EU-Minister Wauquiez:"Deutschland darf kein altes Land werden"

Frankreichs neuer EU-Minister Laurent Wauquiez erklärt, was Paris und Berlin voneinander lernen können. Und er preist die Krisenpolitik der Bundesregierung.

Stefan Ulrich

Die meisten Politiker in Paris bekennen sich zur deutsch-französischen Freundschaft. Doch kaum einer tut dies mit solchem Enthusiasmus wie Laurent Wauquiez. Der neue, 35 Jahre alte Europaminister - das jüngste Mitglied des Kabinetts - begeistert sich für die deutsche Sprache, Stabilitätspolitik und Bundeskanzlerin Angela Merkel. Im Interview mit der Süddeutschen Zeitung erklärt er warum und verspricht: Auch Frankreich wird sparen.

Laurent Wauquiez

Frankreichs neuer EU-Minister Laurent Wauquiez ist jung, ehrgeizig und spricht exzellent Deutsch.

(Foto: dpa)

SZ: Monsieur Wauquiez: Warum haben Sie Deutsch gelernt und nicht Chinesisch?

Wauquiez: Vielleicht bin ich altmodisch? Im Ernst - ich mag die deutsche Sprache sehr. Sie ist mir als Europaminister sehr nützlich. Deutschland zu verstehen, ist für mich besonders wichtig.

SZ: Beunruhigt es Sie, wenn China Euro-Staaten wie Griechenland und Spanien mit Krediten hilft?

Wauquiez: Es beunruhigt mich, wenn wir Europäer mehr ausgeben als einnehmen. Überschuldet zu sein ist stets eine Schwäche. Die müssen wir beseitigen. Europa steht weltweit im harten Wettbewerb mit China und anderen Ländern. Doch wenn Deutschland und Frankreich einig sind, so stärkt das Europa. So können wir auch mit den Chinesen mithalten.

SZ: Chinesische Investitionen sind aber willkommen?

Wauquiez: Wenn China bei uns investiert und einkauft, kann das positive Seiten haben. Wir Europäer dürfen aber nicht naiv sein, wenn es um unsere strategischen Interessen geht. Wir müssen auch in der Lage sein, uns zu schützen.

SZ: Was meinen Sie damit?

Wauquiez: Nehmen Sie die Hochgeschwindigkeitszüge. Der deutsche Siemens- und der französische Alstom-Konzern haben ihre Technologie an China verkauft. Das kann uns nicht freuen. Da brauchen wir in der EU eine bessere Kooperation, um stärker zu sein und unsere strategischen Interessen zu verteidigen.

"Die kanzlerin hat mutig gehandelt."

SZ: Um Europa zu verteidigen, müssen Deutschland und Frankreich kooperieren. Zeitweise gab es 2010 viel Streit zwischen beiden Ländern, etwa über die Rettung gefährdeter Euro-Staaten.

Wauquiez: Mich hat die Politik der Bundesregierung zutiefst überzeugt. Die Situation war nicht einfach für Angela Merkel. Deutschland ist ein solides Land mit einer seriösen Wirtschaftspolitik und zurückhaltenden Lohnabschlüssen. Dieses Deutschland wurde gebeten, anderen Staaten der EU mit Geldproblemen zu helfen. Die Kanzlerin hat daraufhin mutig gehandelt und große europäische Überzeugungen bewiesen, ohne die nationalen Interessen zu vergessen. Und Deutschland hat intensiv und ernsthaft darüber diskutiert. Das hat mich beeindruckt.

SZ: So klang das nicht immer aus Paris. Vergangenes Frühjahr wurde Berlin noch Zaudern und mangelnde Solidarität vorgeworfen.

Wauquiez: Die Krise hat unsere Beziehung vertieft. Sie war zu groß, um uns noch Zwietracht zu erlauben. Daher haben wir die Reihen geschlossen.

SZ: Führen Berlin und Paris demnach eine Schlechtwetterbeziehung?

Wauquiez: Die Zeit der Romantik und großen Symbole ist vorbei. Unsere Beziehung ist viel reifer geworden. Deutschland und Frankreich haben nicht immer dieselben Interessen. Aber wir sind stets in der Lage, Kompromisse zu finden. Das ist etwas ganz Besonderes, was es in dieser Form mit anderen Staaten nicht gibt. Mit Deutschland sind die Verhandlungen immer schwierig. Doch das Ergebnis ist stets ein Erfolg. Das hat die Euro-Krise erneut bewiesen.

SZ: Was sagen Sie Deutschen und Franzosen, die die D-Mark und den Franc wieder einführen möchten?

Wauquiez: 80Prozent der deutschen Exporte gehen nach Europa. Wenn die alten Währungen wieder eingeführt würden, wäre das fatal für den deutschen Export. Dann geht der deutsche Wirtschaftsmotor kaputt. Und wenn Frankreich zum Franc zurückkehrt, dann mindert das unsere Kaufkraft. Dann werden etwa unsere Ölimporte teurer. Deutschland und Frankreich brauchen, manchmal aus verschiedenen Gründen, einen harten Euro.

SZ: Ihre Regierung hat sich der strengen deutschen Sparpolitik angeschlossen. Akzeptieren das die Franzosen?

Wauquiez: Die Franzosen beobachten genau, was in der Welt passiert. Was Griechenland und Irland zugestoßen ist, hat uns alle beschäftigt. Die öffentliche Meinung in Frankreich ist reifer geworden. Die Bürger haben genug von Politikern, die unfinanzierbare Versprechen machen. Wir sind uns heute einig: Es darf kein überschuldetes Europa geben.

SZ: Was wird Europa im kommenden Jahrzehnt erleben? Eine Renaissance der Nationalstaaten oder die Vereinigten Staaten von Europa?

Wauquiez: Die Lage ist paradox. Nie war Europa so wichtig. Denken Sie an die Konkurrenz mit China oder den USA, an die Umweltprobleme oder die Finanzspekulation. Wir brauchen Europa. Dennoch zweifeln die Bürger am Sinn der EU.

SZ: Wie lässt sich das ändern?

Wauquiez: Wir brauchen mehr Europa. Doch die EU muss dabei ihren Bürgern näherkommen. Europa muss uns verteidigen. Die EU war bislang zu technokratisch und naiv wirtschaftsliberal. Sie muss eine offensivere Handelspolitik führen - wir öffnen unsere Türen nur, wenn die anderen das auch tun. Die EU-Staaten sollten ihre Grenzen gemeinsam gegen illegale Einwanderung und Drogenschmuggel verteidigen. Die EU muss ihre Bürokratie abbauen und so den mittelständischen Unternehmen helfen. Außerdem brauchen wir eine gemeinsame Industrie-, Luft- und Raumfahrtpolitik und eine gemeinsame militärische Verteidigung. Ein solches Europa kann den Nationalismen entgehen und die Bürger überzeugen.

"Europa braucht Dynamik"

SZ: Wird die EU diesen qualitativen Sprung mit allen 27 Staaten schaffen?

Wauquiez: Nicht alle Länder sind gleichzeitig zu einer Vertiefung der EU bereit. Doch Europa braucht Dynamik, und die bekommt es nur, wenn ein kleinerer Kreis von Staaten die Initiative ergreift. Das existiert ja bereits und ist eine wichtige Basis für Europa, auf deren Grundlage Deutschland und Frankreich systematisch arbeiten müssen. Die anderen dürfen dabei nicht ausgeschlossen werden. Wer mitmachen will, ist willkommen - genauso wie beim Euro.

SZ: Wie soll die EU auf das neue ungarische Mediengesetz reagieren, das die Presse gängelt?

Wauquiez: Wenn Europa den Oberlehrer mimt, kann das kontraproduktiv sein. Wir müssen einen lärmenden Konflikt vermeiden. Ungarns Europaministerin hat mir zugesagt, den Fall mit der EU-Kommission zu erörtern und das Gesetz notfalls zu korrigieren. Bei alldem muss klar sein: Europa beruht auf demokratischen Werten. Dazu gehört die Pressefreiheit. Sie ist nicht verhandelbar.

SZ: Auch Griechenland steht in der Kritik, wegen des Baus einer Mauer gegen illegale Einwanderer, die aus der Türkei kommen. Wie soll sich die EU verhalten?

Wauquiez: Europa ist attraktiv. Jeder möchte hierher, doch das ist unmöglich. Über den betroffenen Grenzabschnitt zwischen Griechenland und der Türkei laufen 70 Prozent der illegalen Immigration nach Europa. Das ist für Athen äußerst schwierig. Europa muss daher helfen. Wenn Griechenland nun einen Zaun vorschlägt ...so ist das zu diskutieren. Die Europäer müssen begreifen, dass diese Grenze unsere gemeinsame Grenze ist.

SZ: In einer aktuellen Umfrage sagen viele Franzosen und Deutsche, sie misstrauten den Muslimen in Europa. In diesen Tagen befürchten zudem die Kopten in der EU Anschläge. Wird die Religion zum Sprengsatz für Europa?

Wauquiez: Nein. Religion ist und bleibt wichtig und positiv für unsere Gesellschaft. Wir sollten dabei von einer "Leitkultur" ausgehen, die in Europa vor allem christlich geprägt ist. Die sollte jeder akzeptieren. Gleichzeitig muss uns klar sein, dass wir nicht mehr im 19. Jahrhundert leben. Wir haben eine religiöse Vielfalt. Frankreich vertraut da auf das republikanische Modell. Das heißt: Alle Menschen, egal welcher Religion, müssen sich zu bestimmten Werten bekennen. Dazu gehören die Religionsfreiheit und die Gleichheit von Mann und Frau.

SZ: Was kann Frankreich von Deutschland lernen?

Wauquiez: Viel. Den sozialen Konsens etwa, das duale Ausbildungssystem und die Förderung des Mittelstandes.

SZ: Und Deutschland von Frankreich?

Wauquiez: Demographie. Frankreich kann da ein Vorbild sein. Deutschland bekommt zu wenige Kinder. Das ist seine größte Schwäche. Deutschland darf kein altes Land werden. Es braucht junge Familien und eine starke Familienpolitik. Nur dann wird es auch die Immigration kontrollieren und die Einwanderer integrieren können.

SZ: Was werden Ihre beiden Kinder in der Schule lernen, Chinesisch oder Deutsch?

Wauquiez: Am besten beides, aber zuerst Deutsch!

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