Auf Erleichterung folgt in Frankreich die schwierige Suche nach einer neuen Regierung. Zwar ist ein Sieg der extrem Rechten bei der Parlamentswahl am Sonntag ausgeblieben – es ist aber auch keinem anderen politischen Lager gelungen, die absolute Mehrheit zu holen. Das neue Parlament besteht aus drei großen Blöcken: 182 Sitze stellt das Linksbündnis Nouveau Front populaire, das bei der Stichwahl am Sonntag die meisten Wahlkreise gewann. Das zentristische Wahlbündnis von Emmanuel Macron kann 168 Abgeordnete in die Nationalversammlung schicken, Marine Le Pens extrem rechter Rassemblement National (RN) und seine Verbündeten 143. Die absolute Mehrheit liegt bei 289 Sitzen.
Das Linksbündnis NFP hat nach seinem Wahlsieg bereits Anspruch auf den Posten des Premierministers erhoben. Der Präsident müsse die Wahlniederlage einräumen, die Ergebnisse hätten gezeigt, dass der NFP die einzige glaubwürdige Alternative sei, sagte Olivier Faure, der Parteichef der Sozialisten, am Montag. Das Bündnis wolle noch im Laufe der Woche einen Kandidaten für das Amt des Premierministers vorschlagen. Wobei längst nicht ausgemacht ist, um wen es sich dabei handeln könnte. Abgeordnete der radikal linken La France insoumise brachten am Montag wieder einmal den Namen ihres Parteigründers Jean-Luc Mélenchon ins Spiel, gegen den sich führende Sozialisten aber schon mehrfach ausgesprochen haben. Die Grünen-Chefin Marine Tondelier sagte, sie könne sich auch eine Person aus der Zivilgesellschaft vorstellen.
Der französische Präsident kann frei entscheiden, wen er zum Premierminister oder zur Premierministerin ernennt. Trotzdem sollte er die Kräfteverhältnisse in der Nationalversammlung nicht außer Acht lassen – denn das Parlament kann jederzeit die Vertrauensfrage stellen und die Regierung mit einer absoluten Mehrheit stürzen.
Schon am Sonntagabend hatte der amtierende Premierminister Gabriel Attal angekündigt, dass er seinen Rücktritt einreichen werde. Er erklärte aber auch, dass er so lange im Amt bleiben werde, wie es erforderlich sei. Nach einem Treffen am Montag ließ Präsident Emmanuel Macron verlauten, dass er zunächst an Attal festhalten wolle, um die „Stabilität des Landes“ zu gewährleisten. Die französische Verfassung verpflichtet den Präsidenten nicht, die Regierung abzusetzen und einen neuen Premierminister zu ernennen. Macron ließ über seine Entourage mitteilen, dass er die „Strukturierung“ des Parlaments abwarte, bis er jemanden damit beauftrage, eine Regierung zu bilden. Am 18. Juli soll die neue Nationalversammlung zum ersten Mal zusammentreten.
Für die künftige Regierung gibt es mehrere mögliche Szenarien: Linke und Macronisten könnten sich zu einer Koalition zusammenfinden und ein gemeinsames Programm aushandeln, ähnlich wie das in Deutschland Parteien nach der Wahl tun. Allerdings hat Frankreich keine Erfahrung mit Regierungskoalitionen. Bisher war das auch nicht nötig, weil das Mehrheitswahlrecht in der Regel zu klaren Mehrheiten führte. Außerdem würde sich bei einer Koalition die Frage stellen, welche Rolle die radikal linke La France insoumise spielen würde. Sie ist die stärkste Partei im Linksbündnis NFP, Macron hatte eine Zusammenarbeit mit ihr aber immer ausgeschlossen. Finanzminister Bruno Le Maire warnte am Montag vor dem Wahlprogramm des NFP, es werde zum „wirtschaftlichen Niedergang Frankreichs“ führen.
Eine Alternative wäre eine Minderheitsregierung des linken NFP oder der Macronisten. Schon in der vergangenen Legislatur hatte Macrons Lager keine absolute Mehrheit und musste für jedes politische Vorhaben um Stimmen aus der Opposition ringen. Allerdings fehlten ihnen bisher nur 44 Stimmen bis zur absoluten Mehrheit, nun sind es mehr als 100. Auch der NFP müsste jedes Mal um etwa 100 zusätzliche Stimmen werben.
Eine Regierung aus Experten gab es in Frankreich noch nie
Die dritte Möglichkeit wäre eine parteilose Expertenregierung, die das Land eher verwalten als politisch gestalten würde, zum Beispiel bis Emmanuel Macron im kommenden Jahr wieder Neuwahlen ausrufen könnte. Auch sie müsste sich wechselnde Mehrheiten im Parlament beschaffen. Eine solche Regierungsform gab es in Frankreich noch nie.
Die extreme Rechte inszeniert sich indes als Opfer. Der Parteichef des RN, Jordan Bardella, schimpfte noch am Sonntagabend auf die „widernatürliche“ Allianz von links bis rechts, die es den Franzosen unmöglich gemacht habe, sich selbstbestimmt für eine politische Alternative zu entscheiden. Vor der Stichwahl hatten Macronisten und Linke in vielen Wahlkreisen auf eigene Kandidaten verzichtet, um das jeweils andere Lager im Duell gegen den RN zu unterstützen. Am Montag räumte Bardella ein, dass er einen Teil der Verantwortung für die Wahlniederlage trage. Marine Le Pen hob hervor, dass der RN die Zahl seiner Sitze weiter erhöht habe und zur stärksten Partei in der Nationalversammlung geworden sei. „Unser Sieg ist nur verschoben“, sagte sie.