In Vichy umgab sich Pétain mit Leuten aus dem Dunstkreis von Maurras, so war sein Arzt und persönlicher Berater Bernard Ménétrel ein glühender Antisemit, der es ablehnte, in seiner Praxis Juden zu behandeln. Das politische Panier der französischen Rechten hieß damals: "Lieber Hitler als Blum" - der Sozialist Léon Blum war in den Dreißigerjahren Chef der linken französischen Volksfrontregierung gewesen, und er war Jude. Blum dagegen hatte den Marschall Pétain als den "nobelsten und menschlichsten unser militärischen Chefs" gepriesen.

Dabei war Pétain weder ein spezieller Freund noch ein Feind Deutschlands, er sah das Ringen beider Völker vielmehr militärisch-fatalistisch: Mal siegten eben die Deutschen (1871), mal die Franzosen (1918), und dann wieder umgekehrt (1940). Die militärische Niederlage von 1940 hatte er durchaus mit zu verantworten.

Er war einer der Väter der Maginotlinie, jener heute noch zu besichtigenden vor Bunker starrenden und horrend teuren Festungslinie längst der französischen Ostgrenze, hinter der sich die Franzosen vor den Deutschen sicher glaubten. Sie war schließlich zu nichts nutze, da die Deutschen sie nördlich umgingen und ihre Panzer durch die Ardennen schickten, die Pétain ebenso wie seine Generalskollegen für undurchdringbar erklärt hatten.

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Pétains Hoffnung, Hitler durch Kollaboration zur Nachsicht gegenüber dem besiegten Frankreich bewegen zu können, erfüllte sich nicht. Rücksichtslos beuteten die Deutschen das besetzte Land für ihre Kriege gegen England und dann die Sowjetunion aus. Frankreich interessierte Hitler nur als Lieferant von Menschen und Material für diese Kriege.

Pétains Regierung lehnte den Judenstern ab

Da half weder am 24. Oktober 1940 ein Treffen des Marschalls mit Hitler auf dem Bahnhof des westfranzösischen Ortes Montoire - noch heute ist nicht völlig klar, wer dabei wem zuerst die Hand entgegenstreckte - , noch Pétains Glückwunschtelegramm an Hitler, nachdem die Deutschen im August 1942 einen englischen Landungsversuch bei Dieppe an der Kanalküste abgewiesen hatten, noch die Aufstellung einer "Französischen Freiwilligenlegion gegen den Bolschewismus" (in deutschen Uniformen) unter dem Faschistenführer Jacques Doriot. Insgesamt dienten rund 40 000 Franzosen in der deutschen Wehrmacht.

Andererseits aber widersetzte sich Pétains Regierung erfolgreich dem Verlangen der Deutschen, ihnen acht Luftstützpunkte in Französisch-Marokko einzuräumen und den Juden in der unbesetzten Zone den gelben Davidstern anzuheften.

NS-Diktator Adolf Hitler begrüßt mit Philippe Pétain, dem Staatschef des Vichy-Regimes in Südfrankreich, in Montoire am 24. Oktober 1940. Zwischen den beiden Hitlers Chefdolmetscher Paul Schmidt, rechts außen Reichsaußenminister Joachim von Ribbentrop. (Foto: Scherl)

Nachdem eine Einheit der SS-Panzerdivision "Das Reich" das Dorf Oradour in Südwestfrankreich niedergebrannt und 642 Einwohner, darunter 123 Kinder, ermordet hatte, erlaubte sich Pétain, was ein Mann ohne seine Autorität niemals hätte wagen können. Er bestellte den deutschen Diplomaten von Renthe-Fink ein und herrschte ihn an: "Sie brennen unsere Dörfer nieder; Sie töten unsere Kinder; Sie bedecken Ihr Land mit Schande; Sie sind eine Nation von Wilden." Hilflos antwortete der Deutsche, sein Einfluss in Berlin sei zu gering, als dass er so etwas verhindern könne.

Vor den anrückenden Alliierten entführten die Deutschen den widerborstigen Kollaborateur Pétain schließlich auf das Schloss Sigmaringen und ließen ihn Anfang 1945 in die Schweiz ausreisen. Sein Widersacher de Gaulle, inzwischen siegreich in Paris eingezogen, wünschte, dass der alte Mann in der Schweiz Asyl beantragen würde, so dass ihm ein Prozess in Frankreich erspart geblieben wäre.

Mitterrands Kranz für Pétain

Doch Pétain beharrte darauf, sich seinen Landsleuten zu stellen, wurde beim Übertritt über die schweizerisch-französische Grenze verhaftet und in Paris abgeurteilt - in einem Schauprozess, der rechtsstaatlichen Kriterien Hohn sprach. Hauptanklagepunkt war "Komplott gegen die Republik, angeblich begangen schon seit 1936. Die Hälfte der Geschworenen waren Résistance-Kämpfer gewesen, die andere Hälfte Abgeordnete, die 1940 gegen die Vollmachten für Pétain gestimmt hatten.

Der sozialistische Staatschef François Mitterrand, der unter Pétain als Ministerialbeamter gedient hatte und erst später zur Résistance gestoßen war, ließ jedes Jahr an Pétains Todestag einen Kranz an dessen Grab auf der Insel Yeu niederlegen. Aber Pétains Gebeine, wie seine Verehrer immer wieder forderten, auf den riesigen Kriegerfriedhof von Verdun überführen zu lassen, weigerte er sich. Schließlich hatte Pétain den Kampf der Résistance als "schlechten Wind" und ihre Attentate gegen die Deutschen als "banditisme" verurteilt.

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Aber die Attentate hatte auch de Gaulle abgelehnt - aus Sorge vor der immer brutaleren deutschen Repression wie auch, weil er fürchtete, die gut bewaffneten Kommunisten könnten in der Résistance das Übergewicht bekommen. Beiden, Pétain wie de Gaulle, ging die Ordnung über alles, nur hatte jeder von ihr eine andere Vorstellung.

Auch das gehört zu Vichy: Die Franzosen, die dem Marschall 1940 bis 1943 auf seinen unentwegten Reisen durch Frankreich - in Lyon, Toulouse und Bordeaux, und noch im März 1944 auch in Paris - hysterisch zugejubelt hatten, verlangten zwei Jahre später ebenso hysterisch seinen Tod. Sie suchten wohl ihre Katharsis.

Der Historiker Emmanuel Le Roy Ladurie, viele Jahre Chef der Pariser Bibliothèque Nationale, erklärt damit auch eine eigene Jugendsünde: "Um die Schande Vichy zu sühnen, warf ich mich in die Arme des Kommunismus." Seine Schande: Sein Vater war, bevor er in die Résistance ging, Minister Pétains gewesen.

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