Frankreich vor dem Wahlkampf:Blut, Schweiß, Sarkozy

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Für Nicolas Sarkozy brechen die entscheidenden Wochen seiner Präsidentschaft an. Das Schicksal des Euro hängt davon ab, wie sich der Franzose als Krisenmanager bewährt - bald beginnt der Wahlkampf, und bisher scheint er fast alles verkehrt zu machen.

Stefan Ulrich, Paris

Sollten die Deutschen demnächst ihre Kanzlerin abwählen, könnte sich Angela Merkel überlegen, Französin zu werden und im Nachbarland als Präsidentschaftskandidatin anzutreten. Falls das Finanz- und Schuldendrama anhält, wären ihre Aussichten recht gut. Einer neuen Umfrage zufolge trauen die Franzosen in erster Linie Angela Merkel zu, die Krise zu bewältigen. Es folgen der Internationale Währungsfonds, die Unternehmen, Obama, Europa und erst dann, abgeschlagen, Nicolas Sarkozy.

Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy hat noch einen harten Wahlkampf vor sich. Die Bürger auf seine Seite zu bringen dürfte schwierig werden - zurzeit setzen sie eher auf andere Politiker. (Foto: REUTERS)

Der Präsident, der sich einst als Tausendsassa stilisierte, steckt in der Bredouille. Was er auch anpackt, scheint falsch zu sein. Bleibt er im Urlaub am Cap Nègre, murrt die Opposition, er tue nichts gegen die Börsenturbulenzen. Eilt er, wie am Mittwoch, zu einer Krisensitzung nach Paris, stürzen die Kurse ab. Gerüchte, Frankreichs Bonität könne herabgestuft werden, bringen weltweit die Börsen zum Brodeln. Sarkozy merkt: Sein Land ist verwundbar - und die Märkte scheinen schon Blut zu lecken.

Die französischen Banken bangen, weil sie angeschlagenen Euro-Staaten wie Griechenland besonders viel Geld geliehen haben. Die Arbeitslosigkeit steigt seit Monaten wieder an. Frankreichs Wirtschaft wächst langsamer als erhofft. Umso schwerer wird es dem Präsidenten fallen, die Neuverschuldung von derzeit fast sechs Prozent des Bruttoinlandsprodukts bis 2013 auf drei Prozent zu senken und so die Märkte zu beruhigen.

Zu allem Unglück muss Sarkozy bald Wahlkampf führen. Bei der Präsidentschaftswahl im April kommenden Jahres möchte er wohl wieder antreten, so unpopulär er auch ist. Von rechts bedrängt ihn ein Front National, der die Bürger mit anti-europäischen, protektionistischen Rezepten lockt. Von links werben die Sozialisten mit sozialen Wohltaten wie einer Rückkehr zur Rente mit 60 Jahren. Sarkozy aber hat wenig mehr anzubieten als sparen, sparen, sparen.

In dieser Lage könnte er aus der Not eine Tugend machen und mutig in einen Blut-, Schweiß- und Tränenwahlkampf voller Zumutungen ziehen. Weniger staatliche Leistungen, mehr Steuern, längere Arbeit. Regierende wagen es selten, an den Opfergeist der Wähler zu appellieren. In Frankreich ist das besonders riskant. Die Bürger leben in der Tradition eines starken Staates, der sie, im Präsidenten verkörpert, beschützt und versorgt. Die Massenproteste gegen die Anhebung des Rentenalters von 60 auf 62 Jahren im vergangenen Herbst demonstrieren, was einem Politiker blüht, der den Franzosen soziale Errungenschaften nimmt.

Nur: Sarkozy konnte die Reform am Ende durchsetzen. Insgeheim wussten auch viele Protestierer, dass ihr Besitzstand nicht zu halten war. Die Franzosen sind keine Traumtänzer. Sie können sich einer harten Einsicht öffnen. Diese lautet: Frankreichs patriarchalisch-fürsorglicher Überstaat ist nicht mehr zu finanzieren. "Rigueur", Haushaltsdisziplin, mag in Paris lange ein Unwort gewesen sein; und dennoch stößt Madame Merkel in Frankreich derzeit auf mehr Anerkennung als in ihrer eigenen Heimat.

Die Franzosen könnten also bereit sein, einen Sparkurs mitzutragen - sofern es gerecht zugeht. Wenn Sarkozy dagegen die Reichen schont und die Armen schröpft, wenn Arbeitslosigkeit und Aushilfsjobs weiter vor allem die Jungen heimsuchen, kann rasch der Revolutionsgeist erwachen und die Menschen auf die Barrikaden treiben. London ist nah.

Sarkozy steht vor den wichtigsten Wochen seiner Karriere. Er ist in halbwegs normalen Zeiten gewählt worden und muss sich nun hart am Rand des Abgrundes bewähren. Er gehört, neben Angela Merkel, zu den wenigen Politikern, an denen das Schicksal des Euro, der EU und damit der Europäer hängt. Deutschland ist darauf angewiesen, dass der Präsident des Nachbarlandes in der Krise besteht. Scheitert Paris, kann Berlin Europa nie und nimmer erhalten.

Der Präsident und die Kanzlerin sind dazu verurteilt, sich zu verstehen. Sie sollten noch mehr aufeinander zugehen, als es ihnen vielleicht lieb ist, am besten schon bei ihrem Sondertreffen kommende Woche. Sarkozy muss das althergebrachte französische Modell des spendablen Staates opfern und bundesrepublikanischen Tugenden wie Sparsamkeit und Haushaltsdisziplin nacheifern. Zugleich muss er daran mitwirken, dass diese Tugenden in allen Euro-Staaten walten.

Wenn Europa so deutscher wird, muss Deutschland europäischer werden. Frankreich wünscht eine Wirtschaftsregierung und ein Mit-Einstehen der reichen für die armen Länder etwa durch die Ausgabe von Eurobonds. Beides dürfte nötig werden, um die Spekulation zu stoppen und den Euro und ein halbwegs einiges Europa zu erhalten. Gewiss: Das Wort "Transferunion" ist bei den Deutschen extrem unbeliebt. Doch das war das Wort "rigueur" in Frankreich auch. Beide zusammen kennzeichnen eine unpopuläre, aber notwendige Politik, die signalisiert: Europa ist stark und wird nicht auseinanderfallen. Es sollte die Politik Sarkozys und Merkels werden.

Zunächst einmal aber muss der französische Präsident sein Land aus den Turbulenzen dieser Tage führen. Es heißt, er sei ein Mann, der in der Krise über sich hinauswächst. Nun hat er die Gelegenheit, das zu beweisen.

© SZ vom 12.08.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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