Verstoß gegen Gleichheitsgrundsatz:Rechter Bürgermeister in Frankreich zählt muslimische Kinder

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Robert Ménard, Bürgermeister einer französischen Kleinstadt, glaubt, dass er Religionszugehörigkeit anhand des Vornamens ermitteln kann. (Foto: AFP)
  • Robert Ménard, Bürgermeister des südfranzösischen Städtchens Béziers, hat stolz im TV verkündet, alle muslimischen Kinder in seiner Stadt gezählt zu haben. Er will ihre Religion am bloßen Vornamen erkannt haben.
  • Solche "ethnischen Statistiken" widersprechen dem Gleichheitsgebot und werden in Frankreich mit Strafen von maximal 300 000 Euro Geldbuße oder fünf Jahren Haft geahndet.
  • Der Fall hat über Parteigrenzen hinweg einen Aufschrei in Frankreich verursacht. Sogar Marine Le Pen distanziert sich von dem Bürgermeister, obwohl dieser durch die Unterstützung des rechtsextremen Front National überhaupt erst das Amt in der Stadt erobert hatte.

Von Christian Wernicke, Paris

In den USA oder in Großbritannien hätte niemand hingehört. Auch in Deutschland wäre jene Prozentzahl ohne lautes Echo verhallt, die Robert Ménard, Bürgermeister des südfranzösischen Städtchens Béziers, da am Montagabend im Fernsehstudio von "France 2" ausplauderte. Nur, Frankreich ist anders. Da empört sich, bis hinauf zum Staatspräsidenten, inzwischen die halbe Republik über diesen "Skandal".

"In meiner Stadt", hatte Maire Ménard preisgegeben, "befinden sich unter den Kindern, die in Kindergärten und Grundschulen sind, 64,6 Prozent Muslime." Damit wollte der frühere Journalist, der voriges Jahr mit Unterstützung des rechtsextremen Front National das Rathaus von Béziers eroberte, zweifellos das Problem jener Zuwanderung beklagen, die seine Gesinnungsgenossen für fast alle Übel Frankreichs verantwortlich machen.

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Nur, seine Ideologie ist nicht der Grund, warum sich Ménard am Mittwoch in der Regionalhauptstadt Montpellier eineinhalb Stunden einer Vernehmung der Kriminalpolizei stellen musste. Vielmehr steht Ménard nun im Verdacht "des Besitzes illegaler Daten ethnischen Ursprungs". Der Bürgermeister suchte die Provokation. Er wusste genau, welches Risiko er einging, als er im Fernsehen prahlte, den Anteil muslimischer Kinder hätten er und seine Mitarbeiter auf Grundlage der Namen seiner Pennäler errechnet: "Die Vornamen sagen uns die Religion", sprach Ménard und fügte hinzu: "Ich weiß, dass ich kein Recht habe, dies zu tun."

Tatsächlich, seit 1978 verbietet ein französisches Gesetz "ethnische Statistiken". Die Erhebung oder Speicherung aller Daten, so steht im Paragrafen, die Frankreichs Bürger "direkt oder indirekt nach rassischer oder ethnischer Herkunft" zählen oder sie gemäß ihrer "politischen, philosophischen oder religiösen Überzeugungen" sortieren, ist strafbar - mit maximal 300 000 Euro Geldbuße oder fünf Jahren Haft. Diesen Preis verlangt die Republik jedem ab, der gegen das heilige Prinzip Égalité verstößt, das Gleichheitsgebot. Die Härte des Gesetzes dürfte der Grund dafür sein, dass Ménard nun bestreitet, Computerdateien über die Schüler angelegt zu haben. Wie er 64,6 Prozent kalkulierte, will er allenfalls dem Staatsanwalt verraten.

"Verstoß gegen den Geist der Republik"

Frankreichs politische Klasse ging unisono auf Distanz zu Ménard. Premier Manuel Valls twitterte von "einer Schande", auch Politiker der konservativen UMP geißelten den "Verstoß gegen den Geist der Republik". Fast wortgleich äußerte sich Präsident François Hollande aus dem fernen Riad. Sogar FN-Chefin Marine Le Pen suchte Distanz: Sie lehnte ethnische Statistiken als unfranzösisch ab.

Demografische Daten, die Bürger nach Herkunft, Rasse oder Religion ordnen, sind vor allem im angelsächsischen Raum weit verbreitet. In den USA bilden diese Daten Grundlage einer Politik "positiver Diskriminierung" ( affirmative action), die Minderheiten wie Schwarze und Latinos fördert. "Ohne diese Politik wäre ein gewisser Barack Obama heute nicht Präsident", belehrt ein US-Korrespondent am Mittwoch im Sender BFM-TV.

In Frankreich führt das Daten-Tabu unter anderem dazu, dass die Schätzungen für die im Land lebenden Muslime von zwei bis zehn Millionen schwanken. Das Land betreibe eine "Vogel-Strauß-Politik", bemängelt Cran, eine Organisation schwarzer Mitbürger, "es ist, als würde ein Arzt sich weigern, ein Thermometer zu gebrauchen." Das Gesetz von 1978 lässt in Ausnahmen streng wissenschaftliche Fragen nach der Herkunft zu. Aber, so beklagt Patrick Simon, Forschungsdirektor beim Nationalen Institut für demografische Studien, die Rechtslage habe solchen Studien "ein Image der Illegitimität" angehängt.

Alain Jakubowicz, Präsident der Internationalen Liga gegen Rassismus und Antisemitismus, kennt das Problem, findet das republikanische Tabu dennoch richtig: "Das ist die Folge, dass unsere Vision der Gesellschaft einem Traum folgt - und nicht der Wirklichkeit." Der Glaube an die eine, gleiche Gemeinschaft gehöre zum Selbstverständnis der Republik.

© SZ vom 07.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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