Rentenreform:Macrons Arroganz rächt sich

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Gewerkschaftsmitglieder der CGT protestieren am 14. Dezember vor einem petrochemischen Werk, in dem die Angestellten ihre Arbeit niedergelegt haben. (Foto: AP)

Der Umbau des Rentensystems könnte scheitern, weil Macron selbst die reformwilligen Gewerkschafter vergrault hat. Frankreichs Präsident ist fortan ein Getriebener.

Kommentar von Leo Klimm, Paris

Fällt der Weihnachtsfrieden dem Kampf um die Rente zum Opfer? Seit fast zwei Wochen erdulden die Franzosen nun die Streiks gegen die Rentenreform ihrer Regierung - oder sie beteiligen sich selbst daran. Je näher das Fest rückt, desto schärfer wird der Konflikt um das Paradeprojekt von Präsident Emmanuel Macron.

Für Millionen Menschen könnte die Feier im Kreise der Familie ausfallen. Die Gewerkschaften machen keine Anstalten, die Blockade der Bahn und von Teilen des Flugverkehrs aufzuheben. In Frankreich herrscht keine Feststimmung. Es herrscht Krisenstimmung.

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Diese Krise ist Macrons Krise, noch mehr als beim Aufruhr der Gelbwesten vor einem Jahr. Denn die Proteste, die von der äußersten Linken bis zur extremen Rechten unterstützt werden, richten sich gegen seine wichtigste Reform. Der Präsident hat sich die Eskalation selbst zuzuschreiben. Jetzt rächt sich seine Herablassung gegenüber den Gewerkschaften seit Beginn seiner Amtszeit, auch gegenüber jenen, die ihn eigentlich unterstützen wollten. Die Arroganz der Macht wird Macron zum Verhängnis. Selbst unter gemäßigten Gewerkschaften herrscht der Wille vor, dem Präsidenten nun die Grenzen aufzuzeigen.

Auf dem Spiel steht ein grundstürzendes Vorhaben. Es ist genau das, wofür Macron gewählt wurde: nicht links, nichts rechts, im besten Sinne unideologisch. Und wenn doch ideologisch, dann zur Stärkung jenes Grundwerts der französischen Republik, der mit der gesellschaftlichen Wirklichkeit heute nur mehr wenig zu tun hat: der égalité, Gleichheit. Hier: der Gleichheit vor dem Rentengesetz.

Die Reform zielt auf Umverteilung von oben nach unten. Viele Franzosen müssten in der Tat durch die Reform etwas abgeben: Gutverdiener oder Erwerbstätige, die heute aus Sonderkassen hohe Renten beziehen, und das auch noch ab Mitte fünfzig. Prekäre Arbeiter dagegen, die derzeit nichts abbekommen vom französischen Renten-Schlaraffenland, würden besser gestellt. Macron - einst angetreten, um Frankreich nicht nur zu reformieren, sondern regelrecht zu transformieren - hat wirtschaftspolitisch Einiges geschafft. Er hat Frankreich für Investoren wieder attraktiv gemacht, die Schaffung neuer Jobs begünstigt und hält in schwieriger Zeit die Konjunktur stabil.

Macron hat das Kunststück fertiggebracht, auch reformbereite Gewerkschaften gegen sich aufzubringen

Doch das verblasst, wenn er und sein Premierminister Édouard Philippe die Rentenreform verpatzen. Ihr Plan sieht einen vollständigen Systemwechsel vor. Die Rente soll nach einem einheitlichen Punktesystem berechnet werden, mit gleichen Regeln für alle Erwerbstätigen, vom Mindestlöhner über den Rechtsanwalt bis zum Beamten. Jeder eingezahlte Euro zählt - und zählt gleich viel. Das soll mehr Gerechtigkeit bringen. Zugleich sollen ständige Nachbesserungen zum Ausgleich leerer Kassen überflüssig werden.

Macron und Philippe haben schon nachgegeben, zum Beispiel, indem sie das neue System nur noch der jungen Generation zumuten. Dennoch haben sie die Blockade nicht gelöst. Ähnlich wie in der Außenpolitik, als Macron in der Debatte um den Zustand der Nato seine Partner vor den Kopf stieß, erweist er sich im Streit um die Rente als guter Stratege - und schlechter Taktiker: Analyse und Plan sind klarsichtig, trotzdem verprellt Macron auch jene, die es gut mit ihm meinen.

Seit seinem Amtsantritt ist klar, dass sich die radikalen Gewerkschaften um die CGT Veränderungen verweigern würden. Macron aber hat das Kunststück fertiggebracht, auch die reformbereiten Gewerkschaften um die CFDT gegen sich aufzubringen. Das wäre anders gelaufen, wenn er sie zuvor bei anderen Vorhaben, etwa der Flexibilisierung des Arbeitsrechts, nicht übergangen hätte. Oder wenn sie in den vergangenen Monaten ernst genommen worden wären: Die Regierung organisierte einen aufwendigen Gesprächsmarathon mit den Gewerkschaften. Doch sie vermittelte ihnen das Gefühl, dass es kaum etwas zu verhandeln gebe.

Jetzt ist der Staatschef in eine Lage geraten, der er unbedingt entgehen wollte: Die Gewerkschaften mögen wenige Mitglieder haben - doch es sind genug, um das Land lahmzulegen und der Regierung die Agenda zu diktieren. Der Premierminister bettelt geradezu, sie mögen an den Verhandlungstisch zurückkehren. Am Montag musste die Regierung ihren Rentenexperten opfern. Macron und Philippe sind fortan Getriebene. Allein das ist eine Niederlage für den Präsidenten.

Macron wird weitere Zugeständnisse machen müssen. Er wird entweder auf die gerechtfertigte Anhebung des faktischen Rentenalters auf 64 Jahre verzichten müssen, wie das die CFDT fordert. Oder er wird die schlimmsten Blockierer wie die Bahner mit Extra-Konzessionen belohnen. Oder beides. Oder aber Macron spekuliert darauf, dass sich die Stimmung dreht, wenn die Streikenden, die ihre Privilegien verteidigen, den Menschen Weihnachten verderben. Das wäre riskant. Und etwas arrogant. Und typisch Macron.

© SZ vom 17.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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