Frankreich:Terror in der Stadt der Palmen

Frankreich: Präsident Emmanuel Macron dankt Sicherheitskräften und Helfern für ihren Einsatz.

Präsident Emmanuel Macron dankt Sicherheitskräften und Helfern für ihren Einsatz.

(Foto: Eric Gaillard/AP)

Während Frankreich um die Toten von Nizza trauert, passieren weitere Angriffe. Premierminister Jean Castex ruft für das ganze Land die höchste Warnstufe aus und kündigt eine "strenge und unerbittliche" Reaktion an.

Von Andrea Bachstein, Moritz Baumstieger und Nadia Pantel, München/Paris

Der Täter habe noch immer "Allahu Akbar" gerufen, als er am Boden liegend behandelt wurde, getroffen von den Schüssen, die die Polizisten auf ihn abgefeuert hatten. So berichtete es Nizzas Bürgermeister Christian Estrosi. Die Beamten der Stadtpolizei waren die Ersten, die gegen 9.10 Uhr am Donnerstagmorgen zur Basilika Notre-Dame de l'Assomption kamen und den Mann stoppten, der Minuten zuvor in dieser Kirche aus weißem Stein mindestens neun Menschen mit dem Messer angegriffen hatte. Drei von ihnen sind tot, der Mesner von Notre-Dame und zwei Frauen von 70 und 40 Jahren. Letztere hatte sich noch mit ihren Verletzungen aus der Kirche in eine nahe Bar geflüchtet, wo auch sie starb.

Die Politik in Paris reagiert am Donnerstag ohne jedes Zögern. In der Nationalversammlung, die eine Schweigeminute einlegte, rief Premierminister Jean Castex für ganz Frankreich die höchste Terrorwarnstufe aus, er kündigte eine "strenge und unerbittliche" Reaktion an. Innenminister Gérald Darmanin richtete einen Krisenstab ein, die Anti-Terror-Staatsanwaltschaft hat sofort die Ermittlungen übernommen. Staatspräsident Emmanuel Macron traf nachmittags in der Stadt an der Côte d'Azur ein, die schon 2016 zum Ziele eines Terroristen geworden war, 86 Menschen wurden damals getötet, als ein Attentäter mit einem Lastwagen auf der Promenade des Anglais in eine Menschenmenge raste. Die Kirche Notre-Dame de l'Assomption liegt keinen Kilometer davon entfernt im Zentrum Nizzas an der Avenue Jean-Medecin. Also dort, wo Nizza so aussieht, wie es Bewohner und Touristen lieben: eine Stadt am Mittelmeer mit Palmen und Strand.

"Unser Land wurde wieder von einer islamistischen Terrorattacke heimgesucht", sagte Macron in Nizza. Die ganze Nation stehe an der Seite der Katholiken in Frankreich und anderswo, "damit sie ihre Religion in unserem Land frei ausüben können. Damit jede Religion praktiziert werden kann".

Zu der Nachricht aus Nizza kam wenig später die Meldung, dass in der Nähe von Avignon ein möglicherweise ebenfalls islamistisch motivierter Mann Passanten mit eine Pistole bedroht habe. Er wurde von Polizisten erschossen, am frühen Abend verdichteten sich Hinweise, dass der Mann jedoch eher der rechten Identitären Bewegung zuneigte, kein Islamist war. Gegen Mittag wurde zudem bekannt, dass in Dschidda in Saudi-Arabien ein Sicherheitsbeamter des französischen Konsulats angegriffen und verletzt wurde. Am Nachmittag wurde zudem von zwei vereitelten Messerangriffen in Lyon und Sartrouville berichtet.

Ob all das zusammenhängt, war am Donnerstag zunächst nicht klar, auf den Tag fiel die Feier des Geburtstags des Propheten Mohammed. Aber es drängte sich ein Zusammenhang auf - dass die Tat von Nizza inspiriert war von dem Verbrechen, das Frankreich vor zwei Wochen erschüttert hatte, dem Anschlag auf Samuel Paty in Conflans-Sainte-Honorine. Ein 18-jähriger Islamist enthauptete den Lehrer auf der Straße. Französischen Medien zufolge starb eines der Opfer in der Kirche Notre-Dame in Nizza auf ähnliche Weise.

Dem französischen Anti-Terror-Staatsanwalt Jean-François Ricard zufolge war der mutmaßliche Attentäter ein 21-jähriger Tunesier, der aus Italien nach Frankreich eingereist war. Der Verdächtige sei am 20. September auf der italienischen Insel Lampedusa eingetroffen und am 9. Oktober nach Paris gereist, teilte Ricard am Donnerstagabend auf einer Pressekonferenz mit. Zuvor hatten Polizeiquellen den Mann als Brahim A. identifizert. Ein Zeuge schilderte der Lokalzeitung Nice-Matin, er habe aus etwa 40 Metern Entfernung einen Mann wie von Sinnen aus der Kirche rennen sehen, vier oder sechs Polizisten hätten ihn verfolgt. Der Mann sei in einen Garten hinter der Kirche gelaufen, von dort habe der Zeuge dann mehrere Schüsse gehört. Der Verdächtige wurde schwer verletzt in ein Nizzaer Krankenhaus gebracht.

Dass das Land wieder unter erhöhter Bedrohung durch islamistische Extremisten steht, wusste die Politik, wusste der Sicherheitsapparat, und die meisten Franzosen ahnten es schon länger. Das Terrornetzwerk al-Qaida hatte wenige Tage nach dem Beginn des Prozesses um den Terroranschlag von 20015 auf die Satire-Zeitschrift Charlie-Hebdo in Paris am 2. September neue Drohungen gegen das Magazin in Umlauf gebracht. In einer Publikation, die am Jahrestag der Anschläge des 11. September 2001 erschien, riefen die Extremisten zu neuen Attacken auf. Der Anschlag im Januar 2015 auf die Redaktion, bei dem die Angreifer zwölf Menschen erschossen und elf verletzt hatten, sei "kein einmaliges Ereignis".

Das Magazin hatte zum Auftakt des Prozesses in Paris erneut die umstrittenen Mohammed-Karikaturen veröffentlicht, die ursprünglich 2005 in der dänischen Zeitung Jyllands Posten erschienen waren. Eine der Darstellungen zeigt den Propheten mit einer Bombe im Turban und einer brennenden Zündschnur, was viele Muslime als Verunglimpfung Mohammeds empfinden.

In der Al-Qaida-Publikation heißt es weiter, Präsident Emmanuel Macron habe "grünes Licht" gegeben, die Zeichnungen erneut zu veröffentlichen. Die beiden Attentäter Said und Cherif Kouachi und ein weiterer Angreifer, der fünf Menschen erschoss, waren von der Polizei in den Stunden nach dem Anschlag getötet worden. 14 ihrer mutmaßlichen Komplizen stehen derzeit vor Gericht. Auch andere dschihadistische Gruppen haben inzwischen zu Gewalt aufgerufen; Hetzschriften finden sich unter anderem auf Internetkanälen mit Verbindungen zur Terrormiliz Islamischer Staat (IS). Ein Boykott französischer Produkte sei kein Ersatz für den bewaffneten Kampf, heißt es darin. Und der 18-Jährige, der den Lehrer Samuel Paty tötete, hatte dies zuvor damit begründet, dass Paty im Unterricht die Mohammed-Karikaturen behandelte.

Dass Präsident Macron es entschieden verteidigte, auch die Mohammed-Karikaturen gehörten zur unabdingbaren Meinungsfreiheit, stieß in einigen muslimischen Ländern auf heftige Kritik, ebenso, dass auf Kundgebungen für den ermordeten Lehrer Demonstranten diese Karikaturen zeigten. Frankreich habe eine anti-muslimische Agenda lautete einer der Vorwürfe. Besonders der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan attackierte Frankreich und Macron deshalb grundsätzlich. Am Donnerstag verurteilte das türkische Außenministerium aber die Tat von Nizza, die Türkei stehe an der Seite der Franzosen gegen Gewalt und Terrorismus, hieß es. Auch Saudi-Arabien verurteilte die Tat.

Abscheu gegen die Tat und Solidarität mit Frankreich versicherten am Donnerstag Spitzenpolitiker aus der ganzen Welt. So sprach EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen von einem "abscheulichen und brutalen Angriff", Europa bleibe geeint und entschlossen im Angesicht von "Barbarei und Fanatismus". Die Staats- und Regierungschefs der EU erklärten in einem gemeinsamen Statement, die Attacken in Frankreich seien "Angriffe auf unsere gemeinsamen Werte". Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte, sie sei "tief erschüttert über die grausamen Morde in einer Kirche". Ihre Gedanken seien bei den Angehörigen der Betroffenen sowie den Verletzten. Russlands Präsident Wladimir Putin schrieb nach Kreml-Angaben in einem Telegramm an Macron von einem "zynischen und brutalen Verbrechen". Papst Franziskus schloss die Opfer in sein Gebet ein, gab ein Vatikansprecher bekannt. Vertreter der Muslime in Frankreich und Deutschland verurteilten die Tat scharf.

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