Reaktionen auf die Wahl in Frankreich:Erleichterung in Brüssel und Europa

Reaktionen auf die Wahl in Frankreich: Anhänger des pro-europäischen französischen Präsidenten Emmanuel Macron feiern in Paris dessen Wahlsieg.

Anhänger des pro-europäischen französischen Präsidenten Emmanuel Macron feiern in Paris dessen Wahlsieg.

(Foto: Rafael Yaghobzadeh/AP)

Nach der Wiederwahl Emmanuel Macrons kann die Europäische Union weiter an der gemeinsamen Strategie gegenüber Russland arbeiten.

Von Björn Finke und Matthias Kolb, Brüssel

Mit großer Erleichterung ist in Brüssel und fast allen EU-Hauptstädten die Wiederwahl des französischen Präsidenten Emmanuel Macron aufgenommen worden. Er freue sich, dass "wir fünf weitere Jahre auf Frankreich zählen können", schrieb EU-Ratspräsident Charles Michel wenige Minuten nachdem die Rechtsextreme Marine Le Pen die Stichwahl verloren hatte.

Aus Indien schickte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen Glückwünsche an Macron: "Ich freue mich, dass wir unsere exzellente Zusammenarbeit fortsetzen können." Dies ist fraglos ernst gemeint: Mit Le Pen im Elysée hätte die Deutsche den "Europäischen Grünen Deal", mit dem Europa bis 2050 zum ersten klimaneutralen Kontinent werden soll, vergessen können. Der Brexit, so der Konsens, wäre einfach gewesen im Vergleich zu einer Antieuropäerin als fast allmächtiger Chefin des zweitgrößten EU-Landes. Aus von der Leyens Ankündigung, Frankreich und Europa "gemeinsam voranbringen" zu wollen, spricht aber die Erkenntnis, dass Millionen Französinnen und Franzosen die EU mit großer Skepsis sehen und den Enthusiasmus von Macron nur bedingt teilen. Dieser nervt zwar viele in Brüssel, doch auch sie gestehen zu, dass Macrons Gestaltungsdrang Debatten vorantreibt.

Nach einem Abend der Freude, an dem der Italiener Mario Draghi von "großartigen Neuigkeiten für ganz Europa" und der Belgier Alexander De Croo "von einer Entscheidung für die Werte der Aufklärung" schwärmten, ging das Alltagsgeschäft weiter - also das schwierige Ringen um die richtige Antwort auf Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine. Die Geschlossenheit, die die EU bisher wahren konnte - Le Pen hätte sie gesprengt.

Auch wegen des zweiten Wahlgangs hatte die EU-Kommission gewartet, den Botschaftern der 27 EU-Mitglieder Details des nächsten Sanktionspakets zu präsentieren. Von der Leyen hatte bereits zuvor angekündigt, Russlands größte Bank, die Sberbank, in den Fokus zu nehmen. Ein umfassender Importstopp oder ein Strafzoll für russisches Öl dürfte jedoch nicht dazugehören. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell sagte am Wochenende, die EU habe "im Moment keine geschlossene Haltung in dieser Frage". Über solch ein Embargo werde aber beim nächsten EU-Gipfel Ende Mai geredet.

Auch Frankreichs Parlamentswahl beeinflusst den EU-Politbetrieb

Zu den Gegnern eines raschen Öl-Einfuhrbanns gehören Deutschland, Österreich und Ungarn, und Sanktionen brauchen Einstimmigkeit. Allerdings warnt selbst die US-Regierung vor den Folgen eines schnellen Verbots: Die Preise könnten steigen und dies Europa sowie anderen Teilen der Welt schaden. Zugleich könnte Russland sein Öl woanders verkaufen und von höheren Preisen profitieren, mahnte US-Finanzministerin Janet Yellen.

Zudem wissen alle in Brüssel, dass in Frankreich am 12. und am 19. Juni die Parlamentswahl stattfindet und Macrons Partei wohl keine Mehrheit erringen wird. Steigende Preise an Tankstellen würden sicher nicht helfen. Es gilt aber als möglich, dass die EU andere Maßnahmen vorschlägt, die Russlands Öleinnahmen ein wenig schmälern, jenseits eines vollen Embargos oder eines Strafzolls. Von der Leyen sagte dazu kürzlich, ihre Behörde arbeite an "klugen Mechanismen".

Bis Ende Juni hat Frankreich noch die Ratspräsidentschaft inne und kann so die Agenda prägen. Allerdings dreht sich aktuell fast alles um Russland und die Ukraine. EU-Diplomaten erwarten, dass Macron klare Positionen vermeiden wird - etwa in der Erweiterungs- oder Migrationspolitik. "Die Prioritäten richten sich weiter danach aus, was ihm innenpolitisch hilft", sagt eine Insiderin in Brüssel.

Frankreich hat es aber geschafft, wichtige EU-Gesetze zur Digitalwirtschaft abzuschließen, die die Macht der US-Internetkonzerne einschränken und neue Regeln setzen. Dies passt zu seiner Überzeugung, dass Europa schlagkräftiger werden muss.

Ein bedeutendes Anliegen Macrons ist es auch, der EU mehr Instrumente gegen unfaire Praktiken von Handelspartnern in die Hand zu geben. Tatsächlich verständigten sich Ministerrat und EU-Parlament auf ein Gesetz, mit dem die Kommission chinesische Konzerne von Ausschreibungen ausschließen kann, wenn Peking nicht im Gegenzug endlich EU-Konzerne mitbieten lässt. Der Ministerrat verabschiedete auch eine gemeinsame Position zum sogenannten Kohlendioxid-Grenzausgleichsmechanismus. Das ist eine Art Strafzoll auf Produkte, die auf anderen Kontinenten unter klimaschädlicheren Bedingungen hergestellt werden als in der EU üblich. Hier ist aber das EU-Parlament noch nicht bereit zu Verhandlungen. In Brüssel wird spekuliert, dass Macron versuchen könnte, Teile des "Fit for 55"-Klimapakets voranzutreiben, um bei Anhängern der Grünen oder des Linken Jean-Luc Mélénchon zu punkten.

Ärgerlich für Macron ist, dass im Ministerrat bisher keine Einigung auf die Mindeststeuer auf Konzerngewinne von 15 Prozent gelang. Auf solch eine Steuer haben sich 137 Staaten bei der Industrieländer-Organisation OECD verständigt, allerdings muss die Regelung nun in europäisches Recht gegossen werden. Dies wird bislang von Polen blockiert.

Der für Ende Mai geplante EU-Gipfel behandelt nochmals jene Themen, die Macron schon Anfang März in Versailles diskutieren ließ und die ihm wichtig sind: mehr Investitionen in Europas Armeen und weniger Abhängigkeit in der Energieversorgung.

Auch die Nato hatte Angst vor einer Präsidentin Le Pen

Bewegung könnte es in der Handelspolitik geben. Die mächtige französische Agrarlobby sieht Handelsverträge kritisch, weil diese Abkommen, die Zölle und andere Hemmnisse abbauen, mehr Konkurrenz durch Importe bedeuten. Handelsverträge der EU mit Neuseeland und Chile stehen kurz vor dem Abschluss. Künftig braucht die Kommission keine Rücksicht darauf zu nehmen, dass Macron Bauernproteste fürchtet.

Weitgehend positiv waren die Reaktionen der großen Fraktionen des Europaparlaments. Dessen Präsidentin Roberta Metsola schrieb auf Twitter, dass ein starkes Europa ein starkes Frankreich brauche. Keine öffentliche Reaktion gab es von der Nato. Generalsekretär Jens Stoltenberg äußere sich nie bei einer Wiederwahl, hieß es. Obwohl Macron die Militärallianz 2019 für "hirntot" erklärt hatte, ist man sehr erleichtert über den Wahlsieg. Le Pen hatte angekündigt, Frankreichs Armee aus der integrierten Kommandostruktur der Nato herauszuführen - angesichts des russischen Kriegs gegen die Ukraine wäre dies ein absolutes Zeichen der Schwäche gewesen. Auch die strategische Neuausrichtung der Nato, die Ende Juni bei einem Gipfel in Madrid beschlossen werden soll, kann weiter geplant werden.

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