Frankreich:Macron droht ein Bumerang

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Weit abgeschlagen in Umfragen sind die Macronisten, die unter dem Label „Ensemble“ antreten. Das Lager von Präsident Emmanuel Macron wird von Ipsos auf 19,5 Prozent geschätzt. (Foto: GUILLAUME SALIGOT/MAXPPP/OUEST-FRANCE/IMAGO)

Mit Neuwahlen wollte Frankreichs Präsident die politische Dynamik umdrehen – und sich einmal mehr als Bollwerk gegen die extreme Rechte beweisen. Doch Umfragen zeigen, dass die Chancen dafür schwinden.

Von Oliver Meiler, Paris

Wie man es auch dreht: Die Franzosen erleben einen besonderen, womöglich beispiellosen und potenziell dramatischen Moment im politischen Leben ihrer Republik. Und alles deutet darauf hin, dass sie die historische Bedeutung der vorgezogenen Parlamentswahlen auch genau so wahrnehmen – wie eine Entscheidungswahl.

Die Umfrageinstitute registrieren eine Woche vor der Wahl eine Bereitschaft, wählen zu gehen, wie das schon lange nicht mehr der Fall war: 62 Prozent. Das wären 15 Prozentpunkte mehr als vor zwei Jahren. Mehr als eine Million Franzosen, die schon wissen, dass sie am 30. Juni und 7. Juli, den beiden Terminen dieser Wahl in zwei Gängen, nicht an ihrem Wohnort sein werden, haben bereits Vollmachten ausgefüllt; damit eine Person ihres Vertrauens an ihrer Stelle die Stimme abgeben kann. Das hat es noch nie gegeben.

Marine Le Pen könnte laut Umfragen ihr Ergebnis der Europawahl in etwa halten

Und die Franzosen sind gespalten in drei sehr unterschiedlich große Blöcke, wie eine Umfrage von Ipsos für Radio France und die Zeitung Le Parisien am Wochenende zeigt. Der rechtsextreme Rassemblement National von Marine Le Pen kommt demnach auf 31,5 Prozent, fast exakt sein Resultat bei der gewonnenen Europawahl vor zwei Wochen. Zählt man die Stimmen jener Wähler dazu, die dem bisherigen Präsidenten der Républicains, Éric Ciotti, zu folgen gedenken, der sich mit den Lepenisten verbündet hat, dann bringt es dieses Bündnis auf 35,5 Prozent.

Dahinter käme laut Umfrage das linke Bündnis „Nouveau Front populaire“, das in aller Eile und wider alle Differenzen geformt wurde: mit 29,5 Prozent. Weit abgeschlagen sind die Macronisten, die unter dem Label „Ensemble“ antreten. Das Lager von Präsident Emmanuel Macron wird von Ipsos auf 19,5 Prozent geschätzt.

In einer zweiten Runde spielen oft taktische Überlegungen eine große Rolle

Der Ausgang einer Mehrheitswahl in zwei Wahlgängen ist immer schwer vorherzusagen. Zumal im zweiten Wahlgang oft eine ganz andere Logik eine Rolle spielt als im ersten. Im ersten wählt man ideologisch, für seine Partei; scheidet der Bewerber aus, wählt man im zweiten in aller Regel taktisch, gegen den unliebsameren Gegner, oder geht gar nicht wählen.

Außerdem kann es sein, dass eine hohe Wahlbeteiligung dazu führt, dass es im zweiten Wahlgang neben den vielen Duellen zwischen Kandidaten der extremen Rechten und der Linken auch eine Menge triangulaires geben wird, das heißt, wenn sich drei Kandidaten für den zweiten Wahlgang qualifizieren. Dabei ist man auch, wenn man 12,5 Prozent der Stimmen aller im Wahlkreis eingeschriebenen Wahlberechtigten erreicht hat. 2022 gab es nur acht triangulaires, diesmal könnten es Dutzende sein. Prognosen sind deshalb komplex.

Dennoch lässt sich etwas schon deutlich sagen: Wenn sich in den kommenden Tagen nicht noch die Meinungen massiv zugunsten von Macrons Lager verschieben, dann verliert der Präsident seine Mehrheit in der Assemblée Nationale, der großen Kammer des französischen Parlaments. Die war zwar schon seit den jüngsten Wahlen von 2022 nur noch eine relative gewesen. Nun aber droht den Macronisten eine ganz andere Lage.

Macron warnt vor der „Gefahr der Extremisten“

Macron stemmt sich mit Macht dagegen, zunehmend verzweifelt. Er zielt dabei vor allem auf die Linke und hofft, moderate Wähler von sich zu überzeugen. Vor allem unter den Sozialdemokraten gibt es viele, die tief unglücklich sind über die Allianz des Parti Socialiste mit der France insoumise des linken Tribuns Jean-Luc Mélenchon. Macron stellt den Nouveau Front populaire und den Rassemblement National in dieselbe Ecke: Er spricht von der „Gefahr der Extremen“, als gäbe es keinen Unterschied.

Aber ob das funktioniert? Die Linken haben wahrscheinlich nicht vergessen, dass Macron seinen früher zentristischen Kurs in jüngerer Vergangenheit scharf korrigiert hat – entschlossen nach rechts. In seinem Kabinett, das er im Januar neu besetzt hat, sitzen keine prominenten Figuren des linken Flügels mehr. Mit seiner Taktik versucht Macron ohnehin nur, den Schaden zu begrenzen. Der Coup mit den vorgezogenen Wahlen hat die oppositionellen Lager befeuert. Sie sehen die Wahl wie ein Referendum zu Macron.

Gewinnen die Lepenisten eine absolute Mehrheit, würden sie den Premierminister stellen dürfen. Vorgesehen dafür wäre der 28-jährige Vorsitzende der Partei, Jordan Bardella, Ziehsohn von Marine Le Pen. Er wäre Teil einer cohabitation, wie die Franzosen sagen, wenn der Präsident und der Premier je unterschiedlichen politischen Lagern angehören und zusammen regieren. Das hat es schon dreimal gegeben in der Geschichte der Fünften Republik, also seit 1958. Doch nie waren die politischen Sensibilitäten der Exekutivspitzen so unterschiedlich, sollte es nun so kommen.

Völlig offen ist, was passiert, wenn kein Lager eine absolute Mehrheit erreichte und das Parlament völlig polarisiert wäre. Würde Macron dann eine neue Mehrheit suchen, etwa unter willigen Kräften links und rechts von der Mitte? Oder wenn das ausreicht: Würde er es mit einem Expertenkabinett versuchen, wie die Italiener es in solchen Fällen tun? Oder tritt Macron am Ende sogar zurück und öffnet den Weg zu vorzeitigen Präsidentschaftswahlen? Nicht alle Szenarien sind gleich wahrscheinlich. Aber allein die große Palette zeigt, wie bedeutsam diese Wahl ist.

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