Süddeutsche Zeitung

Frankreich:Verheddert im Interessenkonflikt

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Mitten in die Streiks und Demonstrationen hinein fällt für Frankreichs Regierung eine unangenehme Affäre: Der Rentenbeauftragte der Regierung muss Neben­tätigkeiten einräumen und zurücktreten.

Von Nadia Pantel, Paris

Die Woche beginnt nicht gut für Frankreichs Regierung. Jean-Paul Delevoye, der seit Monaten die Rentenreform vorbereitet und im September in den Rang des Ministers erhoben wurde, ist am Montag zurückgetreten. Präsident Emmanuel Macron habe den Rücktritt "mit Bedauern akzeptiert", heißt es aus dem Élysée. Delevoye war vergangene Woche durch verschiedene Enthüllungen in Bedrängnis geraten. Der 72-jährige "Hochkommissar für Renten", wie sein Titel lautete, hatte es "vergessen", so Delevoye, diverse Nebentätigkeiten und Ehrenämter zu deklarieren.

Bereits vor einer Woche berichtete der Parisien, dass Delevoye enge Verbindungen zu einer Ausbildungseinrichtung eines privaten Versicherungsunternehmens unterhielt und dort als ehrenamtlicher Mitarbeiter geführt wurde. Gewerkschaften und Opposition werfen Delevoye seitdem vor, einen Interessenkonflikt verschleiert zu haben. Private Versicherer verfolgen die von Delevoye vorbereitete Rentenreform aufmerksam, da sich der Markt für die private Altersvorsorge vergrößern könnte.

Delevoye hat zudem versäumt, Einkünfte zu deklarieren, die er als Präsident eines Thinktanks bezieht, und die monatlich bei mehr als 5000 Euro liegen. Le Monde berichtete, dass Delevoye 13 von ihm bislang nicht offengelegten Nebentätigkeiten nachging. Dazu zählen auch wenig anstößige Tätigkeiten wie die Rolle des "Botschafters" bei der Föderation französischer Diabetiker und der Vorsitz in zwei Vereinen zur Förderung klassischer Musik.

Die rechte und die linke Opposition, Marine Le Pen und Jean-Luc Mélenchon, forderten Delevoyes Rücktritt ebenso wie die aktuell tonangebende Gewerkschaft CGT. Laurent Berger hingegen, Generalsekretär von Frankreichs größter und reformorientierter Gewerkschaft CFDT, sagte dem Nachrichtensender Franceinfo, er sei "wie vor den Kopf gestoßen", von Delevoyes Versäumnissen und Rücktritt. Delevoye sei "derjenige, der die Position aller Verhandelnden kennt", der das Thema Rente wirklich durchdrungen habe.

Delevoyes Rücktritt erfolgt einen Tag bevor das Kräftemessen zwischen Gewerkschaften und Regierung in eine neue Runde geht. Für diesen Dienstag haben alle Gewerkschaften zum Streik und zu einer Großdemonstration aufgerufen. Die Reformpläne der Regierung haben der kommunistisch geprägten CGT und der liberaleren CFDT eine seit Jahren nicht gekannte Einigkeit beschert. Die CGT lehnt die Rentenreform ab, die CFDT hingegen unterstützt den Plan der Regierung, ein universelles Rentensystem einzuführen. Einig sind sich beide Gewerkschaften, dass das Renteneintrittsalter von 62 Jahren nicht angetastet werden soll. Dies sehen jedoch die Pläne der Regierung vor.

Der Streik wird auch am Dienstag wieder dazu führen, dass in Paris nur zwei Metrolinien fahren, landesweit die Schnellzüge ausfallen und teilweise Schulen und Kindergärten geschlossen bleiben. Es wird damit gerechnet, dass Regierung und Gewerkschaften von Mittwoch an wieder verhandeln. Bis dahin muss ein Ersatz für Delevoye gefunden sein. Ob der Streik auch über Weihnachten fortgesetzt wird, ist noch offen.

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Quelle:
SZ vom 17.12.2019
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