Frankreich:Wettkampf der Härte

Nach dem Anschlag von Nizza verlängert die Nationalversammlung den Ausnahmezustand um ein halbes Jahr.

Von Leo Klimm, Paris

Vor einer Woche noch wollte François Hollande sein Land in den rechtlichen Normalzustand zurückversetzen. "Man kann den Ausnahmezustand nicht ewig verlängern, das hätte überhaupt keinen Sinn", sagte er. Doch dann kam der Terror über Nizza, und Frankreichs Präsident änderte seine Meinung. Das juristische Sonderregime müsse wegen des Anschlags verlängert werden. Hollande hofft, mögliche Nachahmungstäter so zu stoppen.

In der Nacht zu Mittwoch verlängerte die französische Nationalversammlung also mit sehr breiter Mehrheit den seit den November-Attentaten von Paris währenden Ausnahmezustand. Zum vierten Mal schon - und auf Druck der konservativen Opposition diesmal gleich um sechs anstatt um drei Monate. Das Spannungsfeld, in dem sich Frankreich damit bis mindestens Januar 2017 befindet, beschreibt Hollande am Mittwoch selbst: Er wolle die - durch das Nizza-Attentat infrage gestellte - Effizienz der Ausnahmeregeln steigern, ohne mit dem Rechtsstaat zu brechen. "Nie werde ich den Rechtsstaat als ein Hindernis betrachten, denn das wäre das Ende des Staates." In der Praxis allerdings richtet sich das Land im Ausnahmezustand ein, der den Sicherheitsbehörden weitreichende Rechte einräumt. Erste Politiker denken auch schon laut über eine abermalige Verlängerung bis zu den nächsten Wahlen im Frühjahr 2017 nach.

Seit dem Laster-Attentat von Nizza, bei dem 84 Menschen umkamen, steht Frankreich politisch unter Hochspannung. Beim rechtsextremen Front National und den konservativen Republikanern begann ein Überbietungswettkampf um Härte. In der Parlamentsdebatte über die Verlängerung des Ausnahmezustands warfen die Konservativen Hollande vor, sich "um die Grundfreiheiten der Terroristen zu sorgen", aber unfähig zu sein, das Land zu schützen.

Das neue Notstandsgesetz ermöglicht Ermittlern wieder das Durchsuchen von Häusern und Fahrzeugen ohne richterlichen Beschluss, das zwischenzeitlich ausgesetzt war. Sie dürfen auch die Computer und Telefone auswerten, die sie dabei sicherstellen. Um einer Entscheidung des französischen Verfassungsrats zu genügen, können Beschlagnahmungen künftig aber gerichtlich angefochten werden.

Die Republikaner wollten weitergehen: Sie fordern unter anderem, als radikalisiert bekannte Personen präventiv in geschlossene Lager zu internieren. "Ein Guantanamo à la française wäre die einfachste Lösung", so der Abgeordnete Georges Fenech in Anspielung auf das Lager, in dem die USA "feindliche Kämpfer" ohne Prozess festhalten. Fenech zufolge strömen mit der militärischen Zurückschlagung des sogenannten Islamischen Staats in Syrien und im Irak viele französische IS-Anhänger ins Land zurück. Dafür habe die Regierung keine Lösung.

Liberale Kritiker bemängeln dagegen eine Diskrepanz zwischen den Grundrechtseingriffen im Rahmen des Ausnahmezustands und den erzielten Ergebnissen. Tatsächlich mündeten seit November nur fünf von rund 3600 Hausdurchsuchungen ohne Richterbeschluss in weitere Ermittlungen wegen Terrorverdachts. Ein im Frühling vereitelter Anschlagsplan wurde im Rahmen herkömmlicher Verfahren verhindert. Der Attentäter von Nizza wiederum war nicht als Islamist bekannt. Dafür wurden die Sondermittel des Ausnahmezustands ausgiebig gegen linke Aktivisten eingesetzt, die im Herbst gegen den Pariser Klimagipfel und zuletzt gegen Hollandes Arbeitsreform demonstrierten.

Innenminister Bernard Cazeneuve argumentiert, schon ein einziges verhindertes Attentat rechtfertige den Ausnahmezustand. Er wies Forderungen nach seinem Rücktritt zurück, die laut geworden waren wegen möglicher Fehler bei der Sicherung der Strandpromenade von Nizza am 14. Juli. Die Frage ist etwa, ob die Straßensperren zur Verwandlung der Promenade in eine Fußgängerzone ausreichten. Einige Überlebende des Attentats haben angekündigt, den Staat zu verklagen.

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