Süddeutsche Zeitung

Frankreich:En Marche in die grüne Republik

Frankreich liegt beim Umwelt- und Klimaschutz auf einmal weit vorn. Präsident Macron hat viele Forderungen der Grünen übernommen. Bei der Atomkraft bleibt er jedoch hart.

Von Nadia Pantel

Kann man sich Frankreich in zwanzig Jahren als ein Land fröhlicher Radfahrer, sauberer Flüsse und zufriedener Kühe vorstellen? Als Emmanuel Macron im Juni 2017 das Motto "Make our planet great again" ausgab, war Frankreichs junger Präsident noch nicht als Klimaschützer oder Umweltfreund in Erscheinung getreten. Damals ging es darum, einen Kontrapunkt gegen US-Präsident Donald Trump zu setzen, der gerade entschieden hatte, aus dem Pariser Klimaabkommen auszutreten.

Doch inzwischen ist Macrons Umweltpolitik mehr als nur ein Bonmot, sein Programm für die Europawahl hatte einen klaren ökologischen Schwerpunkt. Den unterstrich er öffentlichkeitswirksam beim EU-Sondergipfel vor vier Wochen im rumänischen Sibiu (Hermannstadt), als er (ohne Deutschland) einen "Klimaklub" gründete, der sich selbst das Ziel setzt, spätestens 2050 keine Klimagase mehr in die Atmosphäre zu pusten. Am Donnerstag beim Treffen der Verkehrsminister der EU dann der nächste Vorstoß: Frankreich fordert eine gemeinsame europaweite Kerosinsteuer.

Macron habe seine Partei "grün angestrichen", lästert die Opposition

Auch innenpolitisch hat die Regierung ambitionierte Ziele. Aktuell wird in der Nationalversammlung darüber diskutiert, dass von 2040 an keine Autos mit Verbrennungsmotor mehr verkauft werden dürfen. Autovermieter sollen bis 2022 so umrüsten, dass 20 Prozent ihrer Leihwagen mit Hybrid- oder Elektromotoren fahren. Neben Autos stehen auf der Liste der Umweltsünder auch Plastik und Elektromüll. Von 2025 an, so verspricht es die Regierung, soll Plastik zu hundert Prozent recycelt werden. Und schon zwei Jahre zuvor soll es Firmen verboten werden, nicht verkaufte Elektrogeräte, Kleidung und Hygieneprodukte wegzuwerfen.

Macron habe sich und seine Partei "grün angestrichen", lästern nun Linke, Sozialdemokraten und Grüne. Hinter den großen Ankündigungen verberge sich "keine einzige konkrete Maßnahme", sagt Yannick Jadot von den französischen Grünen. Dabei dürfte Jadot von Macrons neuer Ökobegeisterung profitiert haben, seine Partei kam in der Europawahl auf 13,6 Prozent. Ein Rekord für die Grünen, den sich Meinungsforscher unter anderem damit erklären, dass Macrons Partei in den letzten Wochen vor der Wahl ständig über den Klimawandel sprach - und dann stets der Grüne Jadot als Experte in die Fernsehstudios eingeladen wurde. Viele seien von der Notwendigkeit einer grünen Politik überzeugt worden und hätten "das Original gewählt". Niemand sei "als Öko geboren", hält der Grüne und überzeugte Macron-Unterstützer Daniel Cohn-Bendit dagegen: "Macron ist ein Liberaler, die ökologische Frage ist nicht Teil seiner DNA." Aber nun habe er sich des Themas angenommen.

Im Unterschied zur Kanzlerin setzt Präsident Macron weiter auf die Atomkraft

Einen entscheidenden Unterschied zwischen Macron und den Grünen kann man jedoch schwer wegdiskutieren. Frankreichs Präsident hält an der Atomkraft fest. 58 Reaktoren werden im Land betrieben, ihre Leistung macht 72 Prozent des Strommixes aus. Während die Grünen den schnellstmöglichen Ausstieg wollen, sieht Macron Atomkraft als Kompromiss, der es ermöglicht, den CO₂-Ausstoß zu reduzieren. Frankreich sei ein "ökologischer Vorreiter", wie er im Mai in Sibiu sagte, da es, anders als Deutschland, bis 2021 alle Kohlekraftwerke stillegen möchte. Erneuerbare Energien machen in Frankreich 16 Prozent der Energieproduktion aus. Die Regierung will diesen Anteil bis zum Jahr 2030 auf 40 Prozent steigern.

Sicher ist, dass in Frankreich, unabhängig von Macrons Politik, ein ökologisches Umdenken stattfindet. Dies zeigt sich vor allem in der Landwirtschaft und in den Supermärkten. 2018 meldete die französische Agrarwirtschaft einen Rekord: Zehn Prozent der Ackerflächen werden inzwischen von Biobauern bewirtschaftet. Europaweit liegt Frankreich damit auf Platz drei, vor Deutschland (Platz vier) und hinter Spanien und Italien (Platz 1 und 2). Ein Grund für den Boom sind die veränderten Einkaufsgewohnheiten der Franzosen. Immer mehr wollen lieber Obst, Gemüse und Fleisch auf dem Teller haben, das gut für Gesundheit und Gewissen ist. Von 2017 bis 2018, innerhalb nur eines Jahres, ist der Markt für Biolebensmittel um 15,7 Prozent angewachsen. Fünf Prozent der in Frankreich verkauften Lebensmittel tragen heute ein Biosiegel, mehr als zwei Drittel davon stammen aus Frankreich.

Schaut man sich an, wie sehr Klimawandel und Umweltverschmutzung zurzeit die französischen Debatten dominieren, lässt sich auch eine weitere Lehre aus der Bewegung der Gelbwesten ziehen. Die Bewegung entstand aus Protest gegen eine Ökosteuer auf Benzin, doch sie war nicht Ausdruck eines Desinteresses an Umweltthemen. Prominente Vertreter der Bewegung wie zum Beispiel Ingrid Levavasseur haben bei der Europawahl nach eigenen Angaben den Grünen ihre Stimme gegeben. Die Gelbwesten hatten immer wieder angeprangert, dass es unfair sei, Autofahrer in ländlichen Gebieten ohne öffentliche Infrastruktur zur Kasse zu bitten, während Flugreisen und Kreuzfahrten nicht im gleichen Maße besteuert würden. Macrons neuer Mann fürs Grüne, der ehemalige WWF-Vorsitzende Pascal Canfin, betont, dass Frankreich "genau wie der Präsident, eine Gesellschaft in der Transition" sei, hin zu mehr ökologischem Bewusstsein. "Doch wenn es zu schnell gehen soll, funktioniert es nicht", sagt Canfin mit Blick auf die Erfahrung mit den Gelbwesten. Canfin ist für Macrons République en Marche ins Europaparlament eingezogen. Er sieht sich - und Frankreich - dort als "ökologischer Leader".

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SZ vom 08.06.2019/cku
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